Magazin
Was auf dem Spiel stand
Jenny Erpenbeck: Kairos. Penguin Verlag, München 2021, 381 S., 22 EUR.
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Volksbühne Neu (11/2021)
An einem Tag im Juli 1986 lernt die 19-jährige Katharina in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes den wesentlich älteren Hans kennen. Sie werden sofort ein Paar, obwohl Hans verheiratet ist und seine Familie nicht verlassen will. Sie werden, bei aller Ungleichheit, sogar ein ideales Paar, das die Liebe in immer wieder neuen gemeinsamen Entdeckungen feiert, einschließlich der kleinen Jubiläen ihrer Geschichte. Bis alles kippt und bricht, so wie das Land, in dem sie leben.
Jenny Erpenbeck erzählt diese ungewöhnliche Liebesgeschichte vor dem sehr genau geschilderten Kulturmilieu der späten DDR. Erzählperspektivisch handelt es sich um eine Recherche, für die nach dem Tod von Hans zwei Kartons mit verschiedenen Materialien ausgepackt und gesichtet werden. Die größeren Zusammenhänge entstehen freilich auf einer anderen Ebene, als es das scheinbar lose geordnete Material selbst hergeben dürfte. Dafür ist der meist in kurzen Szenen und damit vorwärtsdrängend erzählte Roman einfach zu souverän komponiert.
Hans, freier Feature-Autor beim Rundfunk, und Katharina, die nach einem mitgestaltenden Beruf im Theater strebt, aber dafür noch unsicher ist, sind zwar zunächst nur in ihrem Liebeskokon mit dem Besuch einschlägig bekannter Lokale beschäftigt. Nach und nach rückt die Autorin jedoch die Kulturwelt für ihre Protagonisten in den Vordergrund, vor allem sehr viel...