Theater der Zeit

Vorwort

von Hans-Jochen Menzel

Erschienen in: Recherchen 108: Horst Hawemann – Leben üben – Improvisationen und Notate (03/2014)

Anzeige

Anzeige

Anzeige

Dieses Buch ist nicht nur eine Bedienungsanleitung zum Erlernen der Schauspielkunst oder zur Ausbildung von Schauspielerinnen und Schauspielern. Es ist auch nicht nur Anregung und Quelle für Dozentinnen und Dozenten, die sich mit der Vermittlung von Grundlagen der Schauspielkunst beschäftigen, sowie für angehende Schauspieler/innen, die sich mit ihrem zukünftigen Beruf auseinandersetzen wollen. Dieses Buch ist vor allem ein Arbeitsbuch für gestandene Schauspieler/innen und Regisseur/ -innen, die mitten in Inszenierungsprozessen stehen. Und nicht zuletzt ist es ein Erinnerungsbuch an den Theaterlehrer Horst Hawemann.

Die Übungen in diesem Buch entbehren jeder Mechanik, sie sind kein Knöpfedrücken mit immer demselben Ergebnis – nein, sie sind sehr lebendig. Sie sind eine Aufforderung, kreativ mit diesem Material umzugehen, vielleicht so, wie Horst Hawemann selbst seine Erfindungen, er nannte sie seine „Nummern“, gesehen hat: Sie waren ihm nie wichtiger als die Menschen, mit denen er arbeitete.

Professor Horst Hawemann lehrte lange Jahre im Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, er gab vornehmlich Unterricht in den Grundlagen Schauspiel im ersten Studienjahr, am Anfang des Studiums, und schloss im vierten Studienjahr mit einem Fortgeschrittenenkurs ab. Er war uns sehr verbunden und unterstützte uns inhaltlich in der Planung des Curriculums mit seinen Erfahrungen.

In seinen Grundlagenkurs konnte man jederzeit hineingehen und zuschauen. Man konnte sehen, wie sich seine Übungen entfalteten, wie sie sich veränderten, weil sie manchmal nicht funktionierten, man konnte zusehen, wie neue „Nummern“ auf der Probe von ihm erfunden wurden. „Einsam öffentlich arbeiten“, nannte Horst Hawemann das.

Er hatte immer einen Plan, wenn er in die Probe hineinging, aber der Plan war die Vorbereitung und die Probe das eigentliche Spiel – er improvisierte. Man sah, dass seine „Nummern“ lebten: Sie wurden im Kopf und auf der Probe geboren, manchmal aufgeschrieben, manchmal vergessen, sie kamen wieder, sahen anders aus, formten sich neu, schlossen sich zusammen, gruppierten sich anders, veränderten die Reihenfolge ihres Erscheinens – sie waren quicklebendig und führten, wie er manchmal schmunzelnd sagte, „ein irres Eigenleben“.

Er selbst aber trat zurück, er arbeitete uneitel, was seine eigene Persönlichkeit in diesem Prozess betraf. Er freute sich an dem, was die Studierenden entwickelten, er spielte mit, hatte seinen Spaß, den er nie zurückhielt. Er regte an, weckte die spielerischen Kräfte, die Erinnerungen, die Erfahrungen, klopfte leise aber nachdrücklich an die Schutzschilde der Studierenden, indem er ihre Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Regungen lenkte. Ihm war es wichtig, in den Studierenden ein Verantwortungsgefühl für den sorgsamen Umgang mit ihren eigenen Beobachtungen und Eindrücken zu entwickeln.

Er arbeitete mit den Studierenden nicht ohne Druck, aber spielerisch leicht, tänzelnd, schwebend, zart, er hielt nichts von Zerstörung und Neuaufbau. Er sensibilisierte ihre Beobachtung, auch die Selbstbeobachtung, aber nicht als Nabelschau und ohne psychologisierende Aufschreie – sondern im Kleinen. Manche „Nummern“ waren nur ein Wort, eine Geste, ein Blick.

Die scheinbare Endgültigkeit, die nun das Aufschreiben solcher Prozesse immer mit sich bringt, müssen die Anwender/innen, die Leser/innen selbst wieder auflösen. Einst sehr lebendig vorgetragene „Nummern“ sind jetzt Beispiele, sind Anregungen geworden, mit denen man umgehen kann, die man selbst in der Situation, in der sie angewendet werden, spielerisch leben, die man aufnehmen und verändern muss.

Aber ein guter Beobachter muss man schon sein. Die schönsten Übungen nützen nichts, wenn man nichts in den Menschen lesen kann. So ähnlich hat das Horst mal gesagt.

Hans-Jochen Menzel
Professor an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“,
Abteilung Puppenspielkunst

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Das Ding mit dem Körper. Zeitgenössischer Zirkus und Figurentheater
Theaterregisseur Yair Shermann