von Charly Hübner
Erschienen in: backstage: HÜBNER (01/2023)
Die Zeit rast, und das kleine Licht des Lebens juckelt wie ein Vorortzug unaufhaltbar dahin … manches hat sich, wie Käfer und Spinnen, bedingungslos in den Gängen der kleinen Bimmelbahn eingenistet … Neben der unbestreitbaren Herrlichkeit der paradiesischen Natur des Mecklenburger Südens und der Erfahrung eines ideologischen und seelischen Heimatverlustes durch das Ende der DDR sind es zarte und grobe, kurze und lange Anekdoten und vor allem Texte, Musik, Filme und Räusche, die den Lack der Waggonwände und die Luft in den Gängen gestalten und beleben. Da tönen grelle Pionierlieder gegen den einjährigen Leserausch von Dostojewskis Schuld und Sühne, Der Idiot und Die Brüder Karamasow. Charles Bukowski betrachtet andächtig grinsend Goyas Maja. Bruce Willis und Sylvester Stallone beschweren sich, weil Samuel Beckett sie in einen Kokon eingesponnen hat, damit er mit Stanley Kubrick in Ruhe Schach spielen kann, während Tschechow und Catherine Deneuve amüsiert Champagner schlürfen und den unerbittlichen Humor-Kaskaden von Monty Python lauschen.
Der zersplitterte Billardqueue, die hysterische Trophäe des ersten harten Haschischrauschs in einer Amsterdamer Nachwendenacht, tanzt zu den Moritaten des großen Tom Waits, und Marlon Brando irrt als Don Corleone verloren über die Rampe der Berliner Volksbühne, wo Frank Castorfs Dämonen sich küssen und schlagen,...