Bern unmittelbar vor Weihnachten. Die Stadt gleicht einer Mall, in der einen ständig jemand anbrüllt. Zerstreuung ist das Prinzip. Nirgendwo ein Augenblick der Ruhe, keine Möglichkeit der Konzentration, der Versenkung. Wirklich? Am Stadtrand, in einem unwirklichen Industriegebiet, findet die Premiere von Albert Camus’ „Das Missverständnis“ statt. Es wird ein Abend des Gegenglücks.
In der westeuropäischen Nachkriegszeit und in den fünfziger Jahren war Camus eine wichtige Stimme des ethisch getönten Existenzialismus, der das absurde, mechanisierte, unfreie Dasein erst erlöst und sinnvoll sieht, wenn der Einzelne sich erhebt gegen eine existenzielle Bedrohung – und auch im Untergang eine positive Gegenkraft in die Welt setzt. Eine bereits damals mit seinem Aufstieg einhergehende Kritik, „weißes Schreiben“ zu produzieren und die Figur des Sisyphos als hermetischen Panzer jenseits konkreter, auch eingreifender Handlung zu behaupten, führte zuletzt, da die Welt, besonders die französische, immer schneller aus den Fugen geriet, zu einer Neubefragung, die in Frankreich eine große Grundsätzlichkeit erlangte und bis nach Deutschland und wie hier in die Schweiz übersprang.
Die Geschichte kann düsterer kaum sein. Ein Mann kehrt nach zwanzig Jahren in seinen Heimatort zurück. Dort führen seine Mutter (Heidi Maria Glössner) und seine Schwester (Irina Wrona) ein Gasthaus, in dem sie gutsituierte Gäste ausrauben...