Thema
Puppetry’s Racial Reckoning
Über Puppenspiel und Repräsentation
Die Theaterwissenschaftlerin Dr. Jungmin Song kuratierte 2021 die Ausstellung „Puppetry’s Racial Reckoning“ am Ballard Institute and Museum of Puppetry an der University of Connecticut (UConn). Für double reflektierte sie ihre Arbeit.
von Jungmin Song
Erschienen in: double 47: Puppets of Color – Postkoloniale und antirassistische Ansätze im Figurentheater (04/2023)
Repräsentation des „Anderen“
Repräsentation ist der Kern des Puppenspiels. Puppen können am Effektivsten das darstellen, was nicht das „Ich“, sondern „das Andere“ ist. Als ich begann fest am Ballard Institute and Museum of Puppetry zu arbeiten, schlug ich deshalb vor, eine Ausstellung zu machen, die untersucht, wie das kulturelle, rassische oder ethnische „Andere“ im Puppentheater dargestellt wird. Ich hatte nicht erwartet, dass so viele Puppen aus der Sammlung in den aktuellen Rassismus-Diskurs verwickelt sind. „Afroamerikanische” Figuren und Darstellungen des Orients im US-amerikanischen Puppentheater spiegeln rassistische und ethnische Vorurteile wider, die in der amerikanischen Unterhaltungskultur zirkulier(t)en – in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Puppen zeigen den Missbrauch oder Fantasien „vom Anderen“, aber sogar das Wort „das Andere“ sorgte in der Diskussion um einen ersten Titelvorschlag für Kontroversen. Am Ende dauerte es zwei Monate bis der Ausstellungstitel „Puppetry’s Racial Reckoning” (etwa: „Eine Abrechnung mit „Rassen“ im Puppentheater“) feststand. Die Ausstellung lief von Mai bis Oktober 2021.
Zentral in dem Bereich der Ausstellung, der sich mit der „Aufführung des Orients“ beschäftigte, waren Figuren aus „The Mikado“ (1968), die Frank Ballard (1929–2010), der Gründer des Puppenspielkunstprogramms der UConn und der Sammlung, geschaffen hat. Ballards Interpretation von Gilbert und Sullivans populärer Oper, die in Japan spielt, spiegelt anti-japanische Propaganda und Christopher Lees „gelbgesichtigen“ Fu Manchu wider. In der Ausstellung kamen viele andere beliebte und respektierte amerikanische Puppenspieler*innen vor wie Tony Sarg, Rufus und Margo Rose, Frank und Elizabeth Haines, und Bill Baird, die alle, wissentlich oder unwissentlich, orientalistische Stereotype übernommen hatten. Die Absicht war nicht, sie als rassistisch zu beschuldigen, sondern ein Verständnis für die komplexen Wege zu vermitteln, auf denen rassistische Stereotype konstruiert, verstärkt und aufrechterhalten werden. Die Ausstellung stand damit im Einklang mit einer erwachenden Aufmerksamkeit für Rassismus in der Populärkultur. Anfang des Jahres 2021 ergänzte Disney+ bei Folgen der Muppet Show Warnhinweise wegen „negativer Darstellung oder Misshandlung von Menschen oder Kulturen“ und die Veröffentlichung von sechs Dr. Seuss-Büchern wurde wegen der rassistischen Bilder gestoppt. Es ist wichtig anzumerken, dass diese Maßnahmen nicht dazu führten, dass alle Arbeiten der betroffenen Künstler*innen „gecancelt“ wurden, sondern es entstanden Möglichkeiten für eine Diskussion über Rassismus.
Neben Ballards „Mikado“ platzierten wir in der Ausstellung ausgewählte Bilder aus der Sand-Performance „Bend“ (2014) der japanisch-amerikanischen Künstlerin Kimi Maeda, die auf den Erfahrungen ihres Vaters in einem Internierungslager für Japaner*innen während des 2. Weltkrieges basiert. Zu diesem schlimmen Kapitel der Geschichte gehört, dass 120.000 Menschen mit japanischen Vorfahren aus ihren Häusern getrieben und in geografisch isoliert gelegenen Lagern interniert wurden. Maeda zeichnet ihren Vater mit Sand als einen Jungen und verwandelt ihn in das dämonische Stereotyp eines Asiaten, wie sie in den USA in den 1940er-Jahren zirkulierten – mit schräg liegenden Augen, einer runden Brille und einem langen, dünnen Schnurrbart. Diese Darstellung visualisiert und kritisiert die Entmenschlichung durch rassistische Stereotype.
Rassismus – Vergangenheit, Gegenwart – und Zukunft?
Der zweite Teil der Ausstellung, „Minstrelsy und ihr Erbe“, bestand aus Figuren, die aus „Blackface“- Aufführungen stammten, die die amerikanische Unterhaltungskultur vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert dominierten, darunter Tanz-Gliederpuppen, eine Bauchredner-Puppe, Kasperle-Sets mit „Schwarzen“ Figuren, Mickey Maus und Papiertheater-Sets für „Onkel Toms Hütte“. Es gab die große Sorge, die Besucher*innen durch das Zeigen der Bilder aus der „Minstrel“-Tradition zu verletzen. Aber ich habe beobachtet, dass viele Besucher*innen die rassistischen Züge der Typen gar nicht erkannten. Diese Bilder kursieren nach wie vor, auch wenn heute nur wenige wissen, dass Mickey Maus’ weiße Handschuhe, großes Grinsen und Gaunercharakter aus der „Minstrel“-Tradition abgeleitet sind.
Ich wünschte, auch der Bauchredner und Stand-up-Comedian Jeff Dunham wäre Teil der Ausstellung gewesen. Dunham ist wahrscheinlich der bekannteste lebende Puppenspieler in den USA, zumindest was den Kartenverkauf für seine Shows und Netflix-Specials angeht. Seine Charaktere „Achmed the Dead Terrorist“ und „José Jalapeño on a Stick“, und andere, sind absichtlich beleidigend. Dennoch habe ich die Idee, Dunham-Merchandise in der Ausstellung zu zeigen, nach einer Konsultation der Rechtsabteilung der Universität aus Angst vor einem Rechtsstreit aufgegeben. Ohne Dunham oder andere Puppenspieler*innen von heute, die rassistische Diskurse fortsetzen, schien die Ausstellung triumphal zu beweisen, dass Rassismus zur Vergangenheit gehörte und durch die anti-rassistische Arbeit der zeitgenössischen Puppenspieler*innen überwunden wurde.
Keine der Puppen in der Ausstellung zeigte eine einfache Schwarz-Weiß-Geschichte. Denn bei Rassismus geht es nicht nur um eine Haltung gegenüber dem „Anderen“. Es geht genauso darum, sich selbst als Antithese zum imaginierten „Anderen“ zu definieren. Die Schwarzen-feindlichen und orientalistischen Puppen in der Ausstellung haben rassistische Haltungen und Praktiken nicht ausgelöst. Aber sie gehören zu den zirkulierenden negativen Bildern und Stereotypen. Während ich die Ausstellung vorbereitete, dachte ich immer wieder an meine fünfjährige Tochter und wie sie sich ihre Identität als Tochter einer koreanischen Mutter und eines jüdisch-amerikanischen Vaters, die in den USA aufwächst, aufbauen wird. Ob andere Kinder sie mit derselben orientalistischen Brille sehen würden, die an den Puppen der Ausstellung beobachtet werden kann? Welchen Einfluss hätte das auf ihre Entwicklung? Weiß sie von den abwertenden Stereotypen über Asiaten und Asian-Americans? Oder wird sie ihre eigene Identität ohne dieses Wissen erschaffen können? – www.bimp.uconn.edu –
Aus dem Amerikanischen von Mascha Erbelding