Protagonisten
Ästhetischer Aufbruch in den Bergen
Intendant Thomas Spieckermann vernetzt Künstler aus Europa am TAK Theater Liechtenstein
von Elisabeth Maier
Erschienen in: Theater der Zeit: Wie es euch gefällt – Christian Friedel vertont Shakespeare (12/2016)
Assoziationen: Akteure Monika Wiedemer
Vor der Kulisse des Drei-Schwestern-Bergmassivs in den Liechtensteiner Alpen schaut die Berliner Schauspielerin Monika Wiedemer in den Sonnenuntergang. Kurze Zeit später steht sie mit ihrer Schwester Claudia auf der Bühne des Kulturhauses Rössle in Mauren. In der umgebauten Scheune spielt sie in Oscar Wildes „Salome“ die Königin Herodias. Streng, schroff, mit weiblichem Machtkalkül stattet die Künstlerin ihre Figur aus. Dabei spielt sie mit Wildes Sprachwitz, verfärbt ihn düster. Klassische Rollen liegen Wiedemer, die sich in tiefe Schichten ihrer Figuren gräbt. In der Produktion des Schaaner Theaters am Kirchplatz, kurz TAK, wirkt sie als Gast mit. Mit dem Stück geht die Bühne auf Tour im Fürstentum. Die Gastspiele in den Dörfern erfordern Höchstleistungen der Techniker. Die Anfahrt ist nicht weit, mit 160 Quadratkilometern Gesamtfläche ist Liechtenstein der sechstkleinste Staat der Welt.
In Schaan steht der moderne Bühnenwürfel des TAK vor der spätgotischen Kirche St. Laurentius. 300 Sitzplätze hat das Theater. Weil ab 20 Uhr die Glocken läuten, beginnen die Vorstellungen um 20.09 Uhr. Da sind die Katholiken streng. In der 6000-Einwohner-Stadt wagt der deutsche Dramaturg und Theaterwissenschaftler Thomas Spieckermann seit 2015 mit 15 Mitarbeitern den ästhetischen Aufbruch. Er holt Gastspiele des Burgtheaters Wien oder des Deutschen Theaters Berlin ebenso ans Haus wie Konzerte mit international gefragten Künstlern. Auch die Eigenproduktionen will er mit seinem experimentierfreudigen Dramaturgen Jan Sellke ausbauen.
Tim Kramer, bis Juni 2016 Schauspielchef in St. Gallen, hat nun Wildes einzige Tragödie inszeniert. In einem Käfig aus Glitzerfäden, von David König klug dem Tourbetrieb angepasst, zeigen die Spieler ein kraftvolles Kammerspiel mit biblischen Motiven. Philip Heimke als Prophet Jochanaan ist da ebenso wenig ein Wahnsinniger wie Claudia Wiedemers Salome, die blutdürstig dessen Kopf fordert. Subtil ergründen die Schauspieler, was hinter verschmähter Liebe steckt. Machtgier treibt den König Herodes an, den der Liechtensteiner Schauspieler Fritz Hammel als klugen Politiker darstellt. Statt vordergründig zu aktualisieren, setzt Kramer auf klare Textanalyse. Zeitlos gegenwärtig konzentriert er seine Regie auf die Frage, wie Utopien in der realen Politik überleben können.
Nach der Produktion gehen die Zuschauer nicht nach Hause. Viele sind zu Fuß gekommen. Unter dem hölzernen Hergottswinkel in der ehemaligen Gaststube diskutieren sie beim Bier mit den Künstlern über eine mögliche psychische Krankheit der Protagonistin. Beim Nachgespräch kooperiert das Theater mit dem Liechtensteiner und Ostschweizer Festival „Wahnsinnsnächte“. Schauspieler Philip Heimke, der den Balanceakt seiner Figur zwischen Wahn und Wirklichkeit ausdrucksstark auf die Bühne brachte, genießt das direkte Gespräch. Energisch hakt er nach, wie denn die Menschen am Tisch das Spiel erlebt haben.
An einem der Tische sitzt der Liechtensteiner Schauspieler Thomas Beck. Der Komödiant hat sein Handwerk an der Schule von Clown Dimitri im Tessin gelernt. Ab März 2017 ist er am TAK in Yasmina Rezas zeitkritischer Komödie „Kunst“ zu erleben. „Für mich ist diese künstlerische Perspektive in meiner Heimat spannend“, sagt Beck, der auch in Österreich, Italien und Deutschland engagiert war. In „Kunst“ steht er mit seinem Landsmann Fritz Hammel und mit Leander Marxer auf der Bühne. Dass sich das Theater unter dem neuen Intendanten noch stärker international vernetzt, gefällt Beck.
Nach dem Gespräch setzt sich Spieckermann ans Steuer. Der Theaterchef bringt die Spieler in ihr Domizil in Vaduz. Als versierter Kenner und Förderer neuer europäischer Dramatik betritt der ehemalige Chefdramaturg des Theater Konstanz mit der Leitung des Hauses in Schaan Neuland. Im Stadttheater am Bodensee hat er nicht nur jungen Autoren den Weg auf die Bühne gebahnt. In einem Workshop mit dem US-Dramatiker Neil LaBute vernetzte er Autoren aus ganz Europa. Mit dem Konstanzer Intendanten Christoph Nix baute er den Austausch mit Afrika auf, der bis heute besteht.
Und nun als Intendant am Theater in Liechtenstein, dessen Schwerpunkt im Gastspielbetrieb liegt? „Es ist eine Herausforderung, hier im Dreiländereck Theater zu machen“, findet der sportliche 49-Jährige, den es oft in die Berge zieht. Er ist froh, die Intendanz gewagt zu haben. Viele Besucher kommen aus dem nahen Feldkirch, aus Bregenz und der Schweiz. Ein Autorenlabor mit Dramatikern aus Liechtenstein und der Region schwebt ihm vor. Und er will das Publikum mit neuen Formen vertraut machen. Im Spielplan mit dem Motto „Von Liebe und Auflehnung“ sind junge Regisseure, wie Bastian Kraft und Johanna Wehner, zu finden.
Weil das Theater finanziell relativ üppig ausgestattet ist, sind hochkarätige Gastspiele möglich. Dennoch gehört die Sponsorensuche auch im reichen Fürstentum zu den Aufgaben des eloquenten Theaterchefs. So ist die Unternehmerfamilie Hilti aus der Kulturförderung nicht wegzudenken. Spieckermann und sein Musikdramaturg Martin Wettstein holen auch Weltmusik ins Land. Im mondänen Saal von Vaduz begeisterte der türkische Ausnahmepianist Fazil Say das Publikum. Der Komponist und Bürgerrechtler vereint Einflüsse westlicher und östlicher Musik. Bei solchen Anlässen sucht der Theaterchef den Kontakt zu den Zuschauern, die in eleganter Abendrobe kommen. Repräsentieren ist im Fürstentum wichtig. Und Spieckermann gefällt der Austausch. Auch beim Apéro will er erfahren, „welche Themen die Liechtensteiner reizen“.
Die Liechtensteiner sind stolz auf ihr Theater. Dort empfangen Bücherregale, Stoffsessel und Spielsachen die Besucher. Dass der Spagat zwischen intimer Bühne und internationalem Profil klappt, liegt nicht zuletzt an Georg Biedermann, dem Chef der jungen Sparte. „Wir haben hier sehr zu kämpfen“, sagt er. Das klingt etwas resigniert. Aber der temperamentvolle Spartenleiter versteht es, nicht nur Kinder und Jugendliche mitzureißen. Jüngst waren Kindertheatermacher aus der Schweiz und Österreich im TAK zu Gast, entwickelten Perspektiven für junge Bühnen. „Wir kämpfen für Kinderrechte“, sagt Biedermann. Man spürt, dass der ehemalige Lehrer einen Draht zu seinem Publikum hat. Auch international ist er als Präsident der Liechtensteiner Sektion der Internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche ASSITEJ bestens vernetzt. Obwohl er sich eine bessere Förderung wünscht, bringt er Gastspiele der innovativsten Kinderund Jugendbühnen ans Haus, etwa der Kopergietery aus Belgien. „Den Zuschauern Horizonte öffnen“, das ist sein Ziel. Da liegt er mit Intendant Spieckermann auf einer Linie, der an seiner Bühne in den Alpen den europäischen Gedanken lebt. //