Magazin
Wider das mechanische Denken
Das Brecht-Festival in Augsburg erkundet im zweiten Jahr unter der Leitung von Patrick Wengenroth das komplizierte Verhältnis von Ich und Wir
von Chris Weinhold
Erschienen in: Theater der Zeit: Unter Druck – Das Theater in Ungarn (04/2018)
Assoziationen: Staatstheater Augsburg
Unter dem Motto „Egoismus vs. Solidarität“ beschoss Patrick Wengenroth im zweiten Jahr seiner Leitung des Brecht-Festivals in Augsburg die „Gegenwart mit Brecht und Brecht mit der Gegenwart“. Es sollte „kein jammervolles Echo der uns umgebenden Krisen sein, sondern vielmehr Lust darauf machen, diese Krisen durchstehen zu wollen“, so Wengenroth. Ein dichtes Programm aus allein drei Gastspielen, der Eigenproduktion „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“, Kooperationen mit der örtlichen freien Szene, Workshops für Schülerinnen und Schüler, Konzerten und Diskussionsveranstaltungen zielte auf eine lange Woche mit intensivem Kontakt vor, auf und hinter der Bühne.
Viel stand zur Debatte, die Konflikte und Unsicherheiten unserer Zeit sollten Eingang finden. Die Themen Feminismus, Migration, Angst, Neue Rechte und Nazismus aufzunehmen, ohne sie schlicht mitzunehmen, ist ein hehres Anliegen, doch zu meistern ist es schwer und gerät schnell ins Schlingern. Die verschiedenen Themenstränge mochten nicht recht zusammenhalten und brachen sinnbildlich bei einer Podiumsdiskussion zum Motto des Festivals auseinander. Geladen waren die Autorinnen Kathrin Röggla und Stefanie Sargnagel sowie Bazon Brock, seinerseits Kunsttheoretiker. Zur inhaltlichen Debatte kam es kaum, dafür zu harschem Gebaren von Brock gegenüber den weiblichen Podiumsgästen und einer Moderation, die sich unfähig zeigte, Struktur zu schaffen oder gar zu wahren, was nicht nur auf der Bühne für Unmut sorgte. Nach der Veranstaltung kommentierte Wengenroth Bazon Brocks Verhalten als „Wissens-Chauvinismus“, dieser wiederum bezichtigte den Festivalleiter in der Lokalzeitung des Faschismus, da er seines Alters und Intellekts wegen diskriminiert würde. Ein Debakel, das die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben dürfte.
Mit der Eigenproduktion „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ gelang dagegen ein couragierter Versuch, Brechts „Fatzer“ auf die Bühne zu bringen. Der Fragment gebliebene Text wurde einst auch von Heiner Müller ediert, der ihn als „Jahrhunderttext“ bezeichnete. In Augsburg wählte man eine Konstruktion mit den Mitteln des Lehrstücks, an die wiederum die Schere angesetzt wurde. Johann Fatzer desertiert mit drei weiteren Soldaten 1917 von der Front und findet in Mülheim Unterschlupf. Dort soll er, der „Findigste“ unter ihnen, für Fleisch sorgen, was er jedoch durch Eigensinn immer wieder versäumt, gar verhindert, weil er sein Ich nicht den Interessen der Gruppe unterordnet. Das Fleisch, auf das die Deserteure warten, steht für die Revolution, und ihr Ausbleiben zieht immer mehr gesellschaftliche Werte in Zweifel: Liebe, Humanität und Vernunft. Angenagt wird dabei das Lehrstück selbst: Dauernd fallen die Figuren aus dem Spiel, bleiben hängen oder kommen nicht ins Spiel – adressieren nicht die Szene, sondern das Off oder das Publikum. Selbst die Liquidation Johann Fatzers durch seine Kameraden wird mit dem Appell zum Ausstieg aus dem Krieg durchtränkt – ein Ausstieg, der durch eine Stimme aus dem Off zum drastischen Appell für den Bürgerkrieg, der Umwandlung des Kriegs der Völker in den Krieg gegen die Bourgeoise, wird. Christian von Treskows Inszenierung des „Fatzer“ hält am Begriff der Revolution fest, was aus heutiger Sicht, nach deren Scheitern, nach Stalin-Terror und Nazizeit, lächerlich wirken kann. Auch die Konstruktion des Lehrstücks ist nach diesen „Steinschlägen der jüngsten Geschichte“ (Heiner Müller) nicht mehr ungebrochen verwendbar. Von Treskow aber macht vor verkitschten Szenen mit gereckten Fäusten und roten Fahnen nicht halt. Auf der Bühne stehen zehn mannshohe, drehbare Buchstaben, die mal das Wort „Revoluti/no“, mal „no/love“ ergeben. Nicht weniger drastisch wird die Rolle der Frau im Spiegel der Fleischlust der Deserteure demontiert. Auf der Bühne ist die Weiblichkeit gespalten, mal wird die Frau als reines Lustobjekt und reduziert auf Körperlichkeit gezeigt, dann wieder als bieder scheinende Ehefrau. Konfrontiert werden diese Klischees durch die Frauen selbst, die Rechte einfordern – auf Mitbestimmung und die eigene Lust.
Wengenroths Anspruch, „kein Echo der uns umgebenden Krisen“ zu liefern, wird an diesen Tagen nur schwerlich eingelöst, vielmehr ist es in weiten Teilen schlicht dies: ein Echo der uns umgebenden Krisen. Durchbrochen wird es vor allem durch Christian von Treskows Lehrstück an die „Kinder der Verwirrung“ (Unsichtbares Komitee) – nur mit dem Ziel, „Lust darauf zu machen, diese Krisen durchstehen zu wollen“, hat das wenig zu tun, stattdessen ruft es zum Kampf gegen die Gesellschaft auf, die diese Krisen produziert. //