Schauspielen
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Lektionen 3: Schauspielen Theorie (12/2010)
Assoziationen: Schauspiel
„Auf der Bühne verwirrte mich die ungewöhnliche feierliche Stille und Ordnung. Als ich aus dem Dunkeln der Kulisse in das volle Rampenlicht hinaustrat, wurde ich benommen und blind. Das Licht so grell, daß es wie ein Vorhang zwischen mir und dem Zuschauerraum hing. Ich fühlte mich vor der Menge geschützt. Doch bald hatte sich das Auge an das Licht gewöhnt, und nun wurde die Schwärze des Zuschauerraums noch furchtbarer, sein Sog noch stärker. Mir war, als wäre das Theater erfüllt, als richteten sich unzählige Augenpaare auf mich, bewaffnet mit Operngläsern. Sie schienen ihr Opfer zu durchbohren, und ich fühlte mich als Sklave dieser tausendköpfigen Menge, wurde untertänig, prinzipienlos und war zu jedem Kompromiß bereit. Ich hätte mein Innerstes nach außen kehren, ich hätte schmeicheln und der Menge viel mehr geben mögen, als ich zu geben hatte. Doch mein Innerstes war so leer wie noch nie.“1
Mit diesem Erlebnis aus dem Leben eines Schauspielschülers beginnen Stanislawskis umfangreiche Ausführungen seines „Systems“. Am Beginn der schauspielerischen Erfahrung steht das Lampenfieber. Der Moment, in dem der Mensch bemerkt, dass er beobachtet wird, versetzt ihn in eine existentielle Situation. Das Erwachen aus dem Schlummer der Naivität ist von einem Schreck begleitet. Auch die Stufen...