Die Exotik-Falle und andere Missverständnisse
Überlegungen zum interkontinentalen Transfer von Theaterproduktionen
von Stefanie Carp
Erschienen in: Recherchen 77: Theater südlich der Sahara – Theatre in Sub-Saharan Africa (06/2010)
I. Das große nationale Kunstfestival Südafrikas (National Arts Festival) findet alljährlich Ende Juni/Anfang Juli in der kleinen Universitätsstadt Grahamstown statt. Wir schreiben das Festivaljahr 2007. Um die In - szenierung und Installation ORFEUS von Brett Bailey zu sehen, muss man sich an den Stadtrand begeben, dort wo die Natur, die Steppe beginnt, die in die saubere Stadt unzivilisiert hineinwächst. Uns werden Taschen lampen ausgehändigt, uns wird streng geboten zu schweigen. Bei beginnender Dämmerung gehen wir in eine für uns Europäer wild wuchernde unbekannte Landschaft. An einem Platz sind Heuballen in einem Kreis aufgeschichtet. Wir sehen ein magisches Ritual. Wir hören in Worte, nichteuropäische Musik und Gesang gefasst die Geschichte von der Liebe zwischen Orpheus und Eurydike: ihre Hochzeit, den Tod Eurydikes, Orpheus Leiden.
Inzwischen ist es tief dunkel geworden. Als wir aufgefordert werden, mit Orpheus in die Unterwelt zu gehen, stolpern wir in eine schwarze Nacht. Wir folgen tastend den Lichtpünktchen unserer Taschenlampen und einem koboldhaften Führer. Die Stationen und Begegnungen Orpheus’ in der Unterwelt zeigt Brett Bailey als Leidensbilder des afrikanischen Kontinents, Installationen, die von Menschenhandel, Kinderarbeit, Vertreibung, Obdachlosigkeit, Verhungern, Armut, Gewalt und großer Verlassenheit erzählen. Diese sind in eine Ästhetik aus Schrott, Müll und Glitter umgesetzt, wie sie...