Aus der nächtlichen Dunkelheit einer süddeutschen Kleinstadt schält sich drohend das Namensschild einer in die Jahre gekommenen Wirtschaft heraus: Gasthaus Lehninger. Wie ein Menetekel dreht sich dieses Abbild einer Kneipe im heller werdenden Licht auf Nina Wetzels Bühne. In den Gasthäusern eines Landes, das zeigten schon Schriftsteller wie Heinrich Mann in „Der Untertan“, treten, dem Alkohol sei Dank, die Verwerfungen einer Gesellschaft als Allererstes zutage. In Ödön von Horváths „Italienische Nacht“ ist der Gastraum regelrecht zur Festung geworden. Im Lehninger haben sich an diesem Abend gerade die Vertreter der örtlichen Sozialdemokraten versammelt, als plötzlich ein martialischer Trommelschlag die Ruhe zerschneidet, als würde draußen bereits scharf geschossen. Es sind die Faschisten in schwarzen Klamotten und Sneakern (Kostüme Ann Poppel), die, rechte Parolen skandierend, an der Kneipe vorbeiziehen.
Thomas Ostermeier hat sich an der Berliner Schaubühne zum Ziel gesetzt, aus Horváths Vorlage ein Lehrstück über das heutige Elend der Sozialdemokratie herauszuarbeiten. Der Niedergang zeigt sich hier ganz symbolisch als Gebietsverlust: In dem Gasthaus, in dem die Sozialdemokraten traditionell ihre italienische Nacht feiern, halten nun auch die Faschisten ihre Kundgebungen ab. In vielen Kritiken ist Ostermeier und seinem Dramaturgen Florian Borchmeyer dabei Unklarheit in der zeitlichen Verortung vorgeworfen worden. In welchem Jahr befinden...