Politisierung der 1920er und 1930er Jahre
Antikapitalistisches Theater in Deutschland: Piscators Montagen und Agitprop
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
1920 gründete Erwin Piscator das Proletarische Theater in dem von revolutionären Kämpfen erschütterten Berlin. Wieland Herzfelde veröffentlichte das Programm in der Zeitschrift DER GEGNER, John Heartfield schuf das Bühnenbild für RUSSLANDS TAG, den Hauptteil der ersten Inszenierung. Beide gehörten zum Kreis des Berliner Dadaismus. Episch direkt das Publikum ansprechend, suchte die montageartige Aufführung RUSSLANDS TAG aus der Perspektive der antikapitalistischen Revolution plakativ zu demonstrieren, welche sozialen Kräfte in der gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und der proletarischen Revolution in Europa mitwirken: Auf der einen Seite in den Figuren Weltkapital, Offizier, Diplomat und Professor für Soziologie, die die Revolution in Europa vernichten wollen, dargestellt, auf der anderen gezeigt in Flüchtlingen der vom Horthy-Regime in Ungarn abgewürgten Revolution wie Proletarier aus Ungarn, der Figur Deutscher Arbeiter und Stimmen des russischen Proletariats.49 Das epische Ausstellen der komplex internationalen, gleichsam welthistorischen Verlaufsform grundlegender soziopolitischer Prozesse wurde zu einem Hauptmerkmal von Piscators Kunst. Theater müsse die sozialökonomischen und politischen Strukturen, Mechanismen und vor allem Prozesse (die historische Bewegungsrichtung) richtig, wahr darstellen, ihren Charakter enthüllen, so aktiv auf die Gesellschaft wirken und seine Aufgabe angemessen erfüllen, weltanschauliches, politisches Instrument zum revolutionären Verändern der Wirklichkeit zu sein. Es werde...