Theater der Zeit

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Der Gast ist der Star

Das Schauspiel Frankfurt startet unter seinem neuen Intendanten Anselm Weber unaufgeregt – besonders weibliche Regiehandschriften fehlen

von Shirin Sojitrawalla

Erschienen in: Theater der Zeit: Zur Sache, Schatz! – Über Lohnunterschiede und Lolita-Klischees (03/2018)

Assoziationen: Akteure Schauspiel Frankfurt

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Wer sich noch gut an den tremolierend euphorischen Beginn der Spielzeit 2009/2010 am Schauspiel Frankfurt unter dem damals neuen Intendanten Oliver Reese erinnert, merkt bei der Spielplanpressekonferenz seines Nachfolgers Anselm Weber gleich, dass hier jetzt ein anderer Wind weht: Unaufgeregt und vernünftig präsentiert sich das neue Leitungsteam. Dass die kurz nach Amtsantritt entbrannten Diskussionen um die kostenintensive Sanierung beziehungsweise Neuerrichtung der Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz die Laune nicht gerade heben, scheint logisch. Bekannt ist auch der Umstand, dass die Frankfurter Riesenbühne im Schauspielhaus Regisseure sowie Schauspielerinnen und Schauspieler regelmäßig vor Herausforderungen stellt. Mit einer stattlichen Portalbreite von 24 Metern und 40 Metern Tiefe ist sie die größte Sprechbühne im deutschsprachigen Raum. Und ja, Sie haben richtig gelesen: Regisseure. Regisseurinnen kommen im Schauspielhaus nämlich leider keine zum Zuge, was natürlich skandalös ist, auch wenn die stellvertretende Intendantin und Chefdramaturgin des Hauses, Marion Tiedtke, glaubhaft versichert, sie habe so einige Frauen angefragt, die ihr aus den unterschiedlichsten Gründen abgesagt hätten.

Wie dem auch sei, es war mehr als ein kluger Schachzug des Regisseurs Jan Bosse und seines Bühnenbildners Stéphane Laimé, das Haus zum Auftakt der neuen Intendanz in eine rundum bespielbare Arena zu verwandeln. Bosses zuschauerfreundliche Version von „Richard III.“ mit Wolfram Koch in der Titelrolle sucht den Kontakt mit dem Publikum, immer wieder spazieren die Schauspielerinnen und Schauspieler direkt durch die Sitzreihen, platzieren sich schon mal in der Menge, wobei es Bosse gut gelingt, die in diesem Stück meist etwas blass agierenden Nebenfiguren aufzuwerten. Trotzdem sprechen nach der Vorstellung dann alle nur von Wolfram Koch. So wie alle nach der Premiere von Roger Vontobels „Woyzeck“ mit Jana Schulz in der Titelrolle sehr zu Recht nur von Jana Schulz sprechen. Diese Schauspielerin präsentiert sich auf der Bühne buchstäblich wie das offene Rasiermesser, als das Büchner seinen Woyzeck erdachte: waidwunde Kreatur. Jedes Wort, das sie spricht, bricht spitz und scharf aus ihr heraus. Leider hält die sehr auf Eindeutigkeiten bedachte Inszenierung dem austarierten Spiel von Schulz nicht stand. Ganz im Gegensatz etwa zur Zusammenarbeit der beiden bei Hauptmanns „Rose Bernd“, das 2015 im Schauspielhaus Bochum Premiere hatte – Anselm Webers vorheriger Wirkungsstätte – und jetzt glücklicherweise in Frankfurt wiederaufgenommen wurde. Für diese Rolle wurde Schulz 2016 mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet.

Ein unverschämtes großes Loch

Wolfram Koch und Jana Schulz. Große Namen, die leider in Frankfurt nur gastweise engagiert sind. Das gilt auch für Maximilian Simonischek, der in Anselm Webers eindringlich geradliniger Inszenierung von Anna Seghers’ „Das siebte Kreuz“ groß aufspielt und auch in Andreas Kriegenburgs „Amphitryon“ die Titelrolle verkörpert. Bislang sind es also vornehmlich Gäste, welche die großen Schauspielhausabende tragen. Ob das eine glückliche Ensemblepolitik ist, darf man sich schon fragen. In jedem Fall ist es ein deutlicher Unterschied zu Oliver Reese, dessen Aushängeschild immer ein immens stark besetztes Ensemble war. Umso schöner, dass der serbische Regisseur Miloš Lolić in seiner Version von „Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt zeigt, was das eigentliche Ensemble draufhat. Eine Schauspielerin wie Heidi Ecks etwa, die schon seit der Spielzeit 2009/2010 zum Ensemble gehört, darf hier neben ihren neuen Kolleginnen und Kollegen vorführen, wie triumphal sie einzusetzen wäre. Lolić verteilt den Text klug auf vielfältige Kunst- und Schauerfiguren von Pamela Anderson bis Alf (Kostüme Jelena Miletić), wofür Evi Bauer ihm eine herrliche Bühne bereitet, die zu Anfang von einem pinkfarbenen Vorhang verdeckt wird, in dessen Mitte ein unverschämtes großes Loch prangt, das Guck-, Po- oder Schlüsselloch sein kann. In extrem unterhaltsamen Szenen besteigt das Ensemble – außer Ecks brillieren Sarah Grunert, Nils Kreutinger, Michael Schütz und Wolfgang Vogler – Jelineks Text-Plateau und bietet dabei eine ebenso kurzweilige wie ergiebige Gegenwartsbeschwörung ganz eigener Art. Jelineks Text tönt hier hell und klar und einsichtig. Viel wurde gestrichen, doch das war es wert. Der Abend taugt als kleine gewitzte Komplementärinszenierung zu Falk Richters bombastischer Uraufführung des Textes am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.

Auch die zweite Entdeckung trägt sich in den Kammerspielen zu. Daria Bukvić, niederländische Regisseurin mit bosnisch-kroatischen Wurzeln, eine der drei (!) Frauen, die in Frankfurt in dieser ersten Spielzeit in den Kammerspielen inszenieren, zeigt ihre Version von Wajdi Mouawads Familientragödie „Verbrennungen“. Wiederum ein Abend, an dem die Schauspielerin Heidi Ecks, diesmal in der Rolle der Mutter Nawal, zeigen kann, was sie vermag. Aber auch Neuzugang Stefan Graf, der sich in der Region bereits einen Namen erspielt hat, stellt an diesem Abend in wechselnden Rollen seine variable Spiellaune unter Beweis. Dabei folgt Bukvić zwar der grausam konstruierten Geschichte Mouawads in all ihrem Pathos, aber darüber hinaus gelingen ihr einnehmende Bühnenmomente, die von der Antastbarkeit der menschlichen Würde künden.

Düsterer Bilderstürmer

Im Schauspielhaus indes war es bislang dem düsteren Bilderstürmer Robert Borgmann vorbehalten, der großen Bühne in ihrer ganzen Dimension zu huldigen. Für seine erste Inszenierung am Haus setzt er dem sperrigen Kafka-Text „Das Schloss“ mit einem ebenso sperrigen Abend zu. Und wiederum sind es Gäste, die hier groß aufspielen: Max Mayer als hibbeliger Landvermesser agiert für seine Verhältnisse fast zurückgenommen den unergründlichen Wahnsinn seiner Figur aus, während Katharina Knap in einem einzigen Monolog zeigt, wie fesselnd man Kafka in zärtlicher Dringlichkeit zu Gehör bringt. Szenenapplaus. Es ist ein langer zäher Abend, den man nicht noch einmal sehen möchte, der einem aber ob seiner radikalen Konsequenz Respekt abnötigt, auch weil es die bislang wagemutigste Regieleistung in dieser ersten Spielzeit ist. Nicht wenige Zuschauer honorieren das mit ihrem Fortbleiben nach der Pause. So viel Risiko muss sein. Mag die Ensemblepolitik unter Anselm Weber eine andere sein, damals wie heute ist das Frankfurter Ensemble nicht gerade divers aufgestellt. Ob es das sein muss, darüber kann man streiten. In einer Stadt wie Frankfurt allerdings, in der mehr als die Hälfte der Bevölkerung über nicht deutsche Wurzeln verfügt, wäre es schon angebracht, zumal von der neuen Leitung als Spielzeitmotto „Wir“, das in unterschiedlichen Sprachen auf dem Spielzeitmagazin strahlt, ausgegeben wurde.

Und wo bleibt das Positive? Freuen darf man sich in jedem Fall auf die Zusammenarbeit des Hauses mit dem Künstlerhaus Mousonturm, die zur Folge hat, dass das britische Performance-Kollektiv Forced Entertainment Ende April im Bockenheimer Depot die Uraufführung eines neuen Ensemblestücks („Out of Order“) herausbringen wird. Zudem gibt es in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus eine neue monodramatische, gegenwartssatte Serie: „Stimmen der Stadt“. Dafür werden Autorinnen und Autoren jeweils ein Monodrama über einen Frankfurter Ort oder Menschen verfassen, das Anselm Weber dann zur Uraufführung bringt. In dieser Spielzeit schreiben Wilhelm Genazino, Olga Grjasnowa und Teresa Präauer. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass das Haus auch unter seiner neuen Leitung überaus erfolgreich ist. In einer ersten Bilanz nach der ersten Hälfte der Spielzeit ist von einer Auslastung von 97 Prozent und nahezu sämtlich ausverkauften Vorstellungen die Rede. Seit Spielzeitbeginn habe man zudem dreihundert neue Abonnenten hinzugewonnen, sodass das Haus jetzt 7800 Abonnenten zähle. Dass die Leute der Schauspieler wegen ins Theater gehen, ist längst eine Binsenwahrheit. Am Schauspiel Frankfurt, so viel ist jetzt schon klar, wird sich daran nichts ändern. //

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