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Totgesagte leben länger
Das Brandenburger Theater wird 200 Jahre alt
von Lena Schneider
Erschienen in: Theater der Zeit: Götterdämmerung – Polen und der Kampf um die Theater (10/2017)
Assoziationen: Akteure Brandenburg Brandenburger Theater
200 Jahre Brandenburger Theater wollen in der gerade beginnenden Spielzeit begangen werden – wahrlich ein Grund zum Feiern. Umso mehr, da in seiner langen Geschichte regelmäßig gezweifelt werden musste, ob das Theater ein solches Jubiläum überhaupt erleben würde. Zuletzt war im Frühsommer 2016 von drohender Insolvenz zu lesen. Zum ersten Mal kam Brandenburgs Theater aber schon 1817 finanziell ins Schleudern, im Jahr seiner Gründung.
Anders als im fünfzig Kilometer entfernten Potsdam stand in Brandenburg an der Havel nie ein majestätischer Wille für die Existenz des Theaters ein. Brandenburg war keine Residenzstadt, hier lebten Ackerbauern, Handwerker, Händler – und mit der beginnenden Industrialisierung zunehmend auch Arbeiter aus der Eisen- später, zu DDR-Zeiten, vor allem aus der Stahlindustrie. Den Impuls für die erste Bühne gab ein Zimmermann, der dafür seine Scheune herrichtete. Für den ersten richtigen Theaterbau sammelten die Bürger die Gelder selbst zusammen, in Form einer Aktiengesellschaft. Die Eröffnungsinszenierung von 1817 spiegelte den Ehrgeiz der Gründer wider: „Maria Stuart“. Schon 1862 wurde die Bühne wieder geschlossen. Theater gab es bis 1909 nur noch im Sommer, im Lokal Ahlerts Berg.
Mit dem Apollo-Theater begann 1909 in Brandenburg ein neuer Versuch, Stadttheater mit festem Ensemble zu machen. 1945 wurde es zerbombt, und nach Kriegsende spielte man in der Stadthalle, die mit staatlichen Geldern zum „Theater der Stadt Brandenburg/Havel“ (ab 1967 Brandenburger Theater) hochgepäppelt wurde. In den siebziger Jahren holte Intendant Joachim Pollok junge Regisseure wie Frank Castorf ans Haus (dessen „Golden fließt der Stahl“ sofort abgesetzt wurde), und nach 1989 ließ das Theater mit Generalintendant Ekkehard Prophet noch einmal alle Sparten hochleben, intensivierte auch die Musical-Aktivitäten. Die Brandenburger Symphoniker profilierten sich in den Neunzigern auf Tourneen in den USA, Südafrika und Japan – während die Schauspiel-, Tanz- und Musiktheatersparte ihrem Ende entgegengingen: 1996 wurde das Theater in eine GmbH umgewandelt, 1999 die Sparten abgewickelt. Am Tag nach der letzten Schauspielvorstellung folgte 1999 das Richtfest eines Neubaus des Theaters, das jetzt auch nicht mehr Theater hieß, sondern CulturCongressCentrum.
Heute ist das Brandenburger Theater ein bundesweit wohl einzigartiges Konstrukt: ein Theater ohne eigenes Theater – dafür mit einem Flaggschiff aus fünfzig Musikern, den Brandenburger Symphonikern. Die im aktuellen Spielzeitheft aufgeführte Schauspielsparte setzt sich vor allem aus Gastspielen zusammen: Produktionen aus Potsdam und Senftenberg, mit denen Brandenburg im Theaterverbund ist, aus Berlin, aus Stendal. Von den zehn im aktuellen Spielzeitheft gelisteten Eigenproduktionen sind sechs Konzerte oder Revuen.
Zum etwas faden Beigeschmack des Jubiläums dürfte beitragen, dass das Haus zum Zeitpunkt seines 200. Geburtstages nicht einmal eine künstlerische Leitung hat. Katja Lebelt, die Anfang 2016 diese Position übernahm und unter anderem durch eine Bürgerbühne wieder die Anbindung an die Stadt suchte, hat das Theater Ende Mai 2017 wieder verlassen – aufgrund von Differenzen mit der Geschäftsführung, wie zu hören ist. Die letzte der unkündbaren Schauspieler, Christiane Ziehl, ging 2016 in den Ruhestand. „Totgesagte leben länger“, sagte sie einmal über das Brandenburger Theater. Es ist das Hoffnungsvollste, das sich zum 200. Jubiläum über das Haus sagen lässt. //