Theater der Zeit

Szenische Strukturen in den Dramen von Ibsen und Strindberg

Zwischen Häuslichem und Übernatürlichem

von Freddie Rokem

Erschienen in: Recherchen 115: Auftreten – Wege auf die Bühne (11/2014)

Einleitung

Mit der Formierung und Etablierung des Realismus und Naturalismus brachten die 1880er Jahre eine neue Art des dramatischen Schreibens hervor, die fast augenblicklich alle Aspekte der damaligen theatralen Praxis beeinflusste. Im Laufe des folgenden Jahrzehntes wurden zahlreiche heute kanonische Stücke geschrieben, von denen ich für meine Analyse szenischer Strukturen – vor allem von Auftritten und Abtritten – einige wenige herausgreife: Henrik Ibsens Nora oder ein Puppenheim (1879), Gespenster(1881), Rosmersholm (1886) und Hedda Gabler (1890) sowie August Strindbergs Der Vater (1887), Fräulein Julie und Gläubiger (beide 1888). Die beiden skandinavischen Dramatiker haben in einer relativ kurzen Zeitspanne die Formel für eine Art Drama entwickelt, mit dem sie nicht nur das Leben eines lokalen, bürgerlichen Publikums widerspiegelten, sondern sich auch als die zwei führenden Autoren der europäischen Avantgarde etablierten. Ihre Stücke, die von den Zuschauern in ganz Europa und darüber hinaus mit Begeisterung aufgenommen wurden, haben nicht nur Zeitgenossen entscheidend beeinflusst. Vielmehr blieben sie für mehr als ein Jahrhundert modellbildend für Dramenautoren wie auch für die Filmindustrie, insbesondere für Hollywood und später das Fernsehen.

Ein deutliches Merkmal der Dramen des Realismus und Naturalismus – im Rahmen dieser Abhandlung interessieren mich weniger die Unterschiede als die Ähnlichkeiten – ist die Tatsache,...

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