Auftritt
Theater Naumburg: Kampf um die Hauptrolle
„Beim Film müsste man sein“ von Neil Simon, übersetzt von Andreas Pegler, Regie und Ausstattung Stefan Neugebauer
von Michael Helbing
Assoziationen: Theaterkritiken Sachsen-Anhalt Stefan Neugebauer Neil Simon Theater Naumburg
Jane Fonda heißt jetzt Angelina Jolie, aus Marlon Brando wird George Clooney und anstatt des Typen, der den „Weißen Hai“ gedreht hat, bleibt nun jener von „Titanic“ unbenannt. Ansonsten ist fast alles beim Alten. Na schön, Adressen findet man inzwischen im Internet, nicht im Telefonbuch. Die unaufgeräumte Bruchbude, die Ort der Handlung ist, verfügt jedoch weiterhin nur über einen simplen Fernsprechapparat sowie eine klapprige Schreibmaschine.
„Das Stück spielt in Los Angeles zur Zeit der jeweiligen Aufführungsserie“, heißt es im Text. Handy und Laptop ziehen trotzdem nicht ein: in diese kleine, reichlich unbekannt gebliebene Komödie eines großen, sattsam prominenten Bühnen- und Drehbuchautors, der zum Beispiel „Barfuß im Park“ und die „Sonny Boys“ geschrieben hat. Von „Beim Film müsste man sein“ („I Ought to Be in Pictures“) hatte indes nicht einmal der regieführende Intendant Stefan Neugebauer etwas gehört, bevor er den Zweiakter inszenierte. Er war ihm bei der Internetrecherche vor die Füße gefallen.
Jetzt steht es da auf der Bühne des allerkleinsten aller deutschen Stadttheater, hebt gewiss selbst die regionale Theaterwelt kaum aus den Angeln und beschert uns doch eine kleine und eine größere Entdeckung: eine mit Wut und Angst und Traurigkeit getränkte Wortwitz-Komödie sowie eine Schauspielerin in einer ebensolchen Rolle. Dabei kreisen hier im Grunde zwei Frauen um die verkrachte Existenz eines Mannes: Herb Tucker, schreibblockierter Drehbuchautor auf absteigendem Ast. Ron Leibman spielte ihn 1980 am Broadway, Walther Mattau zwei Jahre später in Hollywood.
Den Weg von New York nach Los Angeles ließ Neil Simon auch zwei seiner Figuren zurückgelegen: den alten Herb vor sechzehn Jahren sowie jetzt, mit dem Bus und auch zu Fuß, die 19-jährige Libby, bevor sie mit Koffer und Rucksack bei ihm unerwartet auf der Matte steht. Sie ist seine Tochter, die er, wie auch ihren Bruder und die Mutter, einst in Brooklyn sitzen ließ. Sie will nun unbedingt zum Film. Das jedenfalls macht sie ihm, uns und auch sich selbst glauben. Dabei will sie, stellt sich heraus, eigentlich nur eine einzige Hauptrolle spielen: eine im Herzen des verlorenen Vaters.
„Ich bin Schauspielerin“, behauptet Libby. Was sie betrifft, ist das eine glatte Lebenslüge. Was Selena Bakalios in dieser Rolle betrifft, ist es nichts als die reine Wahrheit. Sie stellt und stampft eine kernige und burschikose junge Frau aufs Brett und zieht ihr eine zweite Ebene ein, auf der von dem enormen Selbstvertrauen, das sie behauptet, nichts übrigbleibt. Hier teilt sie aus, dort geht sie in Deckung, hier ist sie vor-, dort eher kleinlaut. Sie ist schlagfertig, um nicht einstecken zu müssen. Die Lady ist ein Tramp auf unbefestigtem Untergrund sowie auf dem schwankenden Boden eines permanenten Stimmungsumschwungs. In der jungen Frau tobt ein kleines Mädchen: ein Trotzkopf und eine Schmollschnute, die nach Liebe schreien. So wird sie hier zum Chef im Ring.
Der Vater heißt Herb, seine Tochter wirkt herb – auch kantiger als er, – darunter aber mit aufgeweichtem Nervenkostüm. Er steckt seine Hände in die Hosentaschen, sie vergräbt die ihrigen darin. Er redet drauf los, sie schießt ihre Wortgiftpfeile mit einiger Verzögerung ab und senkt dann verunsichert die Stimme. Mitunter verpuffen ihre staubtrockenen Pointen dabei, gleichwohl bleibt Bakalios das komödiantische Zentrum.
Wolfgang Mondon hat’s dagegen etwas schwerer. Sein Herb gerät ihm wie die Orangen aus dessen Vorgarten: zu saftig alles in allem. Er spielt, was er sagt, seltener, was er denkt, überspielt kaum seine (Bindungs-)angst. Zu wenig Kotzbrocken und Stinkstiefel: Zu wenig scheißegal. Er müsste seine Rolle tiefer legen und kürzer anbinden. Er gerät zu schnell ins allerdings allzeit glaubhafte Gefühl. Das schleift mitunter seine Pointen. Tempi und Temperaturen der handwerklich stimmigen Inszenierung verteidigt er unterdessen sehr souverän.
Caroline Walker dient der Aufführung als Auge des Orkans und den Kollegen als zuverlässiger Sidekick: Steffy, Maskenbildnerin beim Film, so aufgeklärte wie abgeklärte Frau, ist Herbs duldsame und sanftmütige Bettgefährtin, die gerne zur Lebensgefährtin aufstiege, ohne deshalb allerdings in emotionale Abhängigkeit geraten zu wollen. Herb packt sie gerne an, sie entzieht sich, wenn’s sein muss. Ganz greifbar wird sie ohnehin nicht, was mehr an der Rolle als der Schauspielerin liegen mag.
Solide Oberfläche, einiger Tiefgang, intimer Rahmen: In vergleichsweiser spartanischer Ausstattung, die keine Seitendekoration kennt, sondern bis auf eine Ausnahme mit den Wänden und Türen sowie den besonderen Bedingungen dieses kleinen Theaterraums arbeitet - man wird absehbar endlich eine neue Spielstätte beziehen können -, ist das alles in allem ein lohender Abend geworden. Anders als Herb in seiner Situation müssen wir uns jedenfalls nicht fragen, was hier eigentlich gespielt wird.
Erschienen am 24.10.2023