Gespräch
Was macht das Theater, Traute Hoess?
von Patrick Wildermann und Traute Hoess
Erschienen in: Theater der Zeit: Angst und Widerstand – Thema Afghanistan (10/2021)
Assoziationen: Akteure Dossier: Was macht das Theater...? Robert Wilson
Frau Hoess, erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Robert Wilson?
Die erste Arbeit von Bob Wilson habe ich bereits 1976 auf einem Festival in München gesehen, eine Performance von ihm und Christopher Knowles, der ja bis heute für ihn die Texte schreibt. Persönlich begegnet bin ich ihm erst, als ich für die Rolle der Frau Peachum in der „Dreigroschenoper“ am Berliner Ensemble vorgesprochen habe – oder genauer gesagt: vorgesungen, mit der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“. Ich war wahnsinnig aufgeregt. Wilson hat das natürlich gemerkt – und aus Silberpapier eine kleine Kugel geformt, die er vor mich auf den Tisch legte. Diesen Punkt sollte ich ansingen. Das hat sofort etwas bewirkt. Der Körper bekommt eine Spannung, der Blick fokussiert sich – und auf einmal habe ich das Lied ganz anders empfunden. Wilson hat gar nicht erklärt, was er vorhat, er hat es einfach gemacht. So ist die Arbeit mit ihm immer gewesen: voller Überraschungen.
Wie haben Sie die Proben mit ihm erlebt?
Zunächst mal hat Wilson eine besondere Fähigkeit, Konzentration zu schaffen. Er beginnt die Proben oft damit, dass alle zusammen für eine Minute schweigen. Jede und jeder um ihn herum kommt dadurch zur Ruhe, bis so etwas wie ein gemeinsamer Atem entsteht. Wilson hat auch oft gesagt, er finde es das Schwerste für eine Schauspielerin oder einen Schauspieler, einfach auf der Bühne zu stehen und still zu sein. Veranschaulicht hat er das mit einer Geschichte über die Sängerin Jessye Norman, mit der er eng befreundet war. Norman hatte einen Auftritt kurz nach 9/11, den sie eigentlich absagen wollte. Er hat ihr zugeredet, doch auf die Bühne zu gehen, denn gerade jetzt bräuchte es ihre Stimme. Sie ist dann auch aufgetreten. Aber zu Beginn des Konzerts konnte sie zehn Minuten lang nicht anfangen zu singen. Diese zehn Minuten Stille hat Wilson als einen magischen Moment beschrieben. So etwas verändert einen Raum vollkommen. Natürlich nur, wenn man sich darauf einlässt.
Wilson gilt als jemand, der seine Inszenierungen bis ins Kleinste durchchoreografiert. Wo entstehen die Räume für die Schauspielerinnen und Schauspieler?
Wilson schreibt einem nie vor, was man zu denken hat. Er schafft Gesamtkunstwerke aus Klang, Architektur, Lichtdesign, Musik, Kostüm und Maske, die streng in der Form sind, eine ungeheure Präzision besitzen – aber für die Spielenden entsteht eine große Freiheit und Leichtigkeit. Ich weiß noch, dass ich zu Beginn der Arbeit an der „Dreigroschenoper“ alles richtig und besonders schön machen wollte. Wilson kam zu mir in die Garderobe und sagte, er finde es wirklich toll, was ich spiele, auch sehr komisch – aber ich solle nicht so sehr auf diese Komik drücken. Ich solle nur 80 Prozent davon zeigen, nicht die vollen 100. Die „Dreigroschenoper“ war für mich ein Lernprozess. Ich habe verstanden, welche Möglichkeiten sich in dieser Wilson-Form eröffnen. Im Sound kann man alles ändern. Wenn ich in der Laune war, konnte ich der Frau Peachum etwas Verrückteres geben, etwas Schrilleres, oder auch mehr Traurigkeit. Zwölf Jahre lang waren Jürgen Holtz und ich Herr und Frau Peachum, wir sind mit der Inszenierung um die ganze Welt gereist – und auch zusammen gealtert.
War die „Dreigroschenoper“ Ihre Lieblingsarbeit mit Wilson?
Die „Shakespeare Sonette“ zählen genauso zu meinen Lieblingsstücken. Die waren völlig anders als die „Dreigroschenoper“. Ich hatte eine Glatze, trug Pumphosen, saß auf einem Hochrad und sprach diese wunderbaren Zeilen: „O weh, was gab die Liebe mir für Augen. Sie sieht das Wahre nicht, nur das Verkehrte.“ Bei Wilson sitzen auch die Schauspielerinnen und Schauspieler, die gerade keinen Auftritt haben, so gerne hinter der Bühne und hören zu! Er öffnet den Raum für den Text. „Endspiel“ habe ich auch geliebt. Da gab es diesen Moment, in dem Jürgen Holtz und ich aus unseren Tonnen kommen und mit weißen Handschuhen Klavier spielen, ganz lustig klimpernd – ich hätte Bob Wilson aber nie gefragt, wieso wir das eigentlich machen sollen. Man macht es. Und dann merkt man plötzlich, für sich selbst, wieso es Sinn ergibt. Angela Winkler, die in einer Voraufführung war, hat mir zur Premiere eine Karte geschrieben und über diese Szene geschwärmt: „Traute, die Hände wollen leben!“
Was wünschen Sie Wilson zum 80. Geburtstag?
Ein ganz langes Leben! Ich wünschte, dass er in einen Jungbrunnen fiele und ich auch, damit wir noch mal zusammen um die Welt reisen könnten. Ich wünsche ihm, dass er bei Kraft bleibt und einfach weiterarbeiten kann. Es gibt ja sonst niemanden wie ihn. //