Theater der Zeit

Auftritt

Neubrandenburg: Die Welt ein bisschen liebhaben

Theater Neubrandenburg Neustrelitz: „Warten auf’n Bus“ von Oliver Bukowski. Regie Katrin Hentschel, Ausstattung Alexander Wolf

von Juliane Voigt

Erschienen in: Theater der Zeit: Publikumskrise (11/2022)

Assoziationen: Theaterkritiken Brandenburg Theater und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz

Die Inszenierung setzt auf Sprache: „Warten auf’n Bus“ in der Regie von Katrin Hentschel am Theater Neubrandenburg NeustrelitzFoto: David Baltzer

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Hannes und Ralle im Buswartehäuschen werden Kult. Erst die grimmepreisverdäch­tige TV-Serie, dann die erste Theaterversion in Bielefeld. Jetzt hatte „Warten auf’n Bus“ im Neubrandenburger Schauspielhaus Premiere – die Sunnyboys des Ostens erobern die Bühne! Ihr Autor Oliver Bukowski hatte die beiden Wendeverlierer, einer frühpensioniert, der andere langzeitarbeitslos, eigentlich in die brandenburgische Pampa gepflanzt, aber die beiden lassen sich auch ganz gut umtopfen. Hauptsache, es dümpelt ringsum die reinste schöne Öde. Acker mit Raps und Mais und Tierzucht mit fünfzigtausend Schweinen, der sinnlose Rand der Gesellschaft, auch geografisch gesehen. Und da nehmen sich Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern nicht viel, jedenfalls nicht an einigen Endpunkten des ­öffentlichen Nahverkehrs. Hier wie da rollen die Büsche über die Steppe, ist die Infrastruktur abgewandert. „Termin beim Arzt? Wenn, denn brauchen die die selber.“ Deshalb versucht Hannes, gespielt von Matthias Horn, seinen Freund Ralle (Thomas Pötzsch), der sich selbst einen multiplen Knall ­diagnostiziert, mit küchenpsychologischen ­Maßnahmen, einer Mischung aus Abreiß­kalendertipps und Glückskeksratschlägen, zu therapieren. Eine Selbsthilfegruppe, in der der Einäugige König unter den Blinden ist. „Ich hab noch was zu verlieren“ – „Ja, watt denn??“

Regisseurin Katrin Hentschel lässt da noch das gesamte Personal des Abends, nämlich drei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen, ihre inneren Spannungszustände ausloten, die nach ein paar Versuchen heiteren Armschwenkens höchstens einer inneren Leere weichen. „Grinsen, damit das Gehirn denkt, es ist Party!“ So lautet eine der Therapieaufgaben. Oder laut „Ich bins, der König vonner Welt!“ rufen. Oder: „Schreib mal Sieben Dinge uff, die am Tag richtig jut sind … muss jetzt nüscht Großet sein ...“ Ist auch schwer, nach einem langen Tag an der Bushaltestelle. Früher sind sie von hier aus noch los zur Arbeit, mit Stullenbüchse und so. „Dit hier war unser persönliches Baikonur!“ Jetzt startet hier gar nichts mehr. Es wird gewartet. Auf nichts. Höchstens auf den Bus. Aber nicht, um damit irgendwo hinzufahren, sondern um zu sehen, wie sie aussteigt: Kathrin (Anika Kleinke), die Busfahrerin, die an der ewigen Wendeschleife des Lebens immer eine raucht.

Aus dem überbordenden Serienmaterial sind zwei Stunden Theaterabend geworden. Auf der Bühne eine schnörkellose Bushaltestelle wie aus dem Modellbaukasten (Ausstattung Alexander Wolf), Regieanweisungen werden einfach im On gesprochen, aber nicht ausgeführt, jedenfalls nicht die, die im Buch stehen, es kommt kein Bus vorbei. Die Inszenierung setzt offensichtlich auf Sprache, astreines (neu)brandenburgisches Genuschel, und auf Spiel, mit ganzem Einsatz aller Beteiligten. Und das hält diesen Abend. Die beiden Buddys gehen handfest aufeinander los, vertragen sich, hauen sich krakeelend die derbsten Sprüche auf den Kopp und sind am Ende wieder ganz dicke Tinte. Sogar als sie feststellen, dass sie sich beide in Kathrin verguckt haben, schiebt der eine den anderen vor. „Ich denke, dass einer von uns beiden jetzt mal Glück haben sollte, das würde mich irgendwie aufbauen.“ Logo, dass sie den jungen Libyer Tarek (Katha Hoffmann) vor der Ordnungsmacht verstecken, sind doch keine Nazis, auch wenn das alle denken. Polizist Britzke (Dirk Schmidt) macht sich als Dorfsheriff zwar mächtig wichtig, aber kommt in etwa so bedrohlich rüber wie der Wachtmeister im Räuber Hotzenplotz. Die beiden Hilfsgeschichtsphilosophen handeln auf ihrer Wartebank gesellschaftlich relevante Themen mit überraschender Logik ab und starten am Ende, szenisch zusammengesetzt nach hauseigener Dramaturgie, eine gemeinsame Politiker­karriere – mit dem Wahlprogramm: „Wir ­drücken Euch nüscht druff! Wenn ihr mit Eure Einkaufstüten ausm Bus steigt, sind wir da! Inne Haltestelle! Dann wird jeredet, dass et nur so schnurpst. Dat versprechen Euch ins Jesichte rin: Ralle Paschke und Hannes Ackermann.“ Man hat sie einfach lieb. Zeit möchte man haben, um mit ihnen da rumzualbern, auf der Wartebank, ihnen zuzuhören und zuzusehen und die Welt ein bisschen besser zu verstehen. Für einen Abend gerade möglich im Theater Neubrandenburg Neustrelitz. //

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