Das Spiel von der Einverleibung
Frei nach Unica Zürn
von Natascha Gangl
Erschienen in: Recherchen 167: Dramatisch lesen – Wie über neue Dramatik sprechen? (05/2023)
EIN TRAUM
Du stehst im Raum, es ist dunkel. Du hörst eine Türe sich öffnen, und kein Körper, aber eine Stimme tritt ein. Es ist die Stimme von Ingeborg Bachmann, die sich langsam Worte sucht:
»Die Bewusstseinslage in einer Zeit … das heißt doch nicht, dass man die Sätze nachspricht … die diese Gesellschaft spricht … sondern sie muss sich anders zeigen … radikal anders zeigen, sonst würden wir nie wissen … was diese Zeit war. Die Jugendjahre sind, ohne dass ein Schriftsteller das anfangs weiß, sein wirkliches Kapital, nur dass man erst in späteren Jahren zu begreifen anfängt, was man … mit dem ersten Blick gesehen hat … den man vielleicht niemals oder nur manchmal wieder geschenkt bekommt.«1
Es wird still. Wieder öffnet sich etwas – eine Tür? Ein Fenster? Etwas geht auf und ein großer weiter Satz stellt Unica Zürn vor.
Der Satz sagt:
Ich bin ein altes Kind.2
SEHEN SIE MIR IN DIE AUGEN
Du denkst zurück an deinen ersten Blick beim Augenarzt. Seine Sehtests waren Holztafeln mit Zahlen und Dias von Tieren. Besonders gefreut hast du dich, wenn er die Dias von den Pferden eingelegt hat. Eine Szene, die sich einmal pro Jahr eine...