Banalität und Schrecken
Das realistische Experiment des Reenactments
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
Zwanzig Jahre nach den historischen Ereignissen rekonstruiert Milo Rau im Jahr 2009 in Bukarester Theatrul Odeon mit rumänischen Schauspielern den Prozess und die Hinrichtung der Ceauşescus. Monatelange Recherchen sind diesem vom Regisseur selbst „Reenactment“ genannten Theaterabend vorangegangen. Was den Zuschauern gezeigt wird, ist die präzise Rekonstruktion dessen, was mittels Fernsehbildern Weihnachten 1989 um die Welt ging und sich tief in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat – die knappe Stunde des Prozesses und die anschließende sofortige Erschießung. Rau bringt diesen Prozess in einer historischen Rahmung auf die Bühne: vorausgehende Videobotschaften, in denen dieselben Schauspieler, die anschließend die historischen Figuren spielen, stark fiktionalisierte Monologe von sechs Rumänen sprechen, die am Sturz und an der Hinrichtung beteiligt waren und aus der Rückschau darüber berichten. Für das folgende Reenactment des Prozesses nutzt er dann aber allein die Realität der Bühne in ihrer klassisch dramatischen Form: Einheit von Ort, Zeit und Handlung, vierte Wand, kein Einsatz von Film oder anderen Dokumenten. Bis es schließlich zur Erschießung kommt, die dann im Dunkel der leeren Bühne nur noch zu hören ist. Milo Rau begreift, und das soll im Folgenden gezeigt werden, das Reenactment als Behauptung des Es-ist-so-Gewesen, um es mithilfe darstellerischer und szenischer Mittel in eine theatrale...