Auftritt
Bürger:Bühne Dresden in Kooperation mit den Theatern Chemnitz: Uranabbau, Bergmannsstolz und der Weltfrieden
„Tausend Sonnen“ von Tobias Rausch unter der Mitarbeit von Christine Besier und René R. Schmidt und Ensemble – Regie Tobias Rausch, Bühne und Kostüme Anna Maria Münzer, Musik Arystan Petzold
von Michael Bartsch
Assoziationen: Theaterkritiken Sachsen Tobias Rausch Staatsschauspiel Dresden
„Damit der Arsch euch nicht erkalte, geht es wieder auf die Halde!“ Mit diesem Spruch aus DDR-Zeiten machten Wehrpflichtige und (männliche) Studenten ihre mittelbaren Erfahrungen mit der SDAG Wismut, die ihre militärische Grundausbildung auf den Bergbauhalten von Selingstädt und Ronneburg in Ostthüringen „genießen durften“. Sehr viel direkter berichten an der Bürgerbühne des Dresdner Staatsschauspiels nun zwei weibliche und vier männliche Akteur:innen reiferer Jahrgänge in strahlenraumtypischen „Gelbmännern“ von ihren direkten Erfahrungen im weltgrößten uranfördernden Unternehmen. Denn die Bezeichnung „Wismut“ diente nur der Tarnung für das, wonach wirklich zwischen Gera, Dresden und dem Erzgebirge geschürft wurde: Uranhaltiges Erz für sowjetische Kernkraftwerke und Atombomben.
Wie oft an Bürgerbühnen zu erleben, sprechen die Akteurinnen und Akteure vor allem durch ihr authentisches, ehrliches und Sympathie weckendes Auftreten an. Allerdings berichten und erzählen sie meistens, wodurch das Dresdner Stück ein wenig wortlastig gerät und mehr Szenerie vertragen hätte. Im Rücken der Zuschauer:innen in der ehemaligen Probebühne des Kleinen Hauses läuft ständig ein Textmonitor mit, und trotzdem muss der Souffleur während der reichlich hundert Minuten Spielzeit mehrmals weiterhelfen. Es beginnt aber theatralisch. Im Bergesdunkel wird die maßlos traurige alte Geschichte von einem verschütteten jungen Bergmann erzählt, dessen Braut ihm dennoch sechzig Jahre treu bleibt, bis dessen Überreste bei einer anderen Bohrung überraschend aufgefunden werden.
Als es hell wird, erscheint eine festungsartige oder eben an Stollenwände erinnernde Wand aus verschiedensten Papp-Profilen. Bürgerbühnenleiter Tobias Rausch, seine Mitarbeiter und die sechs ehemaligen Wismutler machen etwas aus dieser trefflichen Idee. Aus den Pappteilen lassen sich vorgestanzte Requisiten herauslösen, das bergmännische Gezähe, also Schlägel und Eisen, Flaschen mit „Kumpeltod“, Telefonhörer. Zwei Kakerlaken, die es tatsächlich tausendfach unter Tage gab, haben die Menscheit um vier Millionen Jahre überlebt, wühlen sich durch die Pappmauer und finden Spuren des Anthropozäns.
Daraus entwickelt sich eine hübsche Szene aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heinz Richter, seinerzeit tatsächlich in der Handelsorganisation der Wismut für den verbrauchssteuerfreien Trinkbranntwein zuständig, alarmiert am Telefon seine Betriebs- oder Parteileitung, weil der „Kumpeltod“ auszugehen droht. „Der Weltfrieden hängt von uns ab“, verleiht er der Forderung nach mehr Schnaps Nachdruck. Denn soweit in der DDR offiziell überhaupt vom Uranbergbau gesprochen wurde, wurde die nach dem Zweiten Weltkrieg beginnende Entwicklung einer sowjetischen Atombombe mit der friedenssichernden Notwendigkeit der Abschreckung im Kalten Krieg der Systeme begründet.
Zunehmend werden im Stück dann aber persönliche und informative Geschichten, aber auch Legenden erzählt. Die lassen sich nun einmal kaum inszenieren, schon gar nicht naturalistisch. Man erfährt Wissenswertes über die im Abbaugebiet verlaufende geologische Verwerfung, eine so genannte orogene – nicht erogene Zone. 1789 wurde erstmals Pechblende, das Uranit entdeckt. Ziemlich wild fing 1947 die Sowjetische Aktiengesellschaft SAG Wismut an, später ein sowjetisch-ostdeutscher „Staat im Staate“. Von größter Geheimniskrämerei umgeben, und doch wusste jeder DDR-Bürger:innen von den Versorgungs- und Einkommensprivilegien.
Der Preis dafür war freilich hoch, gesundheitlich und landschaftszerstörend. Berührende Einzelschicksale werden erzählt, etwa von der schon 1940 geborenen Christa Härtel. „Hier werde ich mich nie eingewöhnen“, hörte sie als Kind ihre Mutter sagen, eine von den bis zu 130 000 geworbenen Mitarbeitern der Wismut. Man erfährt etwas über das zur Vermeidung einer Staublunge vorgeschriebene Nassbohren, über Kühlungsprobleme in mehreren hundert Meter Tiefe, und „der beste Schlaf ist der Grubenschlaf“. Und man vernimmt die Träume derer, die mit einer verkürzten Lebenserwartung rechneten. Im Lebenshunger wollten sie das reichlich gezahlte Geld auf den Kopf hauen oder einmal eine Kreuzfahrt mit der „Völkerfreundschaft“ erleben. Das sind berührende Passagen, noch mehr, wenn ohne penetrante Schwärmerei konstatiert wird: „Es war eine große Familie!“
Sozusagen im letzten Akt folgt die Abteilung Gewissen und Moral. Wohl war die Wismut der größte Auftraggeber für Bildende Kunst in der DDR. Aber sie steht auch im Zusammenhang mit den Kernwaffentests im ostkasachischen Semipalatinsk, die angeblich bis zu 350 000 Opfer gefordert haben sollen, mit Tschernobyl 1986. Ein bisschen sprunghaft pendelt das Geschehen dann zwischen dem Ende der SDAG Wismut 1991 nach 216 000 Tonnen gefördertem Uran und der Gegenwart. In der nämlich über Atomkraft als klimarettende Alternative debattiert wird und russische Sprengköpfe mit angereichertem Erzgebirgsuran plötzlich auf uns gerichtet sind.
Da kommt an der Bürgerbühne wieder richtiges Theater auf, wenn ein Energiemonster in Papprüstung nach immer mehr Energie brüllt und letztlich bei der Banane als Spender der Superpower landet. Die Erinnerung an den Umgang mit Wismut-Folgen trägt ambivalente Züge. Zwar erinnert kaum noch ein Industriedenkmal an den früheren Uranbergbau. Aber Schlema bei Aue ist wieder ein Kurort, nachdem der ganze Ortskern einst viele Meter abgesackt war. Der promovierte Gewässerkundler Kai-Uwe Ulrich, aus Karlsruhe stammend, steuert andererseits eine Vorlesung über die ungeklärten Risiken der versuchten Schwefelsäurelösung bei Königstein bei. Stoff für eine journalistische Recherche. Bitter wird es bei authentischen Berichten über multiple Krebserkrankungen, deren Anerkennung als Berufskrankheit wegen angeblicher „geringer Verursachungswahrscheinlichkeit“ von nur 12,3 Prozent von der Bundesrepublik abgelehnt wurde.
War es das wert? Hat es sich gelohnt, fragen die Zeitzeugen:innen am Ende? Bei der Traditionshymne „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“ siegt der aus den Gefahren seit dem ersten Freiberger „Berggeschrey“ von 1168 gewachsene Bergmannsstolz. „Auf den Schäden bleiben wir sitzen, aber die Tradition können sie uns nicht nehmen!“ Das Lied bricht allerdings mitten in der Strophe ab.
Erschienen am 13.12.2022