Auftritt
Staatsoper Unter den Linden/Humboldtforum Berlin: Langeweile im Orbit
„Orbit – A war series“ von Brigitta Muntendorf – Komposition, Künstlerische Leitung Brigitta Muntendorf, Konzept Moritz Lobeck, Brigitta Muntendorf, Dramaturgie Mehdi Moradpour, Audio-Programmierung Lukas Nowok
Assoziationen: Theaterkritiken Musiktheater Staatsoper Berlin

Saal 2 im Humboldt-Forum. Es ist dunkel und (kunst-)neblig. Aus den Lautsprechern tönen Stimmen, darunter – auf Englisch – die einer Kriegsberichterstatterin. Vergewaltigung sei die billigste Waffe in Kriegen, sagt sie. Ein ernstes Thema, eines, das erschüttern und schockieren sollte. Doch nichts passiert. Weder unter den Zuschauern, die auf Hockern sitzen, noch auf einer Bühne, die es streng genommen gar nicht gibt.
Denn Brigitta Muntendorfs 2023 bei der Biennale in Venedig uraufgeführte Hör-Kreation „Orbit – A War Series“, die in Koproduktion mit der Staatsoper Unter den Linden entstand, wurde für KI-Stimmklone, 3D-Audio und Elektronik konzipiert. Ohne Akteur:innen, ohne Sänger:innen. Alles maschinell erstellt. In karger Illumination (Licht Begoña Garcia Navas) sind da Textschnipsel aus 32 Lautsprechern zu hören, mal gesprochen, mal auf Technobeats gerappt, mal gesungen. Sie basieren unter anderen auf Interviews, Reportagen und Dokumentationen aus Afghanistan, Iran, der Demokratischen Republik Kongo, Polen, den USA, dem Zweiten Weltkrieg in Asien. Es geht um die Verstrickung von Gewalt, Sexualität und Macht und um die systemische Gewalt gegen Frauen.
Der Anspruch der Komponistin, die ab September 2025 die Intendantin der KunstFestSpiele Herrenhausen in Hannover wird, ist hoch. Ein „Space Oratorium“ nennt sie ihr Werk, ein ganz nach innen gerichtetes „Musiktheater der Zukunft“. „Während des Kapitels zu den Protesten der jungen Frauen im Iran“, sagt sie, „fühlt es sich zum Beispiel so an, als wäre man mitten in den Protesten, als würden sie um einen herum stattfinden. Ich wollte diese Atmosphäre von Gewalt und Überwachung mit dieser unglaublichen Kraft der Menschen zum Widerstand zusammenbringen, eine Kraft wie die Stimmen, die unsterblich erscheint.“ In der Theorie klingt das gut. In der Praxis aber sah es so aus: Viele aus dem Publikum daddelten gelangweilt auf ihren Smartphones herum und gähnten mitunter. Verstört war hier niemand. Wie auch. Ein schockierendes und gefühlsmäßig aufrüttelndes Thema wird einer rationalen KI überlassen. Das lässt einen buchstäblich kalt.
Im Interview mit dem Magazin Concerti erzählte Brigitta Mundendorf kürzlich: „Ich selbst wurde als Jugendliche aus der Hamburger Laeiszhalle rausgeschmissen, weil ich bei einem Ligeti-Stück einen Lachkrampf gekriegt habe.“ Neue Musik erfordere eine andere Art des Zuhörens, weil sie nicht den gewohnten Mustern folgt, „die wir mit Musik verbinden“. Es bleibt die Frage: Welche „Art des Zuhörens“?
Oft wird die Ansicht bemüht, das Musiktheater solle sich, wenn schon nicht auf einer Bühne, so im „Kopf der Zuschauenden“ abspielen. Eine in meinen Ohren und Augen wohlfeile Meinung. Damit machen manche Künstler und Künstlerinnen es sich zu einfach. Die theoretische Absicht, sei sie noch so gut gemeint und intellektuell wohl formuliert, reicht einfach nicht aus, um die Zuschauenden aufzurütteln. Das Werk mit einem gesellschaftlichen oder politischen Missstand zu etikettieren auch nicht. Im besten Fall berührt Kunst mit allen Sinnen und wirkt nachdrücklich und eindringlich.
Seitens der Veranstalter im Humboldt Forum wurde beim Erwerb eines Tickets vor den „sensorischen Reizen“, in diesem Fall Stroboskopeffekte, und den „sensiblen Inhalten“ gewarnt. Ein sogenanntes „Awareness-Team“ sei deshalb anwesend und Gehörschutz läge an der Spielstätte bereit wegen der hohen Lautstärke. Es brauchte beides nicht.
Erschienen am 9.4.2025