Theater der Zeit

IV Jelinek / Abfall von der Rolle Frau und von allem

Im Abseits. Theater schreiben

von Ulrike Haß

Erschienen in: Kraftfeld Chor – Aischylos Sophokles Kleist Beckett Jelinek (01/2021)

Assoziationen: Theatergeschichte

Wolfsmenschen mit Brüsten auf etruskischen Vasen etwa um 600 v. Chr.
Wolfsmenschen mit Brüsten auf etruskischen Vasen etwa um 600 v. Chr.Wolfsmensch auf der etruskrischen Amphore von Cerveteri (oben). Etruskische Schale, Etruskisches Nationalmuseum Rom, (unten). In: Gilles Deleuze/Felix Guattari, Tausend Plateaus, Berlin 1992, S. 317Foto: von Chuzeville

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Wie entdeckt Jelinek den Chor? Wie entstehen Jelineks chorisch-monologische Suaden mit ihren fluiden, wechselhaft gegeneinander und ineinander übergehenden Sprecherinstanzen? Mit ihren abrupten Wechseln zwischen Ich und Wir, ihren unvermittelt dazwischenfahrenden Anreden: hören Sie! Woher dieses unverwechselbare Glissando ihrer Sprache? Ich glaube, es ist die weggeworfene Rolle Frau, aus der alle weiteren Schritte hervorgingen. Weder logisch noch folgerichtig, sondern durch ein Ereignis, das sich rhizomatisch ausbreitet und alle Fragen in mikrologischer Manier erfasst. Dieser schon zu Beginn unerbittlich geschürzte Knoten hat weiterhin mit einem Merkmal dieses Werks zu tun, welches in der inflationären Rede von den Textflächen immer wieder unterzugehen scheint: Nämlich, dass dieses Werk von der Frage des sprechenden Körpers aus insistiert. Dieser Körper ist als geschlechtlich zwanghaft identifizierter Körper, als Rollenkörper und als vermeintlich natürliches, unentgeltliches Beiwerk irgendeines Erscheinens verworfen, aber als Frage des sprechenden Körpers ist er nicht erledigt. Als Körper auf einer Bühne, aber auch als Gegenstand einer niederen Mimesis und eines alltäglichen Wissens sind (Chor)Körper nicht verworfen.

Leisten Intertexte wirklich die ganze Arbeit?

In vielen Kommentaren scheint es so, als würden Jelineks Textflächen derart ausufern, weil es die Wirklichkeit in den social media news, Nachrichten und Liveticker selbst tut. Als „eine ‚Moralistin‘ der schlechten Wirklichkeit“341 fährt Jelinek den medialen Blasen mit der Absicht einer Entlarvung kontaminierter Reden dazwischen – und perpetuiert sie damit in gewisser Weise. Aber ist in dieser Erklärung nicht auch eine gewisse Abwehr zu spüren? Wehrt ihr Rationalismus nicht in gewisser Weise die Mimikry ab, mit der sich sprachliche Verfahren Jelineks an „schlechte Eltern“342 anschmiegen? Neigt sie nicht dazu, Jelineks sprachmimetische Entstellungen für bloße Obsession zu halten? Oder für eine bloße Metapher der dichterischen Arbeit mit der Sprache selbst, sodass ein Vampir stets für den strukturellen Vampirismus einer sich entziehenden Sprache einsteht? Anstelle eines Pandämoniums der Pornografie wie in Lust (1989) werden dessen sprachliche Wirkungen als Intertexte analysiert und führen dieserart auf die bekannte Einsicht zurück, dass „der Inter-Text die Unmöglichkeit außerhalb des unendlichen Textes zu leben [ist] – ob dieser Text nun Proust oder die Tageszeitung oder der Fernsehschirm ist“343. Aber leisten Intertexte wirklich die ganze Arbeit? In Lust heißt es: „hören Sie! Die Sprache selbst will jetzt sprechen gehen!“344 Aber gibt dieser Ausruf schon die ganze „Spielregel des Textes“345 ab? Woher diese Suche nach einem Haken, an dem sich die strömende, vielleicht unerträgliche Rede der Texte irgendwie festmachen lässt?

Lektüren wie die hier zitierte von Stephanie Kratz legen nahe, dass es immer wieder um den Skandal der weggeworfenen Rolle geht, um den Skandal, dass Jelineks Figuren nicht sprechen. Das Verhältnis zwischen Figur und sprechenden Körpern wird so aufgefasst, als ginge es Jelinek um eine „Austreibung der Sprache der Lebenden“346. Damit wird Jelinek die Absicht eines Programms unterstellt, das „Programm einer permanenten Defiguration“347 etwa. Zum anderen wird Intertextualität selbst zum Programm überhöht, indem die sich multiplizierende Aktivität von Texten im Verhältnis zu anderen Texten eine Vervielfachung der Bezüge zur Folge hat, denen mit akribischer Verweissuche nachzugehen ist. In jedem Fall bleiben jedoch die Körper (wie Hunde vorm Fleischerladen) draußen. Die Frage des sprechenden Körpers entfällt genauso wie die Frage nach einem Theater, das nicht mit seinem Betrieb übereinkommt oder die Frage nach dem Ort der Autorin. Wenn es um „Texttheater und Theaterlektüren bei Jelinek“ geht, sind die zwecklosen Körper an der Garderobe abgegeben worden, aber der Sinn ist nicht egal, sondern tritt als Rationalismus-, Patriarchats- und Repräsentationskritik auf und erklärt diese Kritik wie selbstverständlich auch zur Generalaufgabe von Theater (das nicht danach gefragt wurde).

Hingegen Jelinek: „Die Macht will sich selbst auf Personen aufteilen. Sie will nicht, daß ein Autor das tut. Dagegen kann sie sich aber nicht wehren. Jetzt spreche ich.“348 Bei Jelinek heißt es nicht, wie im Fall einer auratischen Sprachauffassung: „Die Sprache spricht“349. Jelinek sagt vielmehr, dass sie „die Sprache sich selbst im Schreiben und im Sprechen entlarven lassen“350 möchte. Im Schreiben, im Sprechen (und im Lesen) sind aber die Körper wieder dabei, jedoch nicht als Bild oder als Entität. Schreibend, sprechend oder lesend geöffnete Körper insistieren als Frage des Ortes, den sie aufspannen. Und mit dieser Frage nach dem Ort verschieben sich repräsentationslogische Fragestellungen in den Bereich der Topologien, an dem wir nicht Figuren antreffen, sondern Orte und Namen. Mit Orten und Namen entsteht auch die eröffnende Figuration des Theaters: der Ort des Chors als ein vielstimmig geöffneter Sprachort. Er bewirkt, dass sich das Einzelwesen in seiner Fassung als Relationsbündel entpuppt. Einzelne mögen Namen tragen wie Nora, Andi, Elfie Elektra, Jackie, Ulrike Maria Stuart etc., aber den Grund für ihre Namen haben sie ausschließlich als Produkte einer unabsehbaren Verwobenheit mit abstrakten Verhältnissen jeglicher Art, die das Einzelwesen ursächlich, vorgängig und sehr viel weniger speziell als gedacht durchziehen. Namen gleichen Verkehrsknotenpunkten von Außenbezügen, die sich in den Vordergrund, an den vakuumgewordenen Ort des Protagonisten drängen. Hier platzt dann der Knoten oder er kann geöffnet werden: als Wimmelbild oder als Sprachort eines schier endlosen chorisch-monologischen Sprechens.

Über Namen (Topologie)

Für das Verhältnis von Name und zugeschriebener Rede ist der Dialog über den Dialog351 von Jean-Luc Nancy und Philippe Lacoue-Labarthe aufschlussreich. In Bezug auf jedweden klassischen dramatischen Text betont Nancy, dass der Name „gewissermaßen außerhalb des Textes selbst“ stehe und einen „Quasi-Text“ bilde, der „von aller Syntax entbunden ist“. Der Name bezeichne eher einen „Ort (des Aussagens)“ als eine Figur im figürlichen Sinn. Zudem gelte für einen Namen im dramatischen Text, dass er stets zu mehreren Namen gehöre, zu einer ganzen Topologie von Orten des Aussagens. In ihrem, ihnen inhärentem Zusammenhang bilden die Namen „eine Topologie derer, die präsent sind, während der eigentliche Text die Präsentierung dieser Präsenten übernimmt“. Nancy spricht von Präsenten/Anwesenden, die nicht einfach anwesend sind, sondern an der Stelle dieses Seins gerade nicht sind, während der eigentliche, also der zur Aussprache bestimmte Text, die Funktion übernimmt, diejenigen, die am Ort des Aussagens nicht sind, zu disponieren. Der Name bezeichnet mithin einen Ort des Aussagens, aber erst seine Öffnung im Aussprechen ermöglicht die Mitteilung der Stimmen (partage des voix). Aufgrund dieser anfänglichen Teilung wird die Theaterfigur jedoch nie voll. Oder wie Nancy hinzufügt, „vom Faktum dieser anfänglichen Teilung bleibt bis zum Schluss etwas Topologisches zurück, das den Theaterfiguren anhängt.“ Das heißt, sie bleiben in der Ordnung einer Anwesenheit äußerlich. Niemals können sie zu Figuren werden, die sich präsentieren.

Noch einmal gut zehn Jahre früher als dieser Dialog über den Dialog352 nimmt Jelinek ihre Auseinandersetzung mit dem Status der Theaterfigur auf und eröffnet ihr erstes Stück Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hat oder Stützen der Gesellschaft mit „Nora“, die als Theatername auftritt und damit bestätigt, dass der Name außerhalb des Textes steht, also wandern kann. Als Name ist „Nora“ weiterhin Teil einer Topologie, denn es ist nicht möglich, von einem Ort im Singular auszugehen. Als Ort einer Disposition und durch dessen Logik strukturiert, führt „Nora“ andere Topoi mit sich, andere Theaternamen und schon gehandelte Bezüge (das Puppenheim, das Geld oder das Subjekt-Objekt-Verhältnis von Mann und Frau). Jede Rede, die im Stück von Jelinek durch die vier Buchstaben „Nora“ angeführt wird, kommt aus einem Woanders, das aber auch nicht einfach mit dem Namen Ibsen übereinkommt. „Nora“ ist weder Original noch Zitat, sondern ein Name, der aufgrund seiner Autonomie auch die heftigen Auseinandersetzungen anführte, die zur Zeit Ibsens im Namen von „Nora“ über die weibliche Emanzipation geführt wurden. Jelinek knüpft hier in doppelter Weise an: zum einen nimmt sie „Nora“ mitsamt ihrer Topologie als wandernden Theaternamen ernst, zum anderen entreißt sie der Diskursmaschine „Nora“ den Emanzipationsdiskurs. Auch für „Nora“ gilt bei Jelinek: „Ich führe Personen auf die Bühne, die die Macht wie einen ausgezogenen Fetzen hinter sich herschleppen, und wenn der Fetzen bis ins Kleinste noch weiter zerfetzt ist, zerfetzt sich die Macht irgendwann selbst.“353 Die Aussagen, die „Nora“ im Stück Jelineks zugeordnet werden, zerfetzen sie als Theaterfigur und als Diskursmacht.

Ein anderes Beispiel für die Produktivität solcher ‚Quasi-Texte‘ der Namen ist das Stück Stecken, Stab und Stangl. Eine Handarbeit. Die Genre-Bezeichnung signalisiert, dass die Arbeit der Autorin auch einer Handarbeit gleicht, hier einer Häkelarbeit, bei der mit der Häkelnadel Stab um Stab die Lettern aufgenommen werden und ein Stück ergeben, in dem jeder Mann „Stab“ heißt. Der Titel ruft eine schier unglaubliche Vieldeutigkeit auf. Das Stück behandelt den Meuchelmord an vier Roma im Burgenland, die bei ihrem Versuch, ein Schild („Roma, zurück nach Indien!“) zu entfernen, durch eine Sprengladung, die am Ende des Steckens im Boden befestigt war, in die Luft gebombt wurden. Stangl ist Franz Stangl, der Name des KZ-Kommandanten von Treblinka, verantwortlich für den Tod von nahezu einer Million Juden. Ein Journalist, der in Wirklichkeit ausgerechnet Richard Nimmerrichter heißt, hetzte als Kronen-Kolumnist alias Staberl jahrzehntelang triebtäterhaft gegen alles, was ihm nach Opposition roch. Stecken und Stab sind dem Psalm Davids Der Herr ist mein Hirte entliehen, dessen Trostversprechen den falschen Leuten seit jeher zu ihrer sonntäglichen Selbstberuhigung dienten und dienen. Jelineks Text schlägt vor, dass die Schauspieler während der Aufführung ständig häkeln, sich aneinander festhäkeln oder wieder auseinanderhäkeln. Die Häkeldecke bezeichnet Jelinek in einem Interview als „äußerste Parodie“ für einen „Boden […], der natürlich jederzeit aufzutrennen und zu zerreißen ist. Denn diese Decke über unserer Geschichte wird immer wieder aufreißen […] unsere Geschichte, auch die deutsche, wird uns weiterverfolgen. Je öfter sie für beendet erklärt wird, je öfter wird sie uns verfolgen.“354 Die elastische Komposition dieses Stücks ist außerordentlich. Sie versammelt die Verbrechen in den KZ-Krematorien und ein tagesaktuelles Verbrechen als mörderische Handarbeit sowie die Boulevard-Medien als Häkelarbeit an einer Decke wie ein Teppich, wie ein Boden, der nichts hält. Jelinek komponiert diese Handarbeiten mimetisch und kontrapunktisch zugleich. Ihre Sprachpraxis beschreibt sie als „dieses in fremden Zungen reden, so wie der Heilige Geist als Zunge über den Köpfen der Gläubigen schwebt“ (ebd.). Deutlich tritt die Plastizität unendlich faltbarer und gefalteter Außenbezüge in den Vordergrund. Jede Oberfläche löst sich, wenn sie topologisch gewendet wird, aus der ermüdenden Konkurrenz der Dimensionen. Sie wird zu einem porösen Schwellenraum, der Tiefeneffekte jeglicher Art in seinen Vordergrund aufsaugt. Aus der Tiefe der Oberfläche sprechen „fremde Zungen“ uns an. Dabei macht es einen Unterschied ums Ganze, ob wir alle denselben Bedingungen unterliegen, die wir natürlich jederzeit kritisieren können, oder ob wir angesprochen werden.

Disponierte Körper

Wird die Rolle Frau verworfen, muss die Theaterrolle folgen. Ein Ensemble lässt sich schlecht nur halb in die Tonne treten. Die Theaterrolle gehört zur Epoche der Rollen. Sie kann daher nicht nur teilweise entfernt oder bloß anders verteilt werden. Wird die Rolle jedoch als Topologie entdeckt und als Netzwerk entfernt, bleiben keine ‚Personen‘ auf der Bühne über, sondern disponierte Körper.

Körper sind, sobald sie auf einer Bühne erscheinen, schon einer Anordnung gefolgt, die im szenischen Dispositiv vorliegt.355 Schauspieler in diesem Dispositiv – und woanders können sie nicht auftreten – sind per se körperlos. Das leuchtet für den Film ein, der ihren Körpern die Lichthaut abzieht, gilt jedoch auch für die Bühne, die ihre Körper augenblicklich mit einer bestimmten Abwesenheit durchzieht, sodass ein Körper auf der Bühne nie weiß, wohin mit sich. Disponierte Körper gehen aus einer anfänglichen Teilung hervor, die sich in der Zeitlichkeit der Bühne nicht verbraucht oder verringert, sondern vervielfältigt. Das Spielen, Sprechen spannt die Körper auf, verwickelt sie in ein verzweigtes Anderswo und faltet die vermeintliche Anwesenheit dieser Körper in sich ein. Zeitverschiebungen im Spielen, im Sprechen implizieren Ortsverschiebungen. Keine Geste, kein gesprochenes Wort kommt je zurück. Sie sind fort und lassen dadurch die Körper, wie im Tanz, in verschiedene Zustände auseinandertreten. Nur die Vorstellung, der Körper sei im Raum, lässt ihn für uns zum Bild gefrieren. Doch das szenische Dispositiv ist kein Raum, sondern Bedingung einer Disposition. Schauspieler in diesem Dispositiv gleichen, ganz so wie es der medizinische Begriff der Disposition besagt, einem anfälligen Körper. Ein Dispositiv ist nicht bewohnbar, sondern überträgt sich als unbestimmte Spannung, die den Raum in den Körpern und ihre Aufspannung als Ort bewirkt.

In ihrer Poetologie der Bühne spricht Jelinek schon sehr früh dieses szenische Dispositiv an, wenn sie in Ich möchte seicht sein356 ein Theater zurückpfeift, das nur „Darsteller von Darstellern“ kennt und stattdessen vorschlägt: „Wir machen vielleicht einen Film aus ihnen […] Aber einen Film als Theater, nicht ein Film als Film!“ Damit wird nicht nur eine fällige Medienkonkurrenz unterlaufen. Im Topos ‚Film als Theater‘ wird auch die Körperlosigkeit und die spezifische Abwesenheit disponierter Körper vollständig erfasst, ihre Anfälligkeit und Aufspannung für etwas, ohne „sich selbst zu bedeuten“ (ebd.). Sinn egal. Körper zwecklos setzt diese Poetologie der Zwecklosigkeit disponierter Körper fort und insistiert: „Sie dürfen aber auch nicht sie selber sein wollen. Das Allerschlimmste ist, wenn sie was sie da werden sollen mit dem in Übereinstimmung zu bringen suchen, was sie bereits sind.“ Mit Unbedingtheit hält dieser Text fest: „Die Schauspieler SIND das Sprechen, sie sprechen nicht.“

Das Sprache-Sein und die Bedingung des Auftretens werden in diesem Satz zu einer einzigen Bewegung verbunden. Obwohl das Sprache-Sein in diesem Satz eine Folge oder Relation abwehrt, handelt es sich bei den Substantiven „Schauspieler“ und „Sprechen“ doch um eine Konjunktion, die hier durch eine Zuschreibung (SIND), durch einen harten Schnitt, der einem Urteil gleicht, signalisiert wird. Die Zusammensetzung selbst deutet auf die Extension hin, in der disponierte Körper im Sprechen weder dieselben noch bei sich bleiben. Diese Ausdehnung affiziert andere, die sich ihrerseits exponieren – Körper, Punkte, Zonen, Stimmen, Stoffe, Intensitäten. Das Ineinander- und Auseinanderfallen all dieser Verschiedenheiten setzt sich fort. Dabei wird jedes einzelne Teilchen immer mehr von sich selbst verschieden und die Teilchen untereinander werden niemals ein Ganzes. Der Versuch, die Entstehung einer szenischen Assemblage zu beschreiben – Körper, die ohne darstellerische Aufgabe zum Transport einer Figur sich zwecklos einstellen, mithin nicht sich stellen, sondern einstellen und Eingang nehmen, indem sie sich exponieren, unversehens unter anderen und unter anderem – verwandelt sich unweigerlich in eine Beschreibung des Chorischen. Nur die szenische Assemblage des Chors entspricht diesen zwecklosen Körpern, die das „Sprechen SIND“. Chorkörper SIND sprechende Körper, aufgehängt „im Schacht einer anderen Dimension, die nicht Wirklichkeit, aber auch nicht Theater ist“. Begreifen wir hier den „Schacht einer anderen Dimension“ als den Außenbezug, den der Chor inmitten von Gründungs- und Selbstbehauptungslogiken aufrechterhält, weil er von woanders kommt, dann haftet dem Chor von daher etwas an, das „nicht Wirklichkeit, aber auch nicht Theater ist“. Es begleitet ihn etwas, das wie eine Erinnerung an die Werdenskräfte eines energetischen, formlosen Kosmos wirkt und daher Wirkungen zeitigt, wie sie Deleuze und Guattari für das moderne Zeitalter des Kosmischen ausmachen.357 Wie das Auffangen von Kräften, dem sich etwa das Sichtbarmachen Paul Klees verschrieben hat oder wie die Landschaften Cézannes, die von magnetischen und thermischen Kräften durchzogen werden, verhält es sich auch mit einer chorischen Assemblage, die sich aus somatisch-affektiven Kontaktnahmen zusammensetzt, die ein Chor weder selbst verursacht hat, noch zu rahmen weiß – obwohl die Aktivität des Chorischen nicht ohne Wissen ist. Mit dem Sprachort des Chorischen und mit seinem Wissen steht Jelineks Schreiben in engstem Kontakt, auf diese läuft es zu, mit diesen verläuft es sich und vervielfältigt sich unablässig.

Inversionen

Bildoberflächen lassen sich topologisch wenden, das Möbiusband hat es vorgemacht. Doch wie lassen sich topologische Verfahren der Inversion in die Domäne von Figuren und Körpern übertragen, zumal Körper von Lebewesen sich ja nicht ohne Weiteres umstülpen, falten oder möbial verknoten lassen? Wie Wolfram Pichler am Beispiel des bildenden Künstlers Dieter Roth zeigt, der sich mit der Figur unter dem Diktat ihrer Sichtbarkeit befasst hat, lässt sich die Zwischenräumlichkeit als eine eigene Gestalt und als eine eigene Subjektivitätsform auffassen.358 Subjektivierung spielt sich nicht in einem Subjekt ab, sondern im instabilen, sich in unendlicher Selbstdifferenzierung entfaltenden Zwischen-Mehreren. Subjektivierung ist offen zur Alterität hin. Unter zwischenräumlichem Aspekt werden die partizipierenden Figuren oder Körper Teil der Entfaltung einer Subjektivierung, die ihnen nicht zugehört. Mehr noch: Partizipierende wären dann ohne ‚eigene‘ Subjektivität und von ihren Umwelten derart durchdrungen und „so vollkommen nach außen gekehrt, dass zwischen Innen- und Außenraum eine reversible Beziehung besteht“359. Ihre unendliche Verwobenheit mit einem vorgängigen, nicht-metrischen Außen entfaltet „unmögliche Möglichkeiten“360. Wie beim Möbiusband verwehrt die komplette „Auswendigkeit dieser Figur“ die Schließung jedweder Figur, übertreibt sie ins Drunter und Drüber. Aber nicht als Utopie, sondern als Notwehr.

Wie lässt sich Topologie inkorporieren? Ein solches Unterfangen gleicht dem Versuch, im eigenen Körper umzukehren. Sie demoliert ihn notwendig und lässt ihn hinter sich – um zu sprechen. Die Frage insistiert vom Visuellen her lässt sich auch nur vom Visuellen her mit der notwendigen Radikalität stellen. Einer Trägheit unserer Fantasie zufolge sind wir ständig bereit, auch nur die geringsten Hinweise für die Vorstellung von Körperbildern zu verwenden. Innerhalb dieser Phantasmagorie gilt es umzukehren, bis sich der Hintergrund an die Stelle einer Figur im Vordergrund schiebt und diese ersetzt. Wir könnten aber auch sagen: bis sich die Zwischenräumlichkeit und das Feld der chorischen Bezugnahmen an den vakuumgewordenen Ort des Protagonisten schieben. Dabei lassen sie diesen Ort aufplatzen, sie vervielfältigen ihn. Wie, das ist egal, ob als Wimmelbild oder als sprachliche Gebilde ohne Anfang und Ende oder beides in einem. Immer entstehen Räume ohne Vordergrund, flachen Räume, die sich jetzt erst recht als Räume verhalten, die sich ausstreuen und zu allen Transformationen fähig sind, welche biegsame und mit einem Außen innig verwobene Räume auszeichnen.

In ihrem Text Es ist Sprechen und aus, der 2013 als Grußbotschaft an das Wiener Burgtheater ging, das seinen 125. Geburtstag feierte, illustriert Jelinek die Unmöglichkeit, die inkorporierten Topologien ihrer Texte in bildhaft geschlossene Figuren stopfen zu wollen. Sie brechen aus ihnen hervor wie ein Chor. Jelinek sagt von ihren Texten:

„Man hat sie oft mühevoll in eine Figur gezwängt, eingenäht in ein Raubtier, wie die sechs minus einem Geisslein (das dann eine größere Rolle übernehmen darf als seine Geschwister), die auf einmal, völlig überraschend, Steine waren und sogar einen Wolf täuschen konnten, bis der den Abgang in die Versenkung gemacht hat. Oder all die Krieger (einer von ihnen wird schon im Vorhinein von Odysseus erstickt, damit er seinen Text nicht mehr bringen kann), die, hineingezwängt in das Trojanische Pferd, hinter dieser rasch, in nur drei Tagen, zusammengeschusterten Kulisse auf ihren Auftritt warten: Gleich werden sie, mitsamt ihren Kollegen im Chor, aber nicht als Chorknaben, über die Stadt herfallen! Doch diese, jede Hülle platzt auf (als wäre das Chaos nicht schon groß genug oder als wäre es nicht klein genug!) und gibt etwas frei, das im Augenblick des Sprechens aber schon wieder verschwunden ist.“361

Räume ohne Vordergrund bilden keine bloß virtuellen, luftigen Gebilde. Vielmehr lassen sie die Bildhülle aufplatzen und werden zum Interface und zur Phasengrenze zwischen zwei vermeintlich inkompatiblen Ebenen: Sprach-Flächen und Chor-Körper berühren einander. Mit ihren permanenten Ein- und Ausfaltungen berühren sich Sprachwissen und das alltägliche Wissen beliebiger Körper: gewichtig wie Steine, vielzählig wie Geißlein, namenlos wie die Krieger vor Troja. Getötet, vergiftet, drogiert, von Organauflösungen überschwemmt wie im Fall des toten Leistungssportlers Andi. Für ihre minutiösen Sondierungen auf schier endlosen Sprachflächen lässt Jelinek das Wissen der Sprache zu Wort kommen und dramatisiert dieses Wissen immer wieder in Berührung mit den Ereignissen beliebiger Körper. Bis ich am Boden aufschlage, sagt Jelinek.362 Die unwahrscheinliche Begegnung von Sprach-Flächen und Chor-Körpern ereignet sich nicht von selbst. Sie bedarf einer ebenso unwahrscheinlichen Arbeit, die zwingend von einem dritten Ort ausgeht, den Jelinek als „Abseits“ beschreibt.

Die Autorin als Sprachort

In ihrer Nobelpreis-Rede Im Abseits positioniert Jelinek ihr Schreiben zwischen zwei Räumen, denen gegenüber sie ihr Schreiben als Nachschrift, als Nachsagen, als Abfall charakterisiert. Diese beiden Räume sind zum einen das unaufhörliche, ununterbrochene Murmeln der Sprache in den Medien, zum anderen der poetische Raum als ein ungeordneter, chaotisch quellender Raum aus Sprache. Dazwischen ist die Dichterin mit ihrer Sprache unterwegs im Abseits, auf einem schmalen Pfad, kaum zu sehen, der Weg des Schreibens, eine verwischte Spur, man ist gar nicht da. Die Sprache wird als ein eigenartiger Hund beschrieben, der gerne zu den anderen auf dem Hauptweg überläuft, zu denen, die mitten im Leben stehen wie man sagt. Diese Leute reden in einem fort. Es ist immer nur ein Reden, sagt Jelinek, kein Sprechen. Jelinek befindet: „Diese Sprache mag mich nicht, sie ist ungehorsam. Sie läuft wie ein Hund neben diesen Leuten her. Sie wird sich überfressen an der Wirklichkeit auf diesem Hauptweg.“

Da die Dichterin ihr Abseits niemals verlässt, vollzieht sich der Kontakt mit ihrer Sprache über das Hören-Sagen. Die Sprache schreit ihr ins Ohr. „Ich soll einfach sagen, was sie mir vorsagt.“363 Im Nachsagen ändert sich der Status des Sagens: „Das Sagen meiner Sprache, da sie sich von mir getrennt hat, ist sofort ein Aussprechen geworden.“ Keine Aussprache mit jemandem, eher ein prüfendes Aussprechen, das „jederzeit und immer noch verbessert werden kann“. Dieses Aussprechen ist adressierte, zeitoffene Rede, die auf nichts berechnet ist und mit nichts rechnen kann. Jelinek beschreibt dieses Aussprechen als einen isolierenden Akt. Sie begrüßt ihren treulosen Gefährten mit den Worten: „Ich dachte, du wolltest nicht mehr zu mir zurück. Ich erkenne dich ja gar nicht wieder.“ Dann kommt das Nachsagen, das zum Aussprechen wird. „Der Rückstoß dieser Sprache“, sagt Jelinek, „treibt mich immer weiter ins Abseits hinein“, während der Hund Sprache sich „dort drüben“ kraulen und liebkosen lässt. Auch wenn ihre Sprache „derzeit nicht zu Hause ist“, hört sie die Sprache: „Sie sagt umso mehr, je ferner sie mir ist. Das Nachgesagte ist jetzt das eigentliche Sagen. Man soll der eigenen Sprache nicht zu nahetreten. Sie verspricht mir alles, wenn ich ihr bloß nicht nahekomme. Dabei ist es meine. Wie finden Sie das?“

Der Raum der Talkshows, der Fernsehmoderatorinnen, der Nachrichtensprecherinnen, der offiziellen politischen Diskurse, der Internetforen, der Sender, die dauernd etwas senden, sagen, meinen und labern und nicht gehört werden, aber Jelinek hört sie. Es ist ihre Sprache, die dort schreit, „damit sie fortbleiben kann.“ Jelinek spricht ihr nach und dabei durchläuft die Sprache ein Korrekturband, das Jelinek ebenso wenig gehört wie ihre Sprache. Im Korrekturmodus gehört ihre Sprache einem anderen unpersönlichen Raum zu, der noch viel größer ist als der Laberraum des Jetzt („das liebe Jetzt, das ich nicht leiden kann“, Es ist Sprechen und aus). Dem poetischen Raum gehört nicht nur die eigene Sprache zu, sondern alle Sprachen, alles Geschriebene aller Toten, die je etwas dazu gelegt haben in diese Dunkelkammer aus Sprache. Ein topologisches Geflecht, das aus ständig bewegten und veränderlichen, räumlichen Beziehungen in der Sprache besteht, noch bevor diese in die Bildung bestimmter, konkreter Worte eingeht. Der poetische Raum tritt in jeder sprachlichen Suchbewegung unvermeidlich auf und wird aktiv, weil er zur Gänze aus chaotischen Gemengen, Gemischen und Konvulsionen in der Sprache besteht. Er öffnet Wörter, Rhythmen, Satzbewegungen in blitzhaften Bezugnahmen zueinander. Immer schafft er dabei Raum und streut sich aus – und zieht dabei Schreibende, die sich ihm darbieten, hinter sich her, reißt sie mit. Es geht um eine Bewegung des Auswendigwerdens von Sprache, und die Dichterin selbst wird zum Ort dieser Bewegung. Sie wird zum Sprachort. Ihr Sprechen öffnet diesen Ort und gewinnt ihm rückhaltlose Darbietungen ab.

Jelinek gibt (uns) eine außergewöhnliche Beschreibung dieses poetischen Raums:

„Es klafft auf, das Chaos, und spuckt etwas aus, aber Menschen sind es nie. Es ist Sprechen und aus. Es dauert seine Zeit, die davor meine Lebenszeit war. Ich weiß schon: meist zu lang! Aber bitte bedenken Sie: Das Sprechen ist vielleicht dieses Chaos, aus dem ich mit meiner Charon-Stange, mit der ich das Totenfloß voranstake (denn Sprechen ist für mich: dem Tod für eine Weile entkommen oder wenigstens ein paar dorthin mitnehmen), ein paar Fetzen Sprechen herausfische, hervorstoße, Fetzen, die immer Teil eines in größten Teilen unsichtbaren, ungeordneten Ganzen sind, das nie ein Ganzes wird, denn das Ganze würde Ordnung ja voraussetzen. Es ist nie alles, es ist nicht einmal etwas. Ich hätte auch ganz andre Fetzen, andre Sätze, andre Worte nehmen können. Ich hätte immer etwas anderes nehmen können, und da sind so viele, die mich schon inständig darum gebeten haben: Bitte wenigstens einmal etwas anderes, alles, nur nicht das! Nicht schon wieder! Aber es geht nicht.

Ich habe nicht die Kontrolle, ich habe vielleicht die Herrschaft über ein endloses Sprechen, das im Vergleich zum Chaos aber gar nichts ist, nur ein kurzes Räuspern vielleicht, aber ich habe keine Kontrolle. Es geht mit mir durch, wie man so sagt. Oft weiß ich selbst nicht, was ich da gesagt habe. Ich weiß nur, ich hätte es nicht mit anderen Worten sagen können.“ (Es ist Sprechen und aus.)

Die äonische Zeit des Chaos kennt keinen Anfang, kein Ende, keine Verneinung. Nicht jenes Chaos, das Apokalyptiker als ‚gähnenden Abgrund‘ schmähen oder das im alltagsprachlichen Verständnis für ‚Unordnung‘ gehalten wird, steht hier Pate, sondern eine größere Vorstellung vom Chaos, wie er im Atomismus epikuräischer Prägung vorliegt. Eine Sphäre, in der vergängliche Zusammenballungen von Atomen unzählig viele Welten hervorbringen, eine Sphäre, in der das Ähnliche vom Unähnlichen noch nicht geschieden ist oder besser gesagt, sich unendlich scheidet. Gleichgültig nimmt sie alles in ihre Ausdehnung auf und bleibt meist unwahrnehmbar. Meistens, das heißt nicht immer. Im Kontrollverlust, wenn das Bewusstsein nicht die erste Geige spielt und nachgibt, klafft das Unbewusste der Sprache auf und spukt Wörter aus, Wortbewegungen, Satzbewegungen, das Sprechen. Es dauert „seine Zeit“, schreibt Jelinek und sagt damit, dass es nicht die sogenannte eigene Zeit ist. Im Kontakt mit dem Chaos tauscht sich Lebenszeit gegen poetisches Sprechen, das somit, während die Dichterin das „Totenfloß“ voranstakt, dem Tod für eine kleine Weile entkommt.

Aus dem „Nachsagen“ einer hündischen, durch Sender, Medien und Foren zugerichteten Sprache wird das „Nachgesagte“. Im „Aussprechen“ handelt die Autorin als Sprachort. In Berührung mit dem poetischen Raum korrigiert ihr Aussprechen die öffentlichen Diskurse. Ihr Sprech-Handeln unterzieht sie einer Prüfung, die bis auf den Buchstaben geht. Ursachenketten werden geöffnet und einer gründlichen Umschrift zugeführt. Jelineks Akte des Widerspruchs sind zahllos. Sie machen die Gewalt dieser unsäglichen Diskurse kenntlich und deren Kriegsgeschrei. Kenntlich gemacht und wahrgesprochen, hört es für einen Moment auf, uns zu schaden. Jelineks Sprech-Handeln verlässt den Bereich der Meinung, der Diskurskritik, der Diskurse überhaupt. Es gehört den Registern der Praxis an. Es ist eine Handlung, ein Akt, eine Gabe, die auf nichts berechnet ist, und daher – unendlich offenstehend – in der Lage ist, uns zu involvieren. Und dann SIND wir im Theater, egal ob wir gerade leibhaftig in einem sitzen oder nicht.

Schmiegsamkeit (niedere Mimesis)

„Ist Schreiben die Gabe der Schmiegsamkeit, die Anschmiegsamkeit an die Wirklichkeit? Man möchte sich ja gern anschmiegen, aber was passiert da mit mir?“ (Im Abseits)

In seiner Einführung zur Mimesis verfolgt Friedrich Balke Konzepte der ‚Schmiegsamkeit‘ bzw. der sich anschmiegenden Wiederholung, genannt Mimesis, von ihren Anfängen in der griechischen und auch römischen Antike an, quer durch die europäische Geschichte bis zur Ausweitung der mimetischen Zone in den Medienkulturen der Gegenwart. Vermutlich lässt sich der Begriff der Nachahmung niemals ganz von seinem üblen Leumund ablösen, der ihm seit seiner Passage durch das lateinische imitatio anhängt. Aber gerade deswegen ist eine Spaltung zwischen niederer und wertvoller Mimesis interessant, die Balke bei Platon hervorhebt und die ich für die chorischen Verfahren Jelineks in Betracht ziehen möchte. In dieser Spaltung reflektiert sich in auffälliger Weise die notwendig unvollständig bleibende Wende vom Kultus zur Gründung von Stadtstaaten. Aus dieser Wende trägt der Chor seine unaufhebbare Janusköpfigkeit davon, mit der er in der Polis als eine Figur der minderen Mimesis erscheint. Platon listet Beispiele der von ihm geschmähten Mimesis auf, die genau die Vermögen einer chorischen Mimesis abbilden, denn mimos bezeichne, wie Hermann Koller sagt, „den Akteur oder die Maske des dionysischen Kultdramas“364.

Mit Platon wird mimesis zum Gegenstand der Philosophie. Im dritten Buch der Politeia legt Platon dar, dass nur eine maßvolle Mimesis, die sich am unvergänglichen Sein der Ideen und ewigen Vorbilder orientiere, der guten Ordnung im Staat zuträglich sei. Eine übermäßige „exzessive Mimesis“365 und distanzlose, tänzerische Verwandlungen verwirft Platon, weil sie sich auf niedere Lebenskräfte beziehen. Zu diesen Kräften zählt Platon alles, was sich affizierend ereignet und nicht die Festigkeit von nachzuahmenden Objekten, Ereignissen oder Figuren annimmt. Die Liste von Beispielen, die Platon mit Mimesis-Verbot belegt, nennt zuerst die Nachahmung von Subalternen: von Knechten, Mägden, Wahnsinnigen oder Schurken, die ‚Schändliches‘ im Schilde führen. Dann die Nachahmung von Frauen durch ‚tüchtige Männer‘, sodann die nicht-sprachlichen Nachahmungen von Wettererscheinungen, von technischen Geräuschen oder von tierischen Stimmen. Balke betont, dass Platons Mimesis-Bann derart erschöpfend ausfällt, weil Platon – im Unterschied zu Aristoteles, der die Mimesis dramenpoetisch einhegt – die Macht der Mimesis „kennt“ und entsprechend ihre „Fähigkeit zur grenzenlosen Darstellung des Minderen, Unwürdigen oder Infamen“ (38) fürchte.

Im zweiten nachchristlichen Jahrhundert wird die niedere Mimesis zum Gegenstand einer großen Apologie. Lukian aus Samosata wendet sich der griechischen Antike mimetisch generierend zu, teilt aber im Abstand von einigen hundert Jahren nicht mehr deren ursprünglich aktuelle Querelen. Seine Lobrede der Tanzkunst ist nach Art eines platonischen Dialogs verfasst, verkehrt aber in ihrer Argumentation die gesamte Position Platons in ihr Gegenteil. In Lukians Dialog werden zunächst die Einwände gegen die exzessive Mimesis vorgetragen, die an Platon anknüpfen, ihn zuspitzen, indem Bezüge zum pangeschlechtlichen Exzess und zu den Baccantinnen betont werden. Tanz erscheint in Gänze als eine „heillose und weibische Sache“ (50), heißt es im Dialog aus dem Mund des philosophiestudierten Kritikers Kraton, der die geschlechterverwirrende Verwandlung eines Manns in eine Mänade als Schreckbild zeichnet. Lykinos hält dagegen, „dass es sich bei der Tanzkunst um einen Gegenstand des Wissens und des praktischen Nutzens handelt“ (51). Er bezieht sich auf die Pythagoreer, die dem Tanz eine ausgleichende Dimension im Sinn kosmischer Ordnung zuschrieben, denn tänzerische Mimesis ahme in einer somatisch-affektiven Kontaktnahme zuerst den Tanz der Sterne nach. Ist der kosmisch-ausgleichende Tanz von ‚praktischem Nutzen‘, so ist das ‚Wissen‘ auf Seiten von Tänzern, die Lykinos zufolge über ein „allumfassendes Gedächtnis“ verfügen müssen. Das gesamte kulturelle Wissen „von der Entstehung des Weltalls bis zu Kleopatra herab“366 müsse dem Tänzer geläufig sein. Tanzkunst wird als Gedächtnisspeicher begriffen.

Mit ‚Sternentanz‘ und ‚Gedächtnis‘ sind Fernbeziehungen bezeichnet, die weit in die Höhe oder weit zurück reichen, würden wir heute sagen. Aber antike Fernbeziehungen gehorchen keinem Zeitstrahl, der in spekulative Höhen oder graue Vorvergangenheiten leitet. Stattdessen folgen sie Oberflächentopologien mit ihrem ausgebreiteten Wissen, das mantisch oder hörend aufgegriffen wird, sedimentiert nicht in einem Kopf, sondern in einer Konfiguration. (Obwohl wir wohl auch dem einzelnen Zuhörer im antiken Theater, wie Loraux schreibt, ein Gedächtnis zutrauen müssen, „wie wir es uns nicht mehr vorzustellen vermögen“367.) Wissen und Gedächtnis werden daher in der Antike solchen Künsten (technē) übertragen, die wie die Seher somatisch und affektiv eine Vielheit namenloser Spuren kontaktieren oder die sich vielgliedrig und polysemisch zu erinnern vermögen wie ein Chor. Im Chor wird die tänzerische Mimesis als chorische Mimesis lesbar. Diese Mimesis gilt stets den fernen Hintergründen, in denen Konstellationen situativ zusammentreten wie eine Stellung der Sterne (die etymologisch auch Pate für den Begriff der Konstellation steht). Es ist gleichsam die situierte Konstellation, für die der Tanz Modell steht. Modell für eine niedere Mimesis, die sich zu einer exzessiven Pantomimesis auszudehnen vermag, zu einer alles nachahmenden Kunst. Nicht, weil sie die Kunst eines allumfassenden Gedächtnisses oder Wissens wäre, sondern weil sie ihrer Struktur nach fähig ist, gleichgültig und unterschiedslos alles nachzuahmen, gilt Tanzkunst als ein schmiegsamer Wissens- und Gedächtnisspeicher.

Pantomimesis ist nicht von Haus aus stumm. Als alles nachahmende Kunst ereignet sie sich auch inmitten von Sprache und Schreiben: als Schmiegekunst. Sie vermag „sehr geschickte Tänzer“, wie Lukian sagt, gleich einem ‚Proteus zu verwandeln‘ (53) und bewirkte im Übermaß auch schon, dass ein Tänzer „gänzlich über alle Grenzen der schönen Nachahmung hinausschweifte“ (54) und kaum oder nur beschämt wieder zurückfand. Im Gegensatz zur Maßnahme an ewigen Ideen wie im Fall der wertvollen Mimesis, hat niedere Mimesis kein Maß. Sie ist unwiderstehlich und daher dem Nichtigen im mikro- wie im makroskopischen Zustand gewachsen. Weil sie kein Maß hat, ist sie existenziell im Sinn einer Praxis.

Pantomimetische Praxis

Für moderne Gesellschaften ist eine verallgemeinerte Generalisierung der niederen Mimesis kennzeichnend. Gabriel Tarde, der nicht zuletzt durch die ihm von Deleuze/Guattari erwiesene ‚Hommage‘368 dem Vergessen entrissen wurde, geht davon aus, dass ein soziales Gefüge niemals aus ökonomischen oder juristischen Beziehungen allein hervorzugehen vermag. Tarde weitet den Begriff der Nachahmung auf alle sozialen, kulturellen Felder aus und bestimmt Gesellschaft als eine „Gruppe von Menschen, die untereinander viele durch Nachahmung […] hervorgebrachte Ähnlichkeiten aufweisen“369. Dabei interessieren Tarde Akte der Mimesis vor allem auf einer suggestiven, mikro-sozialen Ebene, als stimulierte und stimulierende Erzeugungspraktiken in einem chaosmotischen Feld.370 Tarde erhebt nicht nur Einspruch gegen die Illusion, die vermeintlich autonome Individuen zu Urhebern ihrer Ideen erklärt. Er zielt viel weitergehend auf einen unbewussten, gleichsam träumerischen und somnambulen Zustand ab, in dem Nachahmungsstrahlen ihre Wirkungen tun. Tarde schreibt: „Der soziale wie der hypnotische Zustand sind nur eine Art Traum, ein gelenkter Traum und ein Traum aus Handlungen. Die Illusion des Somnambulen wie des sozialen Menschen ist es, Ideen, die er ausschließlich suggeriert bekommt, für spontan zu halten.“ (98) Tardes Theorie der affektiven sozialen Kräfte erfasst diese Kräfte im Bild der Strömung, in der Überzeugungen, Leidenschaften und Begehren fließen. Nichts scheint Tarde weniger zutreffend als „dieser scharfe Bruch zwischen dem Willentlichen und dem Unwillkürlichen, dem Bewussten und dem Unbewussten“ (9). Die Nachahmung erfolgt in modernen Gesellschaften auf dem Hauptweg der Modernisierung, das heißt. auf dem „breiten Fluss ihrer industriellen Produktion und Konsumtion“, die dazu bestimmt sind, die „Nachahmung in außerordentlich großen Maßstab aufrechtzuerhalten und weiter zu entfalten“ (242). Die zahllosen Nachahmungsakte selbst vollziehen sich, Tarde zufolge, unterhalb der Ebene eines Begriffs dessen, was nachgeahmt wird. Sie ergießen sich als „Wasserfall der Nachahmung“ (238) über Kultur- und Ländergrenzen hinweg. Ihr Einflussbereich ähnelt dem einer Mode, die hier im erweiterten Sinn ebenfalls Pate steht.

Zu dieser Verbreitungsdynamik und Ausweitung der niederen Mimesis zu einer mimetischen Kooperation zwischen allen gesellschaftlichen Akteuren, kommen im Industriezeitalter die Maschinen und im 20. Jahrhundert die Technologien und technisch fabrizierten Objekte, die ihren bloßen Objektstatus hinter sich lassen. Die Eigenaktivitäten beteiligter Objekte und Personen plus beteiligter Kontexte, Regeln und Daten gehen einander mimetisch an und bilden Ströme. In ihrer extremen Inkonsistenz und Ausgedehntheit sind sie nicht zu fassen und bilden eine Wirklichkeit, von der wir nicht mehr sagen können, dass sie uns ‚umgibt‘. Vielmehr beginnen wir, uns als ein Gebärdenspiel dieser Wirklichkeit selbst zu begreifen. Dies ist der erreichte Punkt in einem Heute, von dem aus Jelinek fragt:

„Wie soll der Dichter die Wirklichkeit kennen, wenn sie es ist, die in ihn fährt und ihn davonreißt, immer ins Abseits. Von dort sieht er einerseits besser, andererseits kann er selbst auf dem Weg der Wirklichkeit nicht bleiben. Er hat dort keinen Platz. Sein Platz ist immer außerhalb. Nur was er aus dem Außen hineinsagt, kann aufgenommen werden, und zwar weil er Zweideutigkeiten sagt. Und da sind auch schon zwei Passende, zwei Richtige, die mahnen, daß nichts passiert, zwei, die es in unterschiedlicher Richtung ausdeuten, ausgreifen bis auf den unzureichenden Grund“. (Im Abseits)

Lässt sich die Wirklichkeit nicht mehr kennen und nimmt diese einen Weg, vielmehr einen Fluss, dem nichts und niemand gewachsen ist – was bleibt übrig? Jelineks Rede mündet in eine Wahrheit ohne Erkenntnis, die das Versagen der Sprache betrifft: „Ich bin ihr zu Handen, aber dafür ist sie mir abhandengekommen. Ich aber bleibe. Was aber bleibt, stiften nicht die Dichter. Was bleibt, ist fort. Der Höhenflug ist gestrichen.“ (Im Abseits)

Das ist die Ausgangslage für eine unvergleichlich exzessive Mimesis, mit der Jelineks Schreiben sich ‚an die Wirklichkeit anschmiegt‘ und damit notwendigerweise selbst pantomimetisch verfährt. Wenn die Dichterin der Sprache zuhanden ist, während ihr die Sprache abhandengekommen ist, handelt es sich nicht mehr um das Verhältnis von Akteur und Rolle oder von Subjekt und Objekt, sondern um ein Verhältnis, wie es – unter Ägide der Sprache, nicht der Autorin – zwischen einer Serie und ihren Elementen besteht. Exzessive Mimesis führt in die einzelnen Elemente (Objekte, Fälle, Themen oder auch Folgen) marginal begründete Momente der Unähnlichkeit ein und lässt die aufgegriffenen Fälle um diese Momente herum ‚schwanken‘, sodass diese Fälle (Objekte, Elemente etc.) ihr sogenanntes bekanntes Aussehen einbüßen und ihre Erscheinung durch eine Vielfalt von koexistenten „Zweideutigkeiten“, die sofort in unterschiedliche Richtungen ausgreifen, von innen her gesprengt wird. Die Inversion beschreibt eine Praxis, der auch die sprachlichen Verfahren Jelineks verpflichtet sind, wenn sie Materialisierungen aufs Korn nimmt, die sich nicht mehr dem Abstand von Original und Abbild verdanken, sondern mimetischen Verflechtungen ohne Original. Der Begriff Materialisierung verweist hier, anders als es der umgangssprachliche Gebrauch des Wortes nahelegt, auf Oberflächen ohne transzendentalen Ort. „Der Höhenflug ist gestrichen.“ Materialisierungen ereignen sich unterhalb der Spiegelrelation. Sie verhalten sich abstandslos und wahllos, niemals unmittelbar, sondern stets vermittelt und unkenntlich zusammenhängend. Intraaktiv wie Gas, das sich ausströmt.

Pantomimetische Praxis zeichnet sich durch Besonderheiten aus, die ihr eine semistabile Kontur verleihen. Folgende Punkte möchte ich hier mit Blick auf Jelinek hervorheben: (1) Pantomimetische Praxis widmet sich allem, was vom Kunstschönen ausgeschlossen wird, weil es sich ordinär oder gemein anstellt. (2) Sie widmet sich Oberflächentopologien, unkenntlichen Zusammenhängen und Verkettungen, die vergeblich in das Alltäglichste und Abstrakteste zugleich ausgreifen. (3) Pantomimetische Praxis nimmt die Position der Autorin von dieser Vergeblichkeit nicht aus. Jelinek: „Ich versuche, der Ungerechtigkeit meiner Zeit in meinen Stücken gerecht zu werden, und dann ist es wurst.“371 (4) Die Biegsamkeit einer sich tendenziell an alles anschmiegenden mimetischen Praxis ist geeignet, sich an Phänomene äußerster Flüchtigkeit zu wenden, denen sie wider jede Vernunft ein wenig Bleibe abgewinnt, sodass wir Fälle, Themen oder auch Folgen unterscheiden, die sich mit Widerhaken, die ihnen von der Autorin beigebracht wurden, an uns kletten. (5) Schließlich stellt pantomimetische Praxis die Frage nach der Wirklichkeit und fragt, was heute geschieht. Was ist dieses heute, in dem ‚wir‘ uns befinden? Was bildet den Ort, von dem aus ich schreibe – zufällig und singulär zugehörend diesem einen beliebigen Wir?

Chor-Felder: Boden, Körper, Sport

Einar Schleef ist in seinem Bestreben, den Chor wieder in das Sprechtheater einzuführen, auf die Topologie des Theaters gestoßen und auf die antike Konstellation, die unterhalb der optischen Einrichtungen des Theaters fortwirkt. Jelinek hat diese Topologie durch die Verwerfung der Rolle Frau entdeckt, mit der alle Theaterrollen, Spiegelrelationen, Körperbilder und Interaktionen ebenfalls verworfen werden mussten. Vor die Rolle zurückzugehen heißt, auf die Ebene von Namen, Orten und Materialisierungen zu gehen, die unterhalb moderner Rollenzwänge fortwirkt. Auf die Ebene situierter Körper, die einen Namen erhalten, der hier aber kein Eigenname ist, sondern einen Ort bezeichnet (Sprachort). Auf die Ebene der Orchestra, der Pluralität und der Vielen, von denen es heißt, dass sie namenlos sind, weil sie nicht auf dem Kampfplatz der Gründung um den Zugang zum Palast oder um dessen Verteidigung ringen. Auf die Ebene schließlich, wo es um Wahrheit ohne Erkenntnis geht, um ein Wahrsprechen, das im antiken Bezugsrahmen keine (mentale) Evidenzerfahrung meint, sondern vollständig mit einer verbalen, also öffentlichen Tätigkeit übereinkommt.372 In diesem antiken Bezugsrahmen handelnd, heißt es bei Jelinek vom Theater: Es ist Sprechen und aus.

Der Begriff der Ebene bezeichnet eine beliebige Ausdehnung, die auf das Feld des Chors führt. Auf diesem Feld teilen sich Personen wie von selbst. Die biegsamen Oberflächen der Texte Jelineks und die restlose Dissoziierung von Personen, die in populäre Sprachfetzen aus Film, Funk und Fernsehen auseinanderfallen, kommen von daher. Es brauchte keine besondere Anstrengung dazu, nur einen winzigen Knick, wie ihn Stefanie Carp als „Knick in Jelineks Schreiben“ ausgemacht hat:

„Irgendwann ist in den Theaterstücken von Elfriede Jelinek das ‚Wir‘ aufgetaucht und etwas später explizit der Chor. Natürlich war jede Person aller ihrer Stücke eine Trägerin sich kreuzender Sprachen und Einzelkörper eines Chors. Aber etwa mit dem Text Wolken.Heim (dort etwa gibt es diesen Knick) wird als ‚Wir‘ gesprochen; hier als ‚Wir‘ einer öffentlichen Innerlichkeit.“373

Ein Wir nach der Art des antiken Chors ist ein uneinheitliches, durcheinandersprechendes, zufälliges, unbehaustes und instabiles ‚wir‘. Es nimmt Anteil. Bei Jelinek zieht es sich das mediatisierte Wir von Fernsehzuschauern genauso an, wie das volkstümliche Wir von Märchen und Volksliedern, das populistische Wir von Rechtsradikalen, das terroristische Wir von Islamisten oder das Wir der Tourismusindustrie. Es kann als Wir der Sieger oder Skikanonen auftauchen oder als das Wir der Opfer. Und in all diesen Wir-Formen, dazwischen, drunter oder drüber, taucht es als ein ‚wir‘ auf, das ohne Majuskel auskommt und das uns ‚heute‘ meint, über das wir nicht hinweggehen können und dem wir in jeder Beziehung unterliegen. Jelineks Weg auf das Feld des Chors entwickelt gleichzeitig die Frage nach der Gegenwart in jenem Sinn, in dem Foucault sie zu einer Frage nach der „Ontologie der Gegenwart“ ausdehnt: „Was geschieht heute? Was geschieht jetzt? Was ist dieses ‚Jetzt‘, in dem wir uns befinden und das der Ort, der Punkt ist, von dem aus ich schreibe?“374

Jelineks doppelte Fragebewegung nach dem antiken Chor und der Gegenwart heute, geht in ihren Texten und Stücken mit dem Vordringen einer Frage nach dem Boden einher. Die in Wolken.Heim (1990) geplünderten Sprachen von Hegel, Fichte, Hölderlin, Heidegger und der RAF firmieren als ein „Gedächtnis des Bodens“375, mit dem ‚wir‘ es, damals im neu vereinten Deutschland mit neuerlich aufkeimender Heimatlust, zu tun hatten und weiterhin zu tun bekommen werden. In Die Kinder der Toten (1995) wird der Boden ganz und gar durchlässig: Verfolgte, Täter, Ermordete, Tote mischen sich unter die Weiterlebenden, die Gewaltmenschen, die Einheimischen und die Touristen in Bergregionen. So auch In den Alpen (2002). Wenn das Thema des Bodens in Jelineks Texten vordringt, wird er, wie Juliane Vogel anmerkt, „nicht mehr als ein stabiler, massiver Untergrund gedacht […], sondern als eine Tausendfältigkeit von Schichten, Stoffen und Hüllen, aus deren Bewegungen Überlappungen und Stülpungen eine groteske und transitorische Population hervorgeht“376. Dieser Boden taugt weder zur letzten Ruhestätte, noch weist er überhaupt irgendeine Haltbarkeit auf. Im Gegenteil: Er spuckt alles aus und verhält sich als bloßer Übergang. Die Kinder der Toten sind weder Nachlebende, noch steigen sie als Geister der Vergangenheit aus irgendwelchen Tiefen einer vermeintlich abgelegten Historie empor. Vielmehr kommen sie, so noch einmal Vogel, „aus der Tiefe der Oberfläche, deren Variante, Entwicklung und Modulation sie sind“377. Diese Oberflächen-Tiefen-Struktur entspricht dem Begriff der Faltung, mit dem sich Deleuze gegen die Ideologie des Subjekts wandte, die davon ausging, dass ein Inneres hinter einer Fassade gegen außen abgeschirmt würde. Die Metapher der Falte besagt, dass das Äußere das gewendete Innere bildet und umgekehrt: bloße Relationalität, die unter vielen (Kindern, Toten) tausendfältig kursiert. Zu rechnen ist hier nicht mit Subjekten im Einzelnen, sondern mit der Subjektivierung von Gefügen. Sie in dieser Art zu adressieren, bedeutet Beziehungsgeflechte zu exponieren, die sich nicht zu einem Ganzen fügen, sondern die das Gefügte hervortreten lassen. Ein transitorischer Boden und chorische Beziehungsgeflechte gehen wechselseitig auseinander hervor.

Ein Sportstück (1998) verlangt explizit den antiken Chor und bestimmt den modernen Boden als ein Feld nach der Shoa: „nachdem wir den Zerfall unserer eigenen Menschenmasse erleben mußten, nach einer rigiden Abmagerungskur, in der wir alles aufs Spiel gesetzt hatten“, dürfen „wir jetzt erneut spielen […], aber auf einem anderen, glücklicherweise ganz neu hergerichteten Feld“378. Dieses Feld verpflichtet Körper zum Leben-nichts-als-dem-Leben: „Wir wollen nichts mehr als den Körper! […] Dort wird uns gezeigt, was eine Harke ist, damit wir das Feld immer wieder aufs neue berechnen können.“ (29) Jelineks Stück begreift den Sport als „Hieroglyphe“ (88) der Gegenwart und macht mit diesem Begriff, der in Bezug auf die altägyptische Bilderschrift die Bedeutungen ‚heiliges Schnitzwerk, heilige Schriftbilder‘ umfasst, den Sport als eine Schwellenfigur lesbar, in der ältestes Wissen in heutigen Massenphänomenen mitläuft. Sport bewegt sich seit jeher zwischen einer Sphäre der quasi-militärischen Ertüchtigung und einer Sphäre des Spiels. Somit kennt der Sport einerseits Körperschaften, die sich auf den ‚Körpermenschen‘ der Disziplinarregimes stützen, aus dem sich Kollektive, Mannschaften, Sportverbände, Institutionen formen lassen und Sportler als Verbraucher der Sportindustrie hervorgebracht werden. Andererseits kennt Sport plurale Körper, die beim Kämpfen, Spielen, Tanzen als berührbare, affizierbare Medien (Spielkörper) eines vorübergehenden Plural-Werdens entstehen. Als solche Körper erinnern sie den ‚Gattungsmenschen‘ mit seinem leiblichen Umraum, eingefaltet in das Außen einer primären Umweltlichkeit. Als solche werden plurale Körper heute auf einem „ganz neu hergerichteten Feld“ zum Anknüpfungspunkt gouvernementaler Regierungstechniken, die „das Feld immer wieder aufs neue berechnen“, wie es bei Jelinek heißt.

Wollte man dies zur Darstellung bringen, bräuchte es mehr als einen Chor. Schleefs legendäre Uraufführung von Ein Sportstück (Januar 1998, Burgtheater Wien) hatte genau dieses Wissen vom Chor zum Zentrum: Ein Chor ist stets mehr als ein Chor. Er kann zwar vorübergehend in die Form eines Kollektivs schlüpfen, aber er verhält sich nicht kollektiv, sondern distributiv. Sobald er zusammengetreten ist, beginnt ein Chor damit, sich zu vervielfältigen. Seine Vielstimmigkeit und Vielgestaltigkeit sind außerordentlich. Der weithin ausstrahlende Erfolg dieser Inszenierung ist immer Schleef zugeschrieben worden, doch der Regisseur Schleef ist eben auch als extrem genauer Leser vorgegangen. Dass die Inszenierung von Ein Sportstück der transitorischen Figur des Chors gewidmet ist, gibt ein Text vor, der Körper, Sport und Boden nach Art eines Chors zusammenzählt. Als ein Kraftfeld, das sich ausfaltet, schlägt es im Sportstück Facette für Facette um, blättert sich mühelos auf und zeigt, dass es sich schier unendlich ausfalten kann: in eine schlagende Verbindung, eine Meute Täter, getretene Opfer, einen kollektiv trainierenden Organismus von Sportlern, eine uniformierte Matrosenriege, verwaiste Vielheiten der zur Spitzenleistung angetriebenen Kindskörper (Andi), fußballspielende Kinder, in Körperuniformen oder Schatten, die „vom Leichenhemd [ihres] selbstgezeugten Mannstums umkleidet“ (92), zwitschernde Amazonen (Penthesilea), eine schweigende Gruppe von Mönchen oder Leute in Freizeitkleidung, Choräle usw. Die ausführliche Auseinandersetzung von Christina Schmidt mit dieser Inszenierung zählt 23 verschiedene Chöre.379

Stück und Inszenierung spielen in allen Facetten mit Übergängen „vom Körpermenschen zum Gattungsmenschen“380, um noch einmal diese einprägsame Formel Foucaults aufzugreifen. Die Übergänge entfalten sich zwischen einer Dressur, die sich mittels Arbeit am Körper selbst vollziehen soll und einer regulierenden Technologie, die Menschenmassen in den Blick nimmt und sich darauf richtet, das Leben selbst zu optimieren. Die Disziplin adressiert geschlechtlich identifizierte, bildhaft und institutionell organisierte Körpermenschen, während sich regulatorische Mechanismen der Macht auf biosoziologische Vitalprozesse von Bevölkerungen bzw. von Gattungsmenschen stützen. Zur Serie der Disziplinarmächte gehören die dramatische Infrastruktur des Krieges und die hierarchischen Gliederungen von Sub- und Objekten. Zur Serie der Regulierungsmechanismen gehören nicht nur die Politiken zur Steuerung von Gesundheit, Vorsorge und demografischer Entwicklung, sondern emblematisch auch der Sport als ein Massenphänomen, unter dessen Einfluss sich, wie es in Ein Sportstück heißt, „Menschen plötzlich maßgeblich [fühlen], das ist ihr Wahn“ (70).

Plötzlich ‚maßgebliche‘ Menschen drogieren sich, rüsten sich biochemisch und biotechnisch auf. Intersubjektive, geschlechtsspezifische und genealogische Strukturen implodieren. Jelinek verdichtet diesen Zusammenhang in der Figur des toten Andi, der als Bodybuilder über einen mit Krafttraining und Chemie selbstgeschaffenen, gleichsam mutterlosen Körper verfügt. Mit dem herrenlosen Design seiner synthetischen Muskelmaterialien nahm Andi (Andreas Münzer, 1964–1996) erfolgreich an diversen Weltmeisterschaften teil und starb an einer Überdosierung seiner Sportdrogen. Bodybuilder trainieren ihre eigene Materialisierung ohne Zusatz. Subjekt und Objekt in einem. Im Mittelteil ihres Stücks entwirft Jelinek für diese Figur folgendes Tableau:

Ein erleuchteter Heiligenschrein tut sich auf. Darin eine Art Pietà: Die alte Frau sitzt in altmodischer Unterwäsche, Combinaige, Gesundheitsschuhe, etc. auf einem Stuhl und hat den Leichnam ihres Sohnes Jesus, hier immer Andi genannt, der im Bodybuilderhöschen ist, auf ihren Schoß gebreitet. Er kann als Säugling verkleidet sein, kann auch von einer Frau darstellt werden, denn er soll irgendwie geschlechtslos wirken.“ (75)

Aus ganz verschiedenen Richtungen und unabhängig voneinander erscheinen in den 1990er Jahren wesentliche Arbeiten zum Chor. Sie resultieren aus der Suche nach einer Art zu denken, zu sprechen, zu zeigen, die auf das kontrollgesellschaftliche Feld von Gattungsmenschen führt, auf das Feld der unpersönlichen, singulären Leben. Eine Suche, die aus den erstmals neoliberalen, eiskalten 1980er Jahren hervorgeht oder durch diese bestärkt wird. Die Rede von der Zukunft ist versiegt, konstatiert wird ein lähmender Zeitstau. Diese Signatur prägt die Dekade gleichermaßen im Westen und im Osten und anderswo.

1990 erscheint von Deleuze das Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, in dem es resümierend heißt, dass die veränderten Zeiten nicht mehr der Signatur des Individuums zugehören, sondern den Stichproben, Daten, Märkten oder Banken, von denen Dividuen per Chiffren erfasst oder bewirtschaftet werden. Doch bestehe weder zur Furcht noch zur Hoffnung Grund, „sondern nur dazu, neue Waffen zu suchen“381. Heiner Müller bereitet seine Inszenierung von Mauser am Deutschen Theater Berlin (1991) vor und notiert auf einem Blatt unter dem Begriff „Der Zeitfaktor“382:

„Die relative Ewigkeit des Kollektivs gegen die Endzeit des Einzelnen / Die Zeit des Dramas (Spiels) gegen die (Un)Zeit der Geschichte“. Der Einzelne ist in seine „Endzeit“ gekommen. Gegen diese steht die andere Zeitlichkeit eines „Kollektivs“ als ein nicht im historischen, sondern im abstrakten Sinn Gemeinsames. Seine „relative Ewigkeit“ ist die äonische Zeitlichkeit des Chors. Die „(Un)Zeit der Geschichte“ ist die als bleierne Zeit gestaute Zeit der Chronologie und ihrer Produkte. Dagegen kommt, wie bei Beckett gezeigt, nur die Zeitlichkeit eines Spiels an, das stets mehrere spielt oder zu mehreren gespielt wird. In dieser Perspektive sind die wesentlichen Arbeiten zum Chor zu begreifen, die in diesen Jahren entstehen. Nicht weil sie den Gruppenschluss präferierten oder das Kollektiv gegen das Individuum und seine Isolation ins Feld führen wollten, wie allzu naive Lesarten meinen, sondern weil der Chor das Feld bildet, auf dem Erfahrungen von Dividuen verlautbart und zur Empfindung gebracht werden können, die sich nicht mehr in einer bestimmten, letztendlich immer biografischen Form fassen lassen. Anstelle einer vermeintlich individuellen Perspektive verpflechten sich auf diesem Feld etwas Biografie und etwas Spiel und erneuern sich stetig im Kontakt mit dem Außen einer unabsehbaren Pluralität.

1997 erscheint Schleefs theoretischer Entwurf Droge Faust Parsifal, dessen dreigliedriger Titel als Chor Schauspiel Oper zu lesen ist. Die drei Komponenten, die das ‚westliche‘ Theater weithin prägen und die Schleef anhand der deutschen Tradition situiert, gehören zusammen. Es war ein Irrtum der Moderne, dem Schauspiel und der Oper eigene Sparten zuzuweisen und sie unter das Gesetz der Einzelfigur zu zwingen. Schleefs ganze Aufmerksamkeit geht dahin, die daraus resultierende Isolation der Einzelfigur zu durchbrechen und die einsame Drogeneinnahme, die zerstörerisch wirkt (Faust, Parsifal), wieder zu einer gemeinsamen zu machen, die sie mit dem Chor und durch ihn ist. In seinem Entwurf für ein Theater des Chors notiert Schleef als ersten Punkt: „Die Droge vereint Sub- und Objekt, Herr und Knecht.“383

Ebenfalls 1997 beendet Jelinek ihre Arbeit am Sportstück. Der unbestimmte Artikel im Titel tritt in genau derselben Funktion auf, die Deleuze 1995 in seinem letzten Text erläutert : Ein Leben unterscheidet sich von der (biografischen) Erfahrung insofern, als es weder auf ein Objekt verweist noch einem Subjekt zugehört. Der unbestimmte Artikel, so Deleuze, steht für die Diesheit eines neutralen, sich hier und da, überall mitteilenden Lebens, das „nicht mehr einer Individuation, sondern einer Singularisierung entspricht“, einem singulären Wesen. „Das Ein ist stets das Indiz einer Mannigfaltigkeit: ein Ereignis, eine Singularität, ein Leben …“384. Nicht nur weil das Sportstück eingangs „antike Chöre“ fordert, sondern vielmehr durch die Einsetzung des unbestimmten Artikels im Titel zeichnet Jelinek ihr Stück als Chorstück aus. Ein Sportstück handelt von und in der Zone eines infiniten und darum gleichermaßen unbestimmten Lebens, das überall ist. Ein Leben als Massenphänomen, das Moment für Moment durchlaufen und gemessen wird und sich singulär komponiert. Namenlos, unter der Haut und in der Tiefe der Körpergemische, die sich nicht abschotten lassen: Ein Chorstück.

341 Bärbel Lücke, Elfriede Jelinek. Eine Einführung in das Werk, Paderborn 2008, 140.

342 So im Paratext zu Bambiland: „Der Rest ist aber auch nicht von mir. Er ist von schlechten Eltern. Er ist von den Medien.“ Elfriede Jelinek, Bambiland, Reinbek bei Hamburg 2004, 15.

343 Roland Barthes, Die Lust am Text, Frankfurt a. M. 1974, 53 f.

344 Elfriede Jelinek, Lust, Reinbek bei Hamburg 1992, 28.

345 Stephanie Kratz, Undichte Dichtungen. Texttheater und Theaterlektüren bei Elfriede Jelinek. Dissertation Köln 1999, 1.

346 Ebd., 22.

347 Ebd., 17.

348 Elfriede Jelinek, In Mediengewittern, 2003. Antwort auf die Frage vom Bühnenverein: „In Mediengewittern – die Theater überflüssig?“ In der Rubrik „zum Theater“ auf Jelineks Homepage.

349 Martin Heidegger, „Die Sprache“, in ders.: Unterwegs zur Sprache, Stuttgart 1959, 9-34, hier 16.

350 Elfriede Jelinek, „Wir leben auf einem Berg von Leichen und Schmerz“. Gespräch mit Peter von Becker, in: Theater Heute, September 1992, 1-9, hier 2.

351 Philippe Lacoue-Labarthe/Jean-Luc Nancy, „Dialog über den Dialog“ (aus dem Französischen von Ulrich Müller-Schöll), in: Joachim Gerstmeier, Nikolaus Müller- Schöll (Hg.): Politik der Vorstellung, Berlin 2006, 20-42, hier 21 f. Alle folgenden Zitate werden ohne Einzelnachweis dieser Textstelle entnommen.

352 1992 als Essay publiziert, fortgesetzt bei der Konferenz „Dialoguer – un nouveau partage des voix“ (Jean-Pierre Sarrazac/Catherine Naugrette, Paris III, März 2004); Buchpublikation unter dem Titel Scène, Paris 2013.

353 Jelinek, In Mediengewittern, ebd.

354 Elfriede Jelinek, Zu Stecken, Stab und Stangl (ein Interview) 1996. In der Rubrik „zum Theater“ auf Jelineks Homepage.

355 Das szenische Dispositiv liegt in der Anordnung des Filmsets oder der Bühne als Bühnenform vor, die das Sehen/Gesehenwerden sowie das Hören/Gehörtwerden miteinander verschränkt. Das szenische Dispositiv ist eine technische Apparatur, die der Film übernimmt und vervollkommnet, indem er an der Stelle des Schnitts durch den Raum ein ortloses, zu jeder Bewegung fähiges Kameraauge installiert.

356 Elfriede Jelinek, Ich möchte seicht sein. Zuerst erschienen in: Theater heute. Jahrbuch 1983, Berlin 1983, 102. Unter der Rubrik „zum Theater“ auf Jelineks Homepage. Ebenda ist auch der folgend zitierte poetologische Essay Sinn egal. Körper zwecklos (1997) abrufbar.

357 „Wenn es ein modernes Zeitalter gibt, dann ganz gewiss das Zeitalter des Kosmischen.“ Deleuze/Guattari, Tausend Plateaus, ebd., 466. Deleuze/Guattari sprechen nicht vom Chorischen, aber ihre Beispiele und deren ‚Verortung‘ in einer Topologie von Tiefe und Oberfläche entsprechen dem hier gesuchten Phänomen des Chors genau. Zu den folgenden Beispielen von Klee und Cézanne vgl. Deleuze/Guattari, ebd., 467 ff.

358 Wolfram Pichler, „Bildoberflächen, topologisch gewendet. Zur Kunstgeschichte des Möbiusbandes seit ca. 1935“, in: Thomas Eder/Juliane Vogel (Hg.), Lob der Oberfläche. Zum Werk von Elfriede Jelinek, München 2010, 19–48.

359 Ebd., 32.

360 Tatima Naqvi, „Unmögliche Möglichkeiten: Elfriede Jelineks paradoxe Topologie in Angst.Störung“, in: Eder/Vogel (Hg.), Lob der Oberfläche, ebd., 131–142. Das folgende Zitat ebd., 142.

361 Elfriede Jelinek, Es ist Sprechen und aus (2013). In der Rubrik „zum Theater“ auf Jelineks Homepage.

362 Elfriede Jelinek, „Bis ich am Boden aufschlage“. Interview anlässlich der Uraufführung von Babel im Nachrichtenmagazin profil vom 5. März 2005.

363 Elfriede Jelinek, Im Abseits (2004), in der Rubrik „zur Kunst“ auf Jelineks Homepage. Alle Zitate in diesem Abschnitt, wenn nicht anders angegeben, ebd.

364 Hermann Koller, Die Mimesis in der Antike. Nachahmung, Darstellung, Ausdruck, Bern 1954, 120.

365 Balke, Mimesis zur Einführung, ebd., 27. Die Darstellung der niederen Mimesis orientiert sich an Balke, 27–57. Folgend werden Zitate aus Balke im Fließtext in Klammern ausgewiesen.

366 Balke, unter der Verwendung von Zitaten Lukians, in: ders., Mimesis, ebd., 240 (Fußnote 40).

367 Nicole Loraux, Tragische Weisen, eine Frau zu töten, aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Frankfurt a. M. 1993, 8.

368 Vgl.: Deleuze/Gauttari, Tausend Plateaus, ebd., 298 f.

369 Gabriel Tarde, Die Gesetze der Nachahmung (1890), aus dem Französischen von Jadja Wolf, Frankfurt a. M. 2009, 13. Folgend werden die Zitate von Tarde im Fließtext in Klammern ausgewiesen.

370 Chaosmose: Der Titel des letzten Buchs von Guattari ist ein Neologismus, der sich zum geflügelten Wort eignet: Osmose (gr. ōsmós für Eindringen, Schub, Antrieb), die den Ausgleich von Konzentrationsunterschieden in Flüssigkeiten bezeichnet, die durch eine Membrane getrennt sind, wird durch die Verknüpfung mit Chaos zu zahllos strömenden Ausgleichsbewegungen, in denen ‚das Für-sich und das Für-andere keine Vorrechte der Menschheit mehr sind‘. Félix Guattari, Chaosmose [1992], Wien 2014, 138.

371 Elfriede Jelinek, Meine gute Textwurst. Dankesrede zur Verleihung des Nestroy Autorenpreises 2013. Unter der Rubrik „zu Politik und Gesellschaft“ auf Jelineks Homepage (zuletzt abgerufen 18.4.2019).

372 In Anlehnung an Foucault: „[S]eit Descartes wird die Übereinstimmung zwischen Glauben und Wahrheit durch eine bestimmte (mentale) Evidenzerfahrung erreicht. Für die Griechen findet die Übereinstimmung jedoch nicht in einer (mentalen) Erfahrung statt, sondern in einer verbalen Tätigkeit, nämlich der parrhesia.“ Michel Foucault, Diskurs und Wahrheit. Die Problematisierung der Parrhesia. Berkeley-Vorlesungen 1983, übersetzt von Mira Köller, Berlin 1996, 13.

373 Stefanie Carp, „Die Entweihung der heiligen Zonen. Aktualisierte Rede zur Verleihung des Heinrich-Heine-Preises an Elfriede Jelinek im Jahr 2002“, in: Brigitte Landes (Hg.), stets das Ihre. Elfriede Jelinek (= Arbeitsbuch 2006), ebd., 48–52, hier 50.

374 Foucault, Die Regierung des Selbst und der anderen. Vorlesung am Collège de France 1982/83, Frankfurt a. M. 2009, 27.

375 Leonhard Schmeiser (dem Jelinek in einer Fußnote zu Wolken.Heim dankt), „Das Gedächtnis des Bodens“, in: Tumult. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft 10/1987, 38–56.

376 Juliane Vogel, „Ich möchte seicht sein. Flächenkonzepte in Texten Elfriede Jelineks“, in: Vogel/Eder (Hg.), Lob der Oberfläche, ebd., 9–18, hier 18.

377 Ebd.

378 Elfriede Jelinek, Ein Sportstück, Reinbek 1998, 29. Folgend werden Zitate aus diesem Stück per Seitenangabe in Klammern im Fließtext ausgewiesen.

379 Christina Schmidt, Tragödie als Bühnenform. Einar Schleefs Chor-Theater, Bielefeld 2011.

380 Vgl. Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France 1975/76, aus dem Französischen von Michaela Ott, Frankfurt a. M. 2001, 282–311.

381 Gilles Deleuze, „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“, in: ders., Unterhandlungen 1972–1990, Frankfurt a. M. 1993, 254–262, hier 256.

382 Das Blatt ist abgedruckt in: Stephan Suschke, Müller macht Theater. Zehn Inszenierungen und ein Epilog, Berlin 2003, 145.

383 Schleef, Droge Faust Parsifal, ebd., 478.

384 Deleuze, „Die Immanenz: ein Leben“ (1995), ebd., 365–370, hier 368 f.

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