Theater der Zeit

II. Kostümbildnerinnen und Kostümbildner im Gespräch

Die Bühne ist nicht das Leben

Ein Gespräch mit Andrea Schmidt-Futterer

von Andrea Schmidt-Futterer

Erschienen in: Lektionen 6: Kostümbild (06/2016)

Assoziationen: Kostüm und Bühne

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Wie kamen Sie zum Theater und zum Kostüm?

Das war ein glücklicher Zufall. Ich war eingefleischter Filmfan; ich fing erst an, mich für Theater zu interessieren, nachdem ich eine Aufführung der Schaubühne gesehen habe. Das war einfach umwerfend gut. Es ergab sich zufällig die Chance, als Garderobiere an der Schaubühne bei Robert Wilsons Death Destruction & Detroit einzuspringen. Ich bin geblieben, weil ich gemerkt habe, dass Theater das Richtige für mich ist. Als Kostümassistentin hatte ich keine Erfahrung, aber Moidele Bickel hat es trotzdem mit mir versucht. Ich wollte unbedingt Kostümbildnerin werden und habe versucht, mir das fehlende Grundwissen selbst anzueignen. Learning bei doing, aber empfehlen würde ich das als Einstieg im Nachhinein nicht. 

Was haben Sie bei Moidele Bickel gelernt?

Sehr viel, eigentlich alles. Es war meine Ausbildung. An der Schaubühne war die Vorbereitungszeit für eine Produktion ungewöhnlich lang und bei der intensiven Bibliotheksarbeit habe ich viel gelernt: Wie man die Arbeit an den Kostümen angeht, welche Fragen man stellt, wie man sucht, wie man Ergebnisse filtert und die Trichter immer kleiner werden lässt. Es war eine sehr produktive Zusammenarbeit zwischen Regie, Dramaturgie, Bühnen- und Kostümbild und alle wichtigen Gespräche fanden gemeinsam statt. Moidele machte hervorragende Entwürfe, die sehr malerisch waren. Mein Ehrgeiz bestand darin, dass in der Umsetzung nichts davon verloren geht. Ich habe vieles ausprobiert und zum Beispiel oft Stoffe bemalt, wenn die Figurine nicht optimal mit gekauften Stoffen realisierbar war, oder habe Stoffschichtungen erfunden, die in der Tiefenwirkung den Farben im Entwurf entsprachen. Ich konnte zeichnen, aber Kostüme zeichnen habe ich nicht gelernt. Von Materialkunde und Kostümgeschichte hatte ich keine Ahnung. Ich habe mir das alles zusammengelesen, aber ich hätte gerne einen Gesprächspartner gehabt, den ich gezielt hätte fragen können – eine Art Mentor. Deshalb habe ich mich, parallel zu meiner Assistenz, um einen Studienplatz in der Kostümklasse von Martin Rupprecht beworben. Er hat mich nicht genommen, weil er der Meinung war, dass ich den besten Ausbildungsplatz ja bereits habe.

Wie lieg die Arbeit am Kostümentwurf an der Schaubühne ab?

Damals an der Schaubühne hatten wir riesige Pinnwände, das waren Assoziationsräume für die Figuren, noch ohne konkrete Kostümentwürfe, es ging um Ideen, Haltungen. Das ist dann in das Gespräch mit dem Regisseur, dem Dramaturgen, dem Bühnenbildner eingegangen, hat sich sortiert auf den Pinnwänden, bis es immer weniger wurde und in eine Richtung ging, wo man sagen konnte: „Ja, so in etwa!“ In dem Stadium war noch kein Entwurf da, wir hatten nur Probenkostüme. Ich bin trödeln gegangen, um gute Sachen zu finden, das Geld war da auch noch nicht so begrenzt wie heute. Dann hat man probiert, hat auch viele Fotos von den Probenkostümen gemacht. Das alles half dann beim endgültigen Entwurf.

Wie haben Sie dann selber Ihre Entwürfe gemacht?

Ich musste einen eigenen Weg finden. Ich habe neue Methoden ausprobiert und mit verschiedenen Perspektiven experimentiert, etwa der Froschperspektive, die sehr geeignet ist für Theaterkostüme. Zu Beginn waren meine Entwürfe riesig und wie Graffitis mit Sprühfarben gemacht. Ich habe mit dem Episkop gearbeitet, mit Collagen, Fotos – mit allem, was denkbar war. Entwürfe sollten nicht genormt sein, sondern dem entsprechen, was man sich für die Inszenierung vorstellt und dem Regisseur vermitteln will. Es gibt nicht viele Regisseure, die Entwürfe richtig „lesen“ können. Ich nutze auch circa 50 cm große Puppen für meine Entwürfe. Zuerst habe ich sie selbst hergestellt, dann entdeckte ich Akupunkturpuppen, die sich sehr gut eignen, weil man sich zum Beispiel auch über die Rückansicht Gedanken machen muss. Ein Gewandmeister kann sehr viel damit anfangen.

Eine Eigenart Ihrer Kostüme scheint zu sein, dass sie sehr plastisch wirken.

Ich hatte den Wunsch, Kostüme zu machen, die wie Skulpturen sind, aber natürlich ohne Einschränkung der Bewegung und „tragbar“. Deshalb die Puppen als Entwurfsmethode. Für einen Anzug, den man auch kaufen kann, lohnt dieser Aufwand nicht, aber vielleicht schon für einen ganz speziellen Anzug, den man nirgendwo kaufen kann. Ich bin Kostümbildner, ich erfinde Kostüme. Damit knüpfe ich an eine Tradition an, die leider langsam ausstirbt. Entwerfen macht ja nur Sinn, wenn es um eine Anfertigung geht, und eine Anfertigung macht nur dann Sinn, wenn man das Kostüm nicht kaufen kann. Ich bin kein Fan von Alltagskleidung auf der Bühne, ich finde das nicht spannend. Die Bühne ist nicht das Leben. Ich bin ein absoluter Übersetzungsfan. Ich mag es gerne, wenn etwas ganz fremd ist. Ich will nicht, dass die Figuren aussehen wie meine Schwester oder die Frau in der U-Bahn, das interessiert mich einfach nicht. Inzwischen kann ich auch mit gekauften Kostümen umgehen, aber da ich losgehe und eine fixe Idee im Kopf habe, finde ich selten das, was ich suche. Ich bestehe darauf, dass Bühnenkostüme etwas anderes sind als Filmkostüme. Die Bühne ist ein Ort der Behauptung. Und der Erfindung.

Worin besteht der Unterschied zwischen Theaterkostüm und Opernkostüm?

Wenn Menschen sich ansingen, um sich ihre Gefühle mitzuteilen, hat das nichts mit dem „wirklichen Leben“ zu tun. Pathos im Küchenkittel finde ich peinlich und ich finde es falsch, der Musik nicht zu folgen. Also folge ich der Musik, die Kostüme sollten musikalisch sein. Ein Sängerkostüm muss mehr können als ein Schauspielerkostüm. Der singende Mensch ist mit seiner Konzentration beim Dirigenten und je nach schauspielerischer Begabung in der Lage, das zu verbergen oder nicht. Das Kostüm sollte kein ungewollter Nebenschauplatz sein. Ich entwerfe trotzdem hochkomplizierte bis „untragbare“ Kostüme für Sänger. Kompromisse mache ich erst, wenn ein Aufstand droht. Wenn man den Kampf gewinnen will, sind sehr gute Probenkostüme unbedingt notwendig. Bei der ersten Bühnenprobe mit Originalkostüm gibt es meistens Probleme, die man durch gute Markierung auf den Proben auf ein Minimum reduzieren kann. Optimal ist es, wenn der Sänger sein Kostüm liebt und er sich darin wohlfühlt. Aber auch das Leben eines Sängers ist kein Ponyhof. Durch die frühen Abgaben der Kostümentwürfe im Opernbetrieb – manchmal ist die Abgabe ein Jahr vor Probenbeginn – hat man keine Zeit, den Sänger kennenzulernen, und die Fotos und Maße sind oft veraltet. Es ist eine Hochrechnung, bei der es immer gut ist, einen Plan B zu haben. Beim Schauspiel entwickelt man die Kostüme oft auf der Probe und tastet sich mit Probenkostümen an das optimale Originalkostüm heran. Das geht im Opernbetrieb nur im Ausnahmefall, höchstens im sehr begrenzten Rahmen für wenige Solisten.

Warum arbeiten Sie so häufig mit Masken?

Masken sind zum Beispiel bei einem Opernchor der optimale Ersatz für ein aufwendiges Make-up, denn wollte man einen Chor aufwendig schminken, bräuchte man dazu vierzig Maskenbildner. Es sollten allerdings Masken sein, die auf der Basis eines Gesichtsabdrucks des Sängers hergestellt wurden. Es ist ein sehr großer Aufwand, denn sie müssen optimal passen, sonst stören sie sehr. Es kostet viele Nerven. Sänger hassen Masken, aber die Wirkung eines achtzigköpfigen Chors in identisch geschminkten Masken ist unschlagbar. Für mich gehören Masken zum Theater. Man sollte nicht zurückschrecken vor den Problemen, die damit verbunden sind. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen!

Wie schaffen Sie es, mehrere Produktionen an verschiedenen Orten zu machen? Ich versuche das zu vermeiden. Wenn sich Produktionen überschneiden, dann gehe ich mit diesem Problem offensiv um. Ich verheimliche es dem Regisseur auf keinen Fall und kläre es im Vorfeld. Vor allem verspreche ich nichts, was unrealistisch ist. Ein guter Assistent, zu dem der Regisseur Vertrauen hat, ist die beste Versicherung gegen Konflikte wegen Abwesenheit. 

Welche Bedeutung hat ein persönlicher Assistent?

Ich arbeite ungern ohne persönlichen Assistenten, selbst wenn ich durchgehend anwesend bin. Es muss immer jemand auf der Probe sein, aber das muss nicht bei allen Proben ich sein. Er hält mir den Rücken frei und kümmert sich um die Probenkostüme. Ich beziehe ihn frühzeitig in meine Überlegungen ein und er ist bei allen wichtigen Gesprächen im Team anwesend. Research mache ich weitgehend alleine, es sei denn, es handelt sich zum Beispiel um die Frage, wie eine russische Uniform im Jahr 1860 ausgesehen hat, etc. Außerdem mache ich die Kostümabgabe meistens mit genauen Materialangaben. Dieses Material suche ich dann gemeinsam mit dem persönlichen Assistenten, weil ich Muster brauche, um den Entwurf genau durchdenken zu können.

Woher nehmen Sie Ihre Ideen?

Es gibt Opern, bei denen ich, wenn ich sie höre, sofort Bilder im Kopf habe. Wenn die Musik und der Text nichts in mir auslösen, was eher selten ist, dann suche ich Bilder und lese Romane aus der Zeit oder schaue Filme. Ich vermeide es, mir Aufzeichnungen anderer Produktionen anzusehen, weil die Gefahr besteht, davon beeinflusst zu werden, wenn sie gut sind. Manchmal suche ich auch nach Aufführungsfotos meiner vergangenen Arbeiten, um eine Richtung abzustecken. Ich beklaue mich manchmal selbst und nenne das Recycling von Ideen. Die Gespräche mit dem Bühnenbildner und dem Regisseur, der Austausch von Ideen sind ungeheuer wichtig.

Wie läuft eine gute Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner?

Da ich nicht der Meinung bin, dass Kostüme einen geringeren Stellenwert haben als die Bühne, bin ich möglichst bei allen Modellbesprechungen anwesend und oft probiere ich mit den Modellfiguren aus, wie die Kostümkonzeption aussehen kann. Das macht aber nur in Maßstäben ab 1:33 Sinn. Wenn die Figuren zu klein sind, bringt das wenig. Ich denke 1:20 als Maßstab ist nötig, um eine Idee von den Kostümen zu kriegen. Leider ist es heute nicht mehr selbstverständlich, dass diese Zusammenarbeit nicht erst beginnt, wenn das Modell fertig zur Abgabe ist. Bühnenbildner und Kostümbildner sind in meinen Augen gleichwertige Partner. Wenn die Auseinandersetzung nicht auf Augenhöhe stattfindet, versuche ich das zu klären. Lässt sich das nicht klären, lege ich keinen Wert auf weitere Zusammenarbeit. Das passiert nicht häufig, ist aber schon vorgekommen.

Sie haben lange in Hamburg unterrichtet. Wann interessiert Sie die Auseinandersetzung mit den Studenten?

Wenn sie sich interessieren. Ich muss verstehen, was sie vom Theater wollen. Da ich mir mein Wissen mehr oder minder selbst zusammengetragen habe und es mir niemand „beigebracht“ hat, erwarte ich Eigeninitiative und Fragen. „Beibringen“ klingt für mich wie „hinterhertragen“. Handwerkliche Begabung und eine große Neugierde, das sind auch Dinge, die man nicht beibringen kann.

Wann wissen Sie, ob jemand für den Beruf geeignet ist?

Ich kann es erst sagen, wenn ich mit ihm arbeite, er z. B. eine Hospitanz macht. Das Studium ist das eine und die Praxis ist was ganz anderes. Schöne Entwürfe zeichnen zu können, heißt nicht, dass man im Theater überlebt.

Andrea Schmidt-Futterer wurde in Mannheim geboren. Von 1980 bis 1984 war sie Kostümassistentin an der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin, von 1986 bis 1995 Kostümbildnerin am Schauspielhaus Bochum. Sie wirkte u. a. bei Produktionen von Andrea Breth, Jürgen Gosch, Leander Haußmann, Reinhild Hoffmann, Thomas Langhoff, und Frank-Patrick Steckel mit. Seit 1991 kontinuierliche Arbeit für die Oper, u. a. mit Peter Musbach, Nikolaus Brieger, Nikolaus Lehnhoff und Hans Neuenfels. Andrea Schmidt- Futterer unterrichtete von 1992 bis 1999 Kostümbild an der Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg. Sie lebt in Werder bei Berlin.

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