Theater der Zeit

Vorwort

von Brigitte Landes

Erschienen in: Arbeitsbuch 2006: stets das Ihre – Elfriede Jelinek zum 60. Geburtstag (07/2006)

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Das Schwein habe nichts dagegen, auf diese Weise prominent zu werden, begründete Elfriede Jelinek die Erlaubnis, es hier ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Sonst flitzt es als Signet unter ihren E-mails durch den Orbit und ist deshalb vielen eine liebe Computerbekanntschaft. Niemand antwortet so umgehend auf E-mails wie Elfriede Jelinek. Sie bleibt niemandem etwas schuldig. Und sie ist schnell, schlagfertig, präzise und witzig und löst ein, was das kleine Schwein mit ausgesuchter Höflichkeit signalisiert: „stets das Ihre".

Ich frage mich, ob es nicht eher unhöflich ist, den 60. Geburtstag zum Anlaß zu nehmen, ein Arbeitsbuch über sie herauszubringen. Frauen verschweigen doch inzwischen von ihrem 40. Geburtstag an ihr Alter. Aber Elfriede Jelinek verschweigt es nicht.

Wir gratulieren! Mit einem Arbeitsbuch, das sich vor allem mit ihren Theatertexten beschäftigt und der damit zusammenhängenden Theaterarbeit. Es gibt vieles, das unerwähnt bleibt: der Film, die Hörspiele, Essays, die Romane und ihr sich ständig veränderndes Werk auf ihrer Homepage, derzeitiger Umfang 1.600 Druckseiten, ca. 750 Bilder. „Aktuelles, Notizen, Theater, Prosa, Zum Theater, Zur Musik, Zur Kunst, Zum Kino, Zu Politik und Gesellschaft, Vermischtes". Die Homepage ist die Werkausgabe, die die Autorin in Buchform verweigert. Ein Besuch ist zu empfehlen.

Über ihre Stücke heißt es in der Rede zur Verleihung des Nobelpreises 2004 von Horace Engdahl: „Literarische Genres scheinen unter der Hand Jelineks völlig zu verschwinden. Ihre Stücke sind nicht Drama, sondern eher gesprochenes Wort, befreit von der Tyrannei dramatischer Rollen. Verwundert entdecken Regisseure, daß sie ihnen Material an die Hand gibt, das Theater zu revolutionieren." Das Theater hat sich mit Elfriede Jelinek verändert. Viel hat sie in Bewegung
gebracht, den Regisseur zum Co-Autor emanzipiert, die Schauspieler aus dem 19. Jahrhundert befreit, sie spricht dem Text die Definitionshoheit über das Theaterereignis ab, die Inszenierung ist es, die es zu beurteilen gilt.

Mit dem Verbot, ihr letztes, kürzlich in einer Voraufführung am Thalia Theater in Hamburg zu besichtigendes Stück „Ulrike Maria Stuart" als Theatertext zu veröffentlichen, sprengt sie die letzte Bastion bürgerlicher Theaterkritik und -rezeption. Ihr Stück ist das, was auf der Bühne zu sehen ist und zu sehen sein wird. Das Stück wird sich als viele Stücke, als russische Puppe, in der viele andere stecken, beweisen. Sie gibt dem Theater, was des Theaters ist, schreibt und läßt handeln, liefert sich aus. Werktreue? So wird man nicht zur Klassikerin. Oder ist sie eine? Denn mit den Klassikern macht das Theater ja auch, was es will!

„stets das Ihre" stellt sich zur Verfügung und wahrt höfliche Distanz. Dieses ironische Signet lädt in großer Offenheit zur Auseinandersetzung ein, mit dem, was sich dahinter verbirgt. Die Autorin kann sich mit dem Ihren zurückziehen. Schließlich geht es bei einem Arbeitsbuch weniger um ihre Person als um ihre Arbeiten. Vor allem also um „das ihre", das hier so unterschiedlich betrachtet und behandelt wird. Das Arbeitsbuch zu Elfriede Jelinek fügt sich ein in die Reihe personenbezogener Arbeitsbücher im Verlag Theater der Zeit, zu Thomas Brasch (2004), Einar Schleef (2002), Volker Braun (1999), Bertolt Brecht (1998) und Heiner Müller (1996).

Ich bedanke mich bei Harald Müller, der dieses Buch initiiert hat, sowie bei allen, die geschrieben, Gespräche geführt, komponiert, Material zur Verfügung gestellt und mitgedacht haben, dafür, daß dieses Buch zustande kommen konnte. Dank an Elfriede Jelinek und an Ihrer aller Großzügigkeit.

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