Theater der Zeit

Stück

Der goldene Schwanz

Eine Aschenputtel-Variante nach den Brüdern Grimm

von Rebekka Kricheldorf

Erschienen in: Theater der Zeit: Das Lachen der Medusa – Feminismus Theater Performance u. a. mit Barbara Vinken (01/2021)

Assoziationen: Dramatik Staatstheater Kassel

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PERSONEN:
Aschenputtel
Mom
Dad
Sis
Sista
Prinz
Taube & Taube

INTRO

TAUBE & TAUBE Es war einmal, vor langer, langer, nicht allzu langer Zeit, uns war‘s, als sei‘s gestern erst gewesen, also tausend Jahre her, als das Wünschen Voodoo Beten Investieren noch geholfen hat, da begab es sich, dass /
Oh. Wir vergaßen, uns vorzustellen. Taube & Taube. Pause. Nein, nicht Taube. Taube & Taube. Pause. Ja, wir sind zwei Tauben. Pause. Wenn Sie jetzt schon alles besser wissen, wie wollen Sie das ganze Märchen überstehen? Sie müssen sich auch mal fallen­lassen in so eine Geschichte. Den Erzählerinnen, in dem Fall uns, vertrauen. Was, glauben Sie, ist der Grund, warum so eine Geschichte jahrhunderte­lang erzählt wird? Weil sie so falsch, dumm und nichtssagend ist? Also:
Es war einmal, vor langer, langer Zeit, da verkauften Frauen ihre Körper. Da bezeichneten wütende amerikanische Feministinnen die Ehe als Prostitution auf Zeit. Da schrieben russische Autorinnen Ratgeber mit Titeln wie WIE ANGLE ICH MIR EINEN MILLIONÄR? Da zerschlugen Koreanische Youtuberinnen vor laufender Kamera aus Protest gegen den Schönheitswahn ihre Kosmetika mit Hämmern. In dieser düsteren, grauen Zeit, die göttinseidank längst hinter uns liegt, also begab es sich, dass ein alleinerziehender Dad auf eine alleinerziehende Mom traf. Trafen sie sich live? Im Internet? Wir wissen es nicht, und es soll für unsere Geschichte auch nicht bedeutsam sein. Wir müssen nur wissen, dass drei Töchterlein in diese Patchwork-Familie eingebracht wurden, nämlich Sis, Sista und Aschenputtel. Sis und Sista waren körperbewusste Teenies, von Verschönerungsvideos influenzt, und hingen den ganzen Tag vor dem Bildschirm, gefangen in der Traumwelt der Serien und Soaps. Noch, so sagten sie sich, wird hart abgehartzt, aber bald schon, bald – wird ein dicker, goldener Schwanz unseren Weg kreuzen und uns in das Leben führen, das wir uns durch unsere ­Investition in die Kapitalanlage KÖRPER verdient haben. Aschenputtel allerdings – Aber was reden wir da. Seht selbst! Küche, Innen, Tag. Irgendwo, irgendwann, eine Scheißfamilie. Und bitte. Geht. Kommt gleich nochmal zurück. Verzeihung. Wir wollten nicht Scheißfamilie sagen. Wir wollten ­sagen, genetisch mehr oder weniger verbundene Kleingruppe mit besonderen Herausforderungen. Gesellschaftsparzelle mit ungünstigen Dynamiken. Wie eigentlich jede Familie, genau. Also, im Grunde ist jede Familie eine Scheißfamilie. Können wir uns darauf einigen? Ja? Danke. Trippelt ab.

1. FAMILIENLOOP

An der Wand ein gerahmtes Foto von Mom aus vergangenen Pracht-Tagen als Schönheitskönigin, ein Poster mit Prinz als Vampir. Darunter schnurrt die Familienroutine ab. Bildschirme flackern. Jeder in seinem Loop gefangen: Mom, bewaffnet mit einer sehr großen, sehr billigen, eventuell sehr pinkfarbenen Haarbürste, rennt zwischen Sis und Sista hin und her und bürstet ihnen hektisch abwechselnd die Haare. Sis schmiert sich aus einem Cremetopf Creme ins Gesicht und klopft sie ein, was aber eher aussieht, als würde sie sich selbst ohrfeigen. Sista starrt auf einen Screen und macht Gymnastik. Aschenputtel, im Blaumann, läuft mit Handwerker-Artikeln durchs Bild, trägt mal eine Leiter, mal eine Säge, mal eine Bohrmaschine. Dad sitzt mit riesigen Kopfhören auf den Ohren im Sessel, fuchtelt theatralisch im Takt einer Musik, die nur er hört. Das loopt so eine Weile vor sich hin, bis Taube & Taube wieder ­herbei trippelt und die Geschichte mit gebieterischem Flügelschlag anschubst.

2. GEWONNEN!

SIS Mom! Mom! Mom! Mom! Mom!
MOM Was ist?
SISTA Mom! Mom! Mom!
MOM Was ist?
SIS Mom!
MOM Was /
SISTA Mom! Sis hat schon wieder /
SIS Mom! Sista hat /
SISTA Sis hat schon wieder den Kajal, den ich von Clive zum Geburtstag, ich, von Clive, der war /
SIS Gar nichts hat sie von Clive! Clive ist in mich /
SISTA Nee, Clive ist in mich /
SIS Clive ist doch nicht in dich, Clive ist in mich /
SISTA Clive ist in mich /
SIS In mich /
MOM Sistas!
SISTA Clive hat mir den Douglas Geschenkcoupon zum Sechzehnten geschenkt du miese Bitch und garantiert nicht, damit du jetzt mit meinem Kajal /
SIS Nein, hat er nicht! Clive hat nicht dich gemeint, sondern mich! Da stand nämlich SIS auf dem verdammten Gutschein und du hast den manipuliert /
SIS Ich hab überhaupt nichts manipuliert! Du bist manipuliert! Dein brain ist manipuliert!
MOM Sis, Sista, Haare!
SISTA Das war mein Geschenk! Und jetzt schmiert sich die Bitch meinen Kajal in die Fresse /
MOM Hey! Slutshame deine Schwester nicht! Und nenn ihr edles Antlitz nicht Fresse! So reden wir im Hause Thausendbeauty nicht, kapiert?
SIS zu Sista So reden wir im Hause Thausendbeauty nicht! Kapiert, Bitch?
SISTA zu Sis Fette Sau!
MOM Schnauze!
SIS Hey, Mom! So reden wir doch nicht!
MOM Schnauze, Kind!
SIS Dad! Mom beschimpft mich!
SISTA Dad! Mom ist wieder unmöglich!
MOM Schnauze! Haare!
ASCHENPUTTEL Geh mal weg da, bitte. Ich muss da schnell was festkleben.
SIS Mom!
ASCHENPUTTEL Ich muss da mal ran. Hinter dir hängt die Tapete runter.
SISTA Mom! Aschenputtel nervt wieder!
ASCHENPUTTEL Wenn ich die Tapete, die sich hier schon leicht abrollt, wieder festkleben soll, muss ich mal ran da /
SISTA Mom!
MOM Aschenputtel! Kannst du das nicht später machen? Du siehst doch, dass deine Sistas /
SIS Mom! Sie ist nicht meine Realsis!
SISTA Meine auch nicht!
SIS Dad! Dad! Sag was!
Geht zu Dad und reißt das Kabel aus seinem Gerät. Es erschallt eine Oper.
SIS Dad! Sag was!
DAD Äh /
Dad steckt das Kabel wieder rein. Oper aus.
SIS Mom! Dad macht wieder einen auf Bildungsbürger! Reißt das Kabel wieder raus. Wieder Oper.
SISTA Mom! Dad hält sich wieder für was Besseres!
SIS Mom!
SISTA Dad beleidigt mich!
SIS Dad schaut auf mich runter!
SISTA Dad wertet mich ab!
DAD Ich mag einfach nur gern Op – /
SIS Mom! Dad ist wieder fies zu mir!
DAD Kinder, äh – Steckt das Kabel wieder rein und verschwindet in der Musik.
SIS & SISTA Wir sind nicht deine Kinder, Dad!
SIS Mom! Dad suggeriert mir wieder mit seinem Musikgeschmack, wie nichtig ich bin!
SISTA Mom! Das ist so verletzend!
SIS Mom! Was soll aus mir nur werden, wenn ich in meinem zarten Alter diese krasse Abwertung erfahren muss?
SISTA Mom! Dad zerstört meine Seele!
SIS Mom! Dad macht mein Leben kaputt!
SISTA Mom! Dad verhindert, dass aus mir eine selbstbewusste junge Frau ohne Komplexe wird!
ASCHENPUTTEL zu Sis Stehst du mal kurz auf, bitte? Das Stuhlbein ist ganz lose.
SISTA Mom!
ASCHENPUTTEL Schau, das fällt gleich ab, das Stuhlbein. Nagelt den Stuhl wieder zusammen.
SIS Mom! Aschenputtel sagt ich bin fett!
MOM Aschenputtel! Hör auf deine Sis zu fatshamen!
SIS Sie ist nicht meine Realsis!
ASCHENPUTTEL Ich hab gar nichts gesagt.
SIS Du hast es gedacht!
ASCHENPUTTEL Nein.
SIS Wohl.
ASCHENPUTTEL Nein.
SIS Wohl.
ASCHENPUTTEL Nein.
SIS Was hast du dann bitte gedacht? Hä?
ASCHENPUTTEL Ich hab gedacht: Die sechzig reichsten Menschen der Welt, die, die genauso viel besitzen wie die sechzig Prozent der Ärmsten, werden in eine Fernsehshow eingeladen und sollen da ihre Geschichte erzählen und ein paar Vertreter der Ärmsten werden auch eingeladen und sollen auch ihr Geschichte erzählen, damit das Publikum für den stärksten Charakter oder die tollste Persön­lichkeit oder die beeindruckendste Lebensleistung oder den tapfersten Schicksalsbezwinger oder was weiß ich voten kann, und dann geht‘s los: die Reichen erzählen von Fleiß und Idee und langen, durch­gearbeiteten Nächten und brillanten Einfällen und Ärmelhochkrempeln und Risiko und Innovationsfreude und wie sie sich vierundzwanzig-sieben voll reinhängen, um der Gesellschaft was zurückzu­geben. Und die Armen, die erzählen von Pech und schlechter Bildung und schwerer Kindheit und Schicksalsschlag und Job verloren wegen Krankheit und Konkurs weil Auftraggeber nicht gezahlt und Wohnung wegen Mieterhöhung verloren. Aber da protestieren die Reichen und bezichtigen die Armen der Lüge, nee, Leute, nee, so war es nicht, es war ganz anders. Und dann erzählen die Reichen die Geschichte der Armen, das klingt dann so: Trägheit und zu besoffen morgens den Arsch hochzukriegen und faule Haut und Staatsknete kassieren. Daraufhin werden die Armen ­wütend und zynisch und rufen, nee klar, Flaschensammeln fanden wir schon immer total erfüllend, da dachten wir, das wär doch ein schönes Hobby für die Rente, doch nun erzählen wir mal eure ­Geschichte, wie sie wirklich war. Und dann erzählen sie was von Elite-Internaten und vom Nazi-Opa geerbtem Raubgold und auf Zwangsarbeiter-Ausbeutung gegründeten Vermögen und Steuerbetrug. Und dann werden die Reichen wütend und zynisch, na klar, uns doch egal, wie viele Indigene die Ahnen für den Vermögensaufbau massakriert haben, Haupt­sache der Schampus perlt, und die Armen wieder, na klar, uns doch egal, wenn das Balg nicht mit kann auf Klassenfahrt und sich schämt vor den anderen Kindern, ich denk eh nur bis zum nächsten Bier, und die Reichen, na klar, mir doch egal, wenn die Abwässer aus meiner Fabrik die Weltmeere vergiften, und dann schreien sie sich an, die Armen und die Reichen, und beschimpfen sich gegen­seitig als faule Schweine, ihr da oben, faule Erbenschweine, ihr da unten, faule Transferleistungs-Schweine, und das Publikum applaudiert und das Moderatorenteam lächelt und ermahnt zur Abstimmung und dann wird gevotet. Mit dem Buzzer.
Stille.
SISTA zu Sis Du bist ja auch fett!
SIS Mom!
MOM Schnauze!
SIS Dad! Sista hat gesagt ich bin fett!
Mom reißt das Kabel raus. Oper.
MOM zu Dad Reiß dich bitte mal zusammen, ja?
DAD Ich will einfach nur meine Opern /
SIS Mom! Dad missbraucht mich emotional!
DAD Ich will doch nur /
SISTA Mom! Dad suggeriert mir wieder, dass ich eine hohle, oberflächliche Bitch ohne Musikgeschmack bin und es niemals zu was bringen werde!
Dad steckt das Kabel wieder rein. Oper aus.
MOM Haare jetzt! Haare!
Kommt mit der großen Bürste und beginnt, Sis‘ Haare zu bürsten.
SISTA Mom! Warum ist sie immer als erste dran?
SIS Tja, Pech gehabt /
SISTA Mom! Hör auf, mich zu traumatisieren!
SIS Tja, Pech gehabt /
SISTA Wenn du Sis immer bevorzugst, fühl ich mich mein Leben lang zurückgesetzt! Und diesen Mangel wird keine Liebe der Welt je kompensieren können! Mom!
SIS Tja, Pech gehabt /
SISTA Mom! Darf die so mit mir reden?
MOM Schnauze jetzt, alle beide!
SIS Mom! Schrei mich nicht an!
MOM Schnauze!
ASCHENPUTTEL Kann ich da mal durch, bitte?
SISTA Mom!
SIS Dad! Mom hat mich angeschrien!
SISTA Dad!
ASCHENPUTTEL Der Küchenschrank hängt schief. Ich muss da schnell mal bohren. Macht Bohr­maschine an.
MOM Schnauze jetzt! Das ist ja wie im Affenstall hier! Aschenputtel! Kannst du das nicht wann anders machen?
Aschenputtel macht Bohrmaschine wieder aus.
SIS Dad! Mom beleidigt mich!
SISTA Dad! Mom hat mich Affe genannt! Dad!
Reißt das Kabel raus. Oper.
DAD Was ist denn /
SIS Dad! Meine Psyche hat durch den abwesenden Realdad eh schon einen Knacks! Jetzt mach du nicht auch noch alles schlimmer!
SISTA Ja, Dad! Sei mal präsent!
SIS Dad! Sei nicht so ein Totalausfall! Wir kriegen nachher sooo krasse Bindungsprobleme!
SISTA Dad! Sei mal ein Vorbild, du Arsch!
SIS Dad! Sag was!
DAD Was soll ich denn /
SIS Dad! Sag was Daddyhaftes!
SISTA Ja, sag mal was Daddyhaftes!
DAD Was soll ich denn /
SIS Was Kluges!
SISTA Was uns im Leben weiterbringt!
SIS Ja! Was Sinnvolles!
SISTA Los! Sag was!
DAD Äh /
Dad steckt das Kabel wieder rein. Oper aus.
SIS Mom! Dad ist ein Totalausfall!
SISTA Mom! Dad sagt absolut nichts Kluges!
ASCHENPUTTEL Kann ich mal da kurz durchgreifen, bitte? Da liegt ein Kabel bloß.
SIS Mom! Aschenputtel nervt!
ASCHENPUTTEL Ich kleb doch nur das Kabel ab, damit du keinen Stromschlag kriegst.
SISTA Mom! Ich ruf jetzt das Jugendamt an!
MOM Schnauze jetzt.
SISTA Mom! Entweder du bürstest mir zuerst das Haar oder ich ruf das Jugendamt an!
MOM Sista, beruhige dich!
SISTA Ich ruf jetzt das Jugendamt /
MOM Sista /
Mom hört auf, Sis die Haare zu bürsten und bürstet stattdessen Sista die Haare.
SIS Mom! Wie kannst du mir das antun?
SISTA Tja, Pech gehabt /
SIS Ich will sofort meinen Sozialarbeiter sprechen!
MOM Sistas!
ASCHENPUTTEL Ich muss da mal auf den Stuhl /
SIS Mom!
ASCHENPUTTEL Die Birne ist durchgebrannt.
Schiebt Sis vom Stuhl, steigt darauf und wechselt die Glühbirne in der Deckenlampe.
SIS Mom! Aschenputtel hat mich vom Stuhl geschubst!
MOM Schnauze! Hört mal zu jetzt! Dreht das Radio laut.
RADIO Wie eingefleischte Fans natürlich längst wissen, ist das gesamte Team von BISS ZUM ABENDGLÜH in der Stadt, um das neue Sequel vorzustellen. Zu diesem Anlass gibt es ein Meet and Greet mit dem Hauptdarsteller Prinz zu gewinnen! Unter allen Einsendungen, die unsere Frage richtig beantwortet haben, ziehen wir nun den glücklichen Gewinner oder die glückliche ­Gewinnerin. Die Frage lautete: Welches Sportgerät ist das Lieblingssportgerät von Prinz? Die richtige Antwort ist /
SIS / SISTA Das Rudergerät!
RADIO Das Rudergerät! Und das Meet and Greet mit Prinz hat gewonnen /
SIS Kreisch!
SISTA Schrei!
SIS Flipp aus!
MOM Schnauze!
RADIO Das Meet and Greet gewonnen hat - Miss Thausendbeauty!
SIS Welche? Welche? Welche?
SISTA Ich! Ich! Ich!
SIS Ich! Ich! Ich!
RADIO Thausendbeauty – Miss - Sis.
SIS Yeah! Yeah! Yeah! Yeah!
SISTA Was? Mom!?
SIS Yeah! yeah! yeah! Yeah!
SISTA Mom!?
SIS Yeah! yeah yeah! Kreisch! Freu! Flipp aus!
SISTA Mom!?
SIS Ich krieg einen Prinzen und du kriegst nichts! Na gut, du kriegst ein bisschen Gold ab. Aber nur, wenn du nett bist!
SISTA Mom! Warum kriegt sie den Prinz? Ich bin viel hübscher als sie!
SIS Lüge!
SISTA Wohl!
SIS Lüge!
SISTA Wohl!
SIS Lüge!
MOM Schnauze!
Stille.
MOM Kinder. Was hab ich euch beigebracht?
SIS / SISTA Eine für alle und alle für eine! Alexandre Dumas!
MOM Genau! Es reicht, wenn eine von uns, nur eine, den goldenen Schwanz zu fassen bekommt. Wir sind one family, ein Team! Eine Kampfeinheit, ein Bataillon im großen Fight for our Rights! Und was sind unsere Rights?
SIS / SISTA Leben, Freiheit und das Streben nach Glück! Thomas Jefferson!
MOM Genau! Und was ist das Glück? Gesundheit? Selbstverwirklichung? Lebenssinn? Ha. Das sagen nur die, die im Wohlstand leben. Doch die Wahrheit ist:
SIS / SISTA Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm! Bertolt Brecht!
MOM Genau! Und wenn‘s eine zu was bringt, hat sie die Pflicht, den anderen was abzugeben. Wir werden alle bald in goldenen Kutschen fahren und von goldenen Tellern goldene Steaks essen. Alle, hört ihr? Du, Sista, mach dir mal keine Sorgen. Sobald Sis Prinz besitzt, sollst auch du einen Prinzen bekommen. Denn das eherne Gesetz der Prinzenkonzentration besagt, was, Aschenputtel?
ASCHENPUTTEL leiert mit maximaler Genervtheit runter Wo einer ist, sind mehr, denn gleich und gleich gesellt sich gern, der Reiche bleibt gern unter sich, Promi ist des Promi Freund und der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.
MOM Aschenputtel!
ASCHENPUTTEL pseudoeuphorisch Wo einer ist, sind mehr, denn gleich und gleich gesellt sich gern, der Reiche bleibt gern unter sich, Promi ist des Promi Freund und der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.
MOM Genau!
ASCHENPUTTEL Schön, Mom, und dann? Hängt Sis so ner Schmierbacke als Trophäenfrau am ­Ärmel und muss nach ihrer Schalmei tanzen.
SIS Na und? Mein Leben!
SISTA Prinz ist keine Schmierbacke!
ASCHENPUTTEL Wer das Geld hat, hat die Macht. Wo machst du nächstes Jahr Urlaub? Da, wo Schmierbacke mit der dicken Brieftasche hin will. So willst du also zum achtzigsten Geburtstag meines besten Buddys, dem Immobilienhai, Darling, in diesem nuttenroten Fummel? Zieh mal lieber das kleine Graue an, das ich dir gestern kaufte. Also, diese neue Freundin da, die mit dem Anarcho-Tatoo, die ist für dich kein Umgang. Ich will diese Person nie wieder in meinem Hause antreffen, verstanden?
SIS Boah ey Aschenputtel ey. Ist mir doch egal, an welchem Beach ich lieg, Hauptsache, ich lieg am Beach.
SISTA Boah ey Aschenputtel ey. Ist mir doch egal, welche Farbe mein Kleid hat, Hauptsache, es ist von Dior.
SIS Boah ey Aschenputtel ey. Wer braucht noch Freundinnen, wenn er nen Schwanz hat?
SISTA Mom! Sie kapiert‘s noch immer nicht! ­Armut macht unfrei und Reichtum macht frei!
ASCHENPUTTEL Falsch. Unabhängigkeit macht frei!
SISTA Deine blöde Unabhängigkeit kann ich mir auch nicht als Gesichtscreme auf die Wangen schmieren!
SIS Deine blöde Unabhängigkeit füllt mir auch keinen dreißig Quadratmeter großen begehbaren Kleiderschrank!
SISTA Deine blöde Unabhängigkeit zahlt mir im Alter auch nicht meine Kreuzfahrt!
ASCHENPUTTEL Euch ist schlicht nicht zu helfen.
TAUBE & TAUBE Sistas? Vielleicht mal was Gescheites lesen? Reicht ihnen ein Buch an. Sie nehmen es nicht, es fällt unbeachtet zu Boden.
MOM Sistas! Zu Tisch! Abendbrot ist fertig! Wirft jeder eine Tüte Kartoffelchips in die Arme.

3. WAS ZIEH ICH NUR AN?

Abendbrot. Jede isst Chips aus ihrer Tüte. Dad sitzt noch immer mit Kopfhören auf den Ohren im Hintergrund, auch er bekommt eine eigene Tüte.
MOM zu Sis Frage aller Fragen. Frage, von der deine Zukunft, was sag ich, unser aller Zukunft abhängt. Was ziehst du heute Abend an?
Sista zieht eine Flasche mit Totenkopf-Etikett aus der Tasche und kippt Sis daraus ein weißes Pulver in die Chips.
SIS Ich dachte an das kleine Grüne mit den gelben Punkten. Oder ist das zu mädchenhaft-unschuldig? Dann vielleicht eher das Fuchsiarote mit dem Fake – würgt – Fell – würgt – Kragen – fällt in Krämpfen vom Stuhl.
MOM Was ist?
SIS Mir ist so schlecht.
MOM Was, heute? Ausgerechnet heute?
SIS Mir ist so furchtbar übel, Mom. Furchtbar!
SISTA Tja, Pech /
MOM Dann muss wohl Sista heute Abend für dich einspringen /
SIS Nein!
SISTA Tja, Pech /
SIS Niemals!
SISTA Yeah yeah yeah!
MOM zu Sista Frage aller Fragen. Frage, von der deine Zukunft, was sag ich, unser aller Zukunft abhängt. Was ziehst du heute Abend an?
Sis rappelt sich mit letzter Kraft hoch, zieht eine Flasche mit Totenkopf-Etikett aus der Tasche und kippt Sista daraus ein weißes Pulver in die Chips.
SISTA Ich dachte an das Silberne mit den hyazinthblauen Blüten-Applikationen. Oder ist das zu eigenwillig? Dann vielleicht das Weiße mit den Klöppel – würgt – Spitzen – würgt - Ärmeln fällt in Krämpfen vom Stuhl.
MOM Was ist?
SISTA Mom! Mir ist nicht gut!
SIS Tja, Pech /
MOM Dann muss wohl heute Abend Aschenputtel /
ASCHENPUTTEL / SISTA / SIS Nein!
MOM Aschenputtel! Du musst.
ASCHENPUTTEL Nichts muss ich!
MOM zu Aschenputtel Frage aller Fragen. Frage, von der deine Zukunft, was sag ich, unser aller Zukunft abhängt. Was ziehst du heute Abend an? Oh weih oh weh, du hast ja gar nichts Feminines im Schrank! Wir sind verloren. Wir sind alle verloren.
Weint.
ASCHENPUTTEL Mom, nun weine nicht!
Sis zieht die Flasche mit Totenkopf-Etikett aus der Tasche und kippt Aschenputtel daraus ein weißes Pulver in die Chips, Sista ebenfalls. Aschenputtel will essen. Taube & Taube kommt und schlägt ihr mit dem Flügel den Teller aus der Hand.
Stille. Alle starren Taube & Taube an.
TAUBE & TAUBE Da ist Rattengift drin.
ASCHENPUTTEL Danke.
TAUBE & TAUBE You‘re welcome. Ab.
MOM Ihr Bitches!
SIS / SISTA So reden wir im Hause Thausendbeauty nicht!
MOM Ihr könnt doch nicht einfach eure Sis vergiften!
SIS / SISTA Sie ist nicht unsere Realsis!
Beide legen sich aufs Sofa, stöhnen ab und zu oder ­kotzen in einen Eimer.
ASCHENPUTTEL Ich habe eine Theorie.
MOM Bitte.
ASCHENPUTTEL Ich glaube, die beiden haben sich aus lauter Neid und Missgunst gegenseitig selbst vergiftet.
MOM Kann das denn sein?
ASCHENPUTTEL Aus lauter Angst, den Zugang zur Ressource Mann an die Konkurrentin zu verlieren. Dabei sollten Sistas doch zusammenhalten!
SIS Schnauze, du Freak!
SISTA Wir können nichts dafür! Wir wurden vom Patriarchat deformiert!
MOM Es hilft alles nichts. Du musst gehen.
ASCHENPUTTEL Ich möchte aber keinen mittelmäßigen Monsterdarsteller in einem Hotelzimmer treffen.
MOM Denk an die Family. Dein Team!
ASCHENPUTTEL Das ist nicht meine Geschichte. Meine Geschichte hat noch gar nicht angefangen. In dieser Geschichte bin ich diejenige, die im Hintergrund Dinge repariert und ab und zu kritische Einwürfe macht und am Ende den Brautstrauß fängt und im Klo runterspült und hinterher Rohrfrei reinkippt.
MOM Nun hat sich die Lage halt geändert. Durch einen tragischen Unfall bist du nun von der Peripherie ins Zentrum gerückt. Übernimm Verantwortung!
ASCHENPUTTEL Dad! Keine Reaktion. Dad! Keine Reaktion. Aschenputtel geht zu Dad und zieht das ­Kabel raus. Oper. Dad!
DAD Was ist?
ASCHENPUTTEL Ich möchte keinen mittelmäßigen Monsterdarsteller in einem Hotelzimmer treffen. Das ist nicht meine Geschichte.
DAD Äh /
MOM Fall mir nur wieder in den Rücken.
DAD Hör auf deine M – /
ASCHENPUTTEL Sie ist nicht meine Realmom!
DAD Deine Realmom hätt es so /
ASCHENPUTTEL Hätt sie nicht.
DAD Schau, manchmal muss man etwas tun, wo­rauf man keine Lust hat, um anderen aus der Klemme / MOM Hör zu! Dein Dad spricht von Solidarität.
Stille.
ASCHENPUTTEL Dad?
DAD Mehr hab ich jetzt auch nicht / Schweigen. Steckt das Kabel wieder rein. Oper aus.
ASCHENPUTTEL Dad!
MOM Tja, dein Dad hat schon längst vor den Verhältnissen kapituliert. Er war noch nie eine Kämpfernatur. Aber ich, ich gebe das Träumen nicht auf! Ich weiß, dass ein besseres Leben für euch möglich ist.
ASCHENPUTTEL Ich, Mom, ich glaube doch auch an das bessere Leben! Aber ich bin ein modernes weibliches Wesen mit Zugang zu Bildung und Freiheitsrechten! Frauen, die nur an Besitz und Vermögen kamen, indem sie sich auf einen Tausch mit dem Mann einließen, einen langen, langen Tausch, die Ehe, oder einen kurzen, kurzen Tausch, die Prostitution /
SIS Mom! Aschenputtel redet wieder so viel!
ASCHENPUTTEL / wobei die Grenzen da verschwimmen, meint auch schon Engels, ein Mensch mit sogar Penis /
SISTA Mom! Sie labert wieder ohne Ende!
ASCHENPUTTEL / wobei man bei der Prostitution sogar noch besser wegkommt, denn im Gegensatz zur Ehe muss man dem Mann nicht auch noch vorspielen, dass man ihn liebt, whatever, wo genau hab ich jetzt den Syntaxfaden verloren /
SISTA Mom! Sie weiß überhaupt nicht, wie es in der Welt so zugeht!
ASCHENPUTTEL / egal, aber diese Frauen, die gibt‘s doch gar nicht mehr! Ein Märchen aus ur­alten Zeiten!
SIS Mom! Sie macht wieder Propaganda für das Unmögliche!
SISTA Mom! Sie hat die weltweiten Statistiken wieder nicht gelesen!
MOM zu Aschenputtel Schöne Theorie, aber hier ist die traurige Praxis.
ASCHENPUTTEL Wo?
MOM Hier! Ich! Mein Schicksal!
ASCHENPUTTEL Ach, das schon wieder.
MOM Meine Story!
ASCHENPUTTEL Die auch nur eine Story ist.
MOM Hör gefälligst zu, wenn deine Mom dir eine bittere Lektion über‘s Leben erteilt! Vom schönsten Jungen der ganzen Highschool mit dem Motorrad abgeholt worden – Los, mitmachen!
SIS / SISTA / ASCHENPUTTEL Vom schönsten Jungen der ganzen Highschool
Mit dem Motorrad abgeholt worden
Himmel Geigen
Glück perfekt
Herzschlag Puls Liebesrausch
Teenie-Traum
Ach
Erstes Kind
MOM Und der ehemals schönste Junge der ganzen Highschool blieb abends länger aus!
SIS / SISTA / ASCHENPUTTEL Zweites Kind
MOM Und der ehemals schönste Junge der ganzen Highschool – weg war er! Weg! Abgehauen mit der sorry erstbesten sorry beschissenen sorry Bitch!
SIS / SISTA/ ASCHENPUTTEL Klischee Klischee Alter Hut
Same old story
On connait la chanson
MOM Und Mom saß da, mittellos, null Alimente, null Ausbildung, null Unterstützung, schreiende Girls /
SIS / SISTA / ASCHENPUTTEL Die gute Partie von gestern ist die schlechte Partie von morgen
MOM Die Beautyqueen von Neunzehnhundertsiebenundneunzig, das schönste Mädchen der ganzen Highschool, musste aufs Amt /
SIS / SISTA / ASCHENPUTTEL Putzen Kellnern Aldikasse
MOM Schaut euch ihre ehemals edlen Hände bitte an! Schaut euch ihren ehemals strahlenden Teint bitte an! Seht, was aus der Beautyqueen von Neunzehnhundertsiebenundneunzig wurde aufgrund ihrer Blödheit! Niemals, so sagt sie sich, niemals soll meinen Girls widerfahren dasselbe Schicksal! Deshalb /
SIS / SISTA / MOM / ASCHENPUTTEL Zögert nicht Greift nach dem goldenen Schwanz
Zögert nicht
Gebt euch nicht ab
Mit einem silbernen
Oder gar bronzenen
Oder gar blechernen
MOM Nein! Der goldene ist gerade gut genug für euch!
SIS / SISTA / MOM / ASCHENPUTTEL Verkauft euch
MOM Ja, Verkauft euch! Aber verkauft euch nicht unter Wert! Gebt auf euch acht, hütet eure Tauschwaren! Eure Schönheit, eure Jugend – verschwendet sie nicht an den erstbesten Schwanz aus Blech! Und vor allem: verschenkt sie nicht einfach so und nennt es Liebe!
SIS / SISTA / ASCHENPUTTEL Das
Was ihr Liebe nennt
Ist euer Untergang
Das
Was ihr Liebe nennt
Ist euer sozialer Tod
Das
Was ihr Liebe nennt
Ist einfach nur ein mieser Deal
Stille.
DAD Ich finde dich immer noch wunderschön, Mom.
MOM Danke, Dad. Aber was weißt denn du schon!
TAUBE & TAUBE Sistas? Vielleicht mal was Gescheites lesen? Reicht ihnen ein Buch an. Sie nehmen es nicht, es fällt unbeachtet zu Boden.

4. DAS TREFFEN MIT DEM MONSTER­DARSTELLER

ASCHENPUTTEL barfuß, im Glitzerkleid Und weil Mom so geweint hat, bin ich halt hin. Aus lauter Solidarität mit der Family. In der Lobby holte mich so ne Beflissene mit Betonlächeln ab und geleitete mich auf Veloursteppichen zu seiner Suite. Puh, dachte ich, das werden verdammt lange sechzig Minuten! Sie öffnete eine Tür und da saß er. Hinter nem Sektkübel, so nem gesponserten. Mein erster Gedanke war, das ist aber ein müder Vampir. Er sieht schlapp aus. Irgendwie abgekämpft. Als hätte er eine schlimme Schlacht hinter sich. Er erhob sich aus seinem Sessel, um mich artig zu begrüßen. Ich mach einen Schritt auf ihn zu, aber diese blöden Hohen Schuhe! Ich stolpere über die Teppichkante wie so‘n Volldepp und kippe aus den Schuhen und direkt in seine Arme. Das fühlte sich nicht mal schlecht an, er roch sogar ganz gut, nach, nach, nach – Mann? Aber dann war ich ganz schön überrascht, weil er so alt war. Ich meine jetzt nicht opa-alt. Aber älter, viel älter als er in den Filmen aussieht.
PRINZ in Plateauschuhen, mit einem Paar Stöckelschuhen in der Hand Ich möge doch bitte vor der Lampe bleiben, so Tamara. Ich möge mich doch bitte nicht so viel bewegen, weil sonst die Lichtverhältnisse meinem Teint nicht genug schmeichelten. Soll heißen, das Fangirl sieht sonst, was für ein alter Sack ich bin. Ich bin die letzte Nutte. Nur, dass ich keinen Blowjobs verkaufe, sondern Präsenz. Ich hasse diese Fan-Treffen. Diese arrangierten Begegnungen. Da sitzt man dann da mit so nem fremden Mädchen und muss so tun, als sei man ganz und gar großartig. Aber als sie reinkam, wollt ich schon so höflich sein und ihr entgegen gehen. Aber die? Ist sofort umgekippt. Auf mich drauf. Dachte erst, das sei ein Trick, um mir näher zu kommen, aber es war so daneben, dass klar wurde: Die kann einfach nicht auf Hohen Schuhen laufen. Was die immer für Opfer bringen, um mir zu gefallen. Was können die bei mir schon groß abstauben? Eine Nacht mit einem Filmstar, mit der die in den sozialen Medien angeben können? Oder hoffen die, dass ich mich in sie verliebe, dass ich die bei der nächsten Preisverleihung über den ­roten Teppich zerrre und der Welt als die Meinige vorstelle? Aber diese. Kaum hatte sie sich wieder hochgerappelt, von Gefallsucht keine Spur. Legte gleich los mit Filmkritik. Sie sei ja kein wirklicher Fan, dass ich mir da nichts einbilde. Dass sie, sorry sorry, die ABENDGLÜH-Reihe total misslungen fände. Was das denn bitte für ein Typ sein solle, den ich da spielte?
ASCHENPUTTEL Der Vampir, das war mal ein Symbolträger des Verbotenen und Dunklen und Animalischen und Subversiven, und jetzt kommst du und bist als Vampir der letzte Spießer. Kein Sex vor der Ehe, christliche Werte, ha ha. Christopher Lee rotiert im Grab. Du beißt nur noch Tiere, wie nett von dir. Und musst die Angebetete ständig retten und rumtragen wie ein Baby. Und nachts sitzt du neben ihrem Bett und bewachst ihren Schlaf, wie so‘n irrer Stalker. Richtige Vampire, wenn sie in die Sonne treten, zerfallen spektakulär zu Staub. Reißen ihre Monstermäuler auf, zeigen Zähne, dann schmilzt ihnen das Fleisch von den Knochen und dann zerbröseln sie, wunderbar eklig. Doch was passiert mit dir, wenn du in die Sonne trittst? Du fängst an zu glitzern. Na danke. Verarschen kann ich mich selber.
PRINZ Sie hat mir ganz schön eingeschenkt.
ASCHENPUTTEL Ich hab ihm ganz schön ein­geschenkt. Was als Intro vielleicht nicht ganz so charmant war. Aber was machte er? Er nickte. Und sprach: Endlich sagt‘s mal einer. Endlich fühl ich mich verstanden.
PRINZ Endlich sagts mal einer. Endlich fühl ich mich verstanden.
ASCHENPUTTEL Und wetterte los. Große Beschwerde. Dass er das erste Sequel vor fünfzehn Jahren gedreht hätte – /
PRINZ Stell dir mal vor: Das erste Sequel hab ich vor fünfzehn Jahren gedreht!
ASCHENPUTTEL Da war er auch schon achtundzwanzig und – /
PRINZ Da war ich schließlich auch schon achtundzwanzig! Und musst mich erheblich jünger machen, denn ich sollte ja einen Siebzehnjährigen geben. Je nun, ein Mal kann man‘s ja machen! Dann lief der Scheiß auch noch so gut, ja, leck mich! Hurtig das nächste Sequel gedreht. Je nun, mit dreißig ging‘s auch grad noch so. Dann stand die Finanzierung zum dritten Sequel. Doch die Dreharbeiten, sie verzögerten sich, weil sich Autorin und Regisseur in der Wolle lagen. Fünf Jahre später: Gut, das eine mach ich halt auch noch, mit fünfunddreißig, danach ist aber Schluss. Und dann? Schrieb diese Schlampe NOCH ein Buch. Was natürlich sofort verfilmt werden sollte.
ASCHENPUTTEL Und Prinz bat: könnt ihr mich umbesetzen, bitte?
PRINZ Bitte, bitte, bitte. Kann ich nicht bitte, bitte sterben, also endgültig, mit Pfahl im Herz und ­allem? Und dann auferstehen, als ein anderer? Der dann, gottverdammt noch mal, auch von einem anderen gespielt werden kann? Hä? Aber nein. Will die Autorin nicht. In ihrem Oevre wird nicht gepfählt. Nur romantisch im Trockennebel herumgeschwebt. Also werde ich älter und älter, nur ­meine Rolle bleibt ewige siebzehn. Von einem ­fiesen Knebelvertrag mit der Produktionsfirma zu ewigem Leben verdammt. Ich bin ein Untoter. Ich darf nicht altern.
ASCHENPUTTEL Boah, war der unglücklich. Man hat sofort gedacht, dass man ihn retten muss. Wie ein in den Brunnen gefallenes Kätzchen.
PRINZ Das hatte sie wohl nicht erwartet.
ASCHENPUTTEL Ich hatte einen Star erwartet und was fand ich vor? Einen Gefangenen.
PRINZ Ich hatte eine hysterische Verehrerin erwartet und was fand ich vor? Eine Seelenverwandte.
ASCHENPUTTEL Ich hab das nur aus Mitleid mit Mom gemacht und was stellte sich raus? Ich hatte Spaß.
PRINZ Ich hab das nur Tamara zuliebe gemacht und was stellte sich raus? Ich hatte Spaß.
SIS zu Aschenputtel Wo sind meine Schuhe?
ASCHENPUTTEL Die hab ich vergessen.
SIS What? Du hast was? Mom! Mom!
MOM Bist du etwa barfuß nach Hause?
SISTA Zieh sofort mein Kleid aus. Reißt Aschen­puttel am Kleid.
ASCHENPUTTEL Was ich noch erzählen wollte /
SISTA Mom! Aschenputtel hat ein Loch in mein Kleid gemacht!
ASCHENPUTTEL Du hast noch tausend andere Kleider.
SISTA Ist das etwa ein Brandloch?
MOM Habt ihr geraucht?
SIS Was, Prinz raucht?
SISTA Mom! Ich will keinen Mann, der raucht! Nur die Unterschicht raucht!
SIS Aber wir sind doch die Unterschicht!
SISTA Sind wir nicht!
SIS Sind wir doch!
SISTA Sind wir nicht!
SIS Sind wir doch!
SISTA Du vielleicht!
SIS Du auch!
MOM Sistas! Ihr seid nur temporäre Unterschicht. Ihr befindet euch mitten im Prozess der Klassenmigration!
ASCHENPUTTEL Oh, hatte der Probleme! Liften lassen soll er sich, sagt seine Agentin, doch er hat keine Lust, sich liften zu lassen. Ey, wenn du keine Lust hast, dann lass es doch! Aber er seufzte tief und sagte, er sei da unfrei.
PRINZ Ich bin da unfrei.
ASCHENPUTTEL zu Mom Na bitte, Mom. Zu Prinz Mom sagt immer, also, sie ist nicht meine Realmom, aber Mom sagt immer, Geld macht frei. Kannst du ihr mal bitte erzählen, dass das nicht stimmt?
PRINZ Schöne Grüße und ja, das stimmt nicht.
ASCHENPUTTEL Das kannst du ihr gleich selbst sagen. Am Samstag beim Dinner. Zu dem soll ich dich nämlich einladen.
MOM Wehe, du kommst ohne des Prinzen Dinner-­Zusage nach Haus!
PRINZ Und alles platzte aus mir raus. Dass ich viel lieber in russischen Arthouse-Filmen gespielt hätte. Aber ich war zu schön für Arthouse.
ASCHENPUTTEL Weil er mit zwanzig so gut aussah, sei er im Seichten gelandet.
PRINZ Wenn die Blockbuster-Maschinerie erst mal läuft, kannst du schwer wieder aussteigen. Hab mir gesagt, ich mach das ein paar Jahre und dann. Dann mach ich, was ich wirklich will. Ich hab da nämlich Ideen.
ASCHENPUTTEL Und dann erzählt er mir von seinen Ideen und seine Wangen beginnen zu glühen unter der ganzen Untoten-Schminke und er sagt, eines Tages, eines Tages setzt er alles um.
PRINZ Eines Tages, eines Tages setze ich das alles um.
ASCHENPUTTEL Wann denn?
PRINZ Nur noch ein Sequel.
ASCHENPUTTEL Ey, wie alt willst du noch werden? Stille. Das war nett gemeint. Als Antrieb. Ging aber voll nach hinten los, so als Kompliment.
PRINZ Das tat weh. Aber recht hat sie. Wie lang will ich noch warten? Ich bin ja nicht der, der unsterblich ist.
ASCHENPUTTEL Ach je ach je, fing er plötzlich an zu jammern, ach je ach je! Jetzt hab ich wieder nur von mir gesprochen! Ich weiß ja gar nicht, wer du bist! Ich weiß ja gar nicht, was du tust! Was dich bewegt! Was dich bedrückt! Ach je ach je! Und jetzt ist die Stunde um!
PRINZ Tamara hat natürlich einen Riesenstress gemacht, weil ich geraucht habe. Wenn du noch älter aussehn willst, bitte. Ich muss sie wieder­sehen. Sie hat mich zu sich nach Hause eingeladen!
Betrachtet die Stöckelschuhe. Jetzt ist sie auch noch barfuß nach Hause.
ASCHENPUTTEL Nie wieder Hohe Schuhe.
PRINZ Tamara sagt, ich könne mich unmöglich bei solchen Leuten blicken lassen. Hat mir für den Samstagabend ein Charity-Dinner reingebucht. Ha, ich geh nicht hin! Ich tu so, als ginge ich hin. Und dann, dann biege ich vorher ab. Und gehe NICHT hin. Ha! Sondern zu dem interessanten Mädchen mit dem komischen Namen. Ha!

5. VORBEREITUNG

MOM Prinz kommt gleich und wie sieht‘s hier aus?
SIS / SISTA Was, heute? Laufen weg.
MOM Aschenputtel! Hilfe! Aschenputtel!
ASCHENPUTTEL kommt im Blaumann Was ist denn, Mom?
MOM Tu was! Tu doch bitte was!
ASCHENPUTTEL Was soll ich denn tun?
MOM Was du tun sollst? Schau dich um! Das Waschbecken schief, der Ofen verkrustet, der Bildschirm verstaubt, das Sofa verfleckt! Was soll Prinz nur von uns denken!
ASCHENPUTTEL Mach dir keine Sorgen, Mom. Ich erledige das. Ab.
MOM Ach, was reicht man denn? Was reicht man nur?
Sis und Sista kommen zurück, in Tutu und Ballkleid.
SIS Mom! Mein Tutu! Es hat einen Marshmallowfleck!
MOM Sis! Du kannst doch kein Tutu zum Dinner /
SIS Warum nicht, Mom? Es ist mein Glücks-Tutu!
SISTA Mom! Wenn Sis ihr Tutu anzieht, seh ich in dem doofen Ballkleid ja völlig underdressed aus!
SIS Underdressed! In einem Ballkleid! In einem Ballkeid mit Schleppe! Mom, man zieht doch nur zur Hochzeit ein Kleid mit Schlepppe an. Oder? Mom?
MOM Sistas!
SIS Aber die Schleppe ist meine Glücksschleppe!
MOM Es gibt kein Glück, nur harte Arbeit. An dir selbst! Ach, was reicht man denn, was reicht man denn nur? Sistas!
SIS / SISTA Was?
MOM Warum seht ihr so billig aus?
SIS Weil – das billig WAR!
SISTA Weil – unser Sparschwein ist leer!
SIS Weil – wir sind nämlich arm!
MOM Das war nicht billig, das war günstig. Unser Sparschwein ist nicht leer, es ist schlank. Wir sind nicht arm, sondern mittellos. Temporär mittellos. Vergesst diesen Mädchenplunder! Legt mal etwas Eleganz und Chic an den Tag!
SIS / SISTA Wir haben nicht den Kreditrahmen für Eleganz und Chic!
MOM Ach was. Stil ist keine Frage des Geldbeutels, sondern der Einstellung. Der Körperhaltung, des Selbstbewusstseins. Und der richtigen Accessoires. Los! Umziehen!
SIS Aber das Tutu betont meine schönen Beine!
MOM Nein. Es betont sie nicht, es stellt sie zur Schau. Du musst die Kunst der Andeutung lernen. Der Mann will doch was zum Träumen haben! Und zum Auspacken! Los jetzt! Umziehen!
SISTA Aber die Schleppe unterstreicht meinen liebliches Wesen!
MOM Nein. Alles, was diese Schleppe unterstreicht, ist der Eindruck, dass ihre Trägerin es verdammt nötig hat. Los jetzt! Umziehen!
Aschenputtel zündet sich eine Zigarette an.
MOM Du rauchst? Du rauchst?
SIS / SISTA Nur Asis rauchen! Wir sind keine Asis! Gehen.
Aschenputtel gibt Taube & Taube auch eine Zigarette.
MOM Also, wenn du es für empowernd hältst, dir ein Krebsstäbchen ins Geschicht zu stecken, bitte. Schweigen. Das ist so Fünfziger! Schweigen. Die echte freie, autonome, unabhängige Frau ist auch frei von jeder Sucht. Ich sag dir mal was über die echte freie, autonome, unabhängige Frau. Echt frei, autonom und unabhängig /
ASCHENPUTTEL Tautologie, Mom.
MOM Was?
ASCHENPUTTEL Frei, autonom und unabhängig. Ist dasselbe. Synonyme.
MOM Was?
ASCHENPUTTEL Egal.
MOM Die Frau erringt nicht die Macht, indem sie den Habitus des Mannes imitiert, die Frau erringt die Macht, indem sie ihr erotisches Kapital geschickt einzusetzen vermag und das chronische Sexdefizit des Mannes für ihre Zwecke ausnutzt. Das ist wahre Überlegenheit, Kind!
Taube & Taube schlägt aufgebracht mit den Flügeln.
MOM Was hat sie denn?
Taube & Taube flattert und flattert, bis sie umfällt und sich auf dem Boden wälzt. Mom und Aschenputtel ­sehen eine Weile zu. Dann rappelt sich Taube & Taube wieder hoch, streicht ihr Gefieder glatt.
TAUBE & TAUBE zu Aschenputtel Bereit?
ASCHENPUTTEL Bereit.
Sie haken sich unter und stellen sich in Position.
TAUBE & TAUBE / ASCHENPUTTEL Freiheit Gleich­heit Sisterhood
Es gibt noch viel zu tun
Oh lobe nicht des Mädchens Schönheit
Lob es für seinen Mut und Witz
Weg mit dem rosa Einhorn
Das kannst du dem machokulturell fehlgeprägten Nachbarsjungen schenken
Er braucht es
Hier
Bitte
Eine Bohrmaschine
Ein Motorradführerschein
Eine Gloria-Steinem-Gesamtausgabe
Frohe Weihnacht wünscht dir
Realmom
Sis und Sista kommen im kleinen Schwarzen und mit hochgesteckten Haaren zurück.
MOM Jetzt weg da! Schiebt Aschenputtel und Taube & Taube zur Seite.
TAUBE & TAUBE / ASCHENPUTTEL He
Wir sind noch nicht am Ende
He
Wir haben noch so viel
Zu sagen
He
Mom schubst sie wieder weg.
MOM zu Sis und Sista Na bitte. Geht doch. Ach, was reicht man denn? Was reicht man nur? Dad? Reißt das Kabel raus. Dad?
DAD Was /
MOM Was reicht man denn so, wenn Besuch kommt?
DAD Äh, ich weiß nicht, ich bekomme nicht so oft /
ASCHENPUTTEL Mom! Hau doch einfach ein paar Snickers in die Fritteuse!
MOM Großartige Idee. Das mache ich! Das ist ­kreativ! Das ist originell!
DAD Ich glaube, das war ein /
MOM Das ist neu! Das ist groovy! Das ist urban!
DAD Witz, oder – Setzt Kopfhörer wieder auf.
SIS Mom! Du kannst doch Prinz kein frittiertes Snickers reichen!
MOM Du hast überhaupt keine Ahnung von den Begehrlichkeiten der Hautevolee. Prinz ist ein Star. Und was brauchen Stars? Was brauchen Stars mehr als alles auf der Welt? Über­raschungen. Austern und Kaviar bekommt der jeden Tag.
SISTA Und frisch gepressten Orangensaft! In seiner Sweet!
SIS In seiner was?
SISTA Sweet! So nennt man ein ganz besonders großes Hotelzimmer, du Volldepp.
SIS Mom! Sista hat mich Volldepp genannt!
MOM Sista! Deine Schwester ist kein Volldepp.
SISTA So reden wir im Hause Thausenbeauty nicht!
Mom geht zu Dad und fährt ihm mit der Bürste über den Kopf.
DAD setzt die Kopfhörer ab Was ist denn schon wie – /
MOM Dein Haupthaar. Es stand zu Berge.
DAD Das ist nicht so /
MOM Und wenn der Besuch da ist, beteiligst du dich bitte am Tischgespräch.
DAD Ich? Aber ich habe nichts / Was soll ich denn /
MOM Sei mal ein bisschen witzig.
DAD Ich bin nicht /
SIS Ja, Dad! Brilliere mal ein bisschen mit daddyhaften Scherzen!
SISTA Dad! Sei mal cool!
SIS Ja, Dad. Sei mal so ein perfekter Kumpel-Dad!
SISTA Mit dem ein Schwiegersohn gern zum ­Angeln fährt.
SIS Mit dem ein Schwiegersohn gern zum Baseball geht.
SISTA Mit dem ein Schwiegersohn gern mit ­Dosenbier in der Hand schweigend in den Nachthimmel schaut, die Status-Kluft, die sie trennt, mit klassenübergreifendem, männlichen Ritual überbrückend.
SIS So ein Underdog mit Herz.
SISTA Nix auf dem Konto, weiß aber, wie man einen Fisch ausnimmt!
SIS Null kulturelles Kapital, aber zum Pferde­stehlen!
DAD Ich höre immerhin gern Op – /
SISTA Der verschmitzte, grundanständige Arbeitslose!
SIS Der nette vom System Gefickte von Nebenan!
SISTA Dad! Sei einfach du, Dad!
SIS Ist ja wohl nicht zu viel verlangt!
SISTA Perform dich einfach mal selbst!
DAD Äh / Setzt die Kopfhörer wieder auf.
SIS Mom! Dad entzieht sich wieder!
SISTA Mom! Dad verweigert seine Rolle als Superschwiegervater!
Ding-Dong. Entsetzer Freeze.
MOM flüstert. Er ist da! Alle auf Position. Alle setzen sich. Schreit Seid ihr wahnsinnig! Ihr könnt euch doch nicht setzen, bevor der Gast sitzt! Hoch mit euch! Alle stehen wieder auf. Steht nicht so steif rum! Seid mal locker. Alle stehen locker rum. Um Gottes Willen! Hängt nicht so schlaff im Raum! Es geht hier um unseren gesellschaftlichen Aufstieg! Wir müssen unser sexuelles Kapital in kulturelles und soziales Kapital verwandeln! Und natürlich in – Kapital-Kapital! Aschenputtel bewegt sich. Halt! Wo willst du hin?
ASCHENPUTTEL Ich mache die Tür auf?
MOM Was? Nein!
ASCHENPUTTEL Aber der Gast. Er steht schon vor der Tür.
MOM Deine Sistas schauen noch nicht schön genug.
SIS / SISTA Wie bitte?
MOM Euer Gesicht! Versetzt euch mal in des Prinzen Lage. Er soll euch erblicken und auf der Stelle den Wunsch verspüren, euch den Rest seines ­Lebens an seiner Seite zu haben. Anmut und Frohsinn!
ASCHENPUTTEL Ich seh da mehr so Gier und Panik.
SIS/ SISTA Mom!
ASCHENPUTTEL Ich öffne jetzt. Ich öffne jetzt die Tür.
TAUBE & TAUBE Und da, da stand er. Prinz. Prinz, von seinem Chauffeur in dieser ärmlichen Gegend abgesetzt, die er zuvor noch niemals betreten hatte. Und da geschah etwas Seltsames.
Aschenputtel rennt weg und beginnt, hektisch in einem Klamottenberg zu wühlen und sich umzuziehen.
Aschenputtel verspürte plötzlich das Bedürfnis, schön zu sein. Woher nur kam auf ein Mal das ­Gefühl, nicht zu genügen, so, wie sie eben war? Waren es die Einflüsterungen Moms, die endlich Früchte trugen? War es ein von Taube & Taube ­lange unterdrücktes, archaisch-weibliches Bedürfnis? War es der soziale Druck? Was immer es auch war, es schlug voll durch.
Aschenputtel präsentiert sich in neuem Outfit. Allerdings wich Aschenputtels Idee von Schönheit eklatant von der der Sistas ab. Sis und Sista lachen sie aus. Prinz trat über die Schwelle, küsste Hände und überreichte Geschenke. Anfangs verlief das Gespräch etwas schleppend, aber die von Prinz mitgebrachte Veuve Cliquot Magnum – /
PRINZ Dom Perignon /
TAUBE & TAUBE Dom Perignon Magnumflasche ließ alle sich rasch entspannen. Die Zungen lösten sich, die Wangen erglühten, Herzen hüpften und in den Vulven pochte das Blut. Prinz war ganz mensch – und manngewordene Liebenswürdigkeit. Er lobte sogar Moms Kochkünste /
PRINZ Mir hat es wirklich geschmeckt /
TAUBE & TAUBE / und bot allen das Du an und Mom befahl Prinz, sie Mom zu nennen und sogar Dad ergriff das Wort und hub an zu sprechen. Pause. Was hast du noch mal gesagt, Dad?
DAD Ich? Äh, nichts /
TAUBE & TAUBE Nun gut, dann eben nicht. Dann ergriff Dad eben nicht das Wort und hub eben nicht an zu sprechen. Er saß einfach gut gekämmt da, aß sein Snickers, trank seinen Schampus und nickte ab und zu wohlwollend und milde und lieb. Und so verlief der Abend. Alle nicken. Allerdings konnte bei all der Ausgelassenheit nicht übersehen werden, dass Prinz nur Aug und Ohr für eine hatte. Aschenputtel.
SIS / SISTA Buh.

6. DINNER BEI DEN THAUSENDBEAUTYS

Alle sitzen beim Dinner.
ASCHENPUTTEL Und aus was ist das Blut?
PRINZ Aus Rote-Beete-Saft. Wie beginnt dein Tag?
ASCHENPUTTEL Mit etwas Grübelei und einer heißen Milch. Was macht dir Spaß?
PRINZ Die Farbe rot. Wo willst du sein?
ASCHENPUTTEL Dort, wo die Häuser bunt und die Visagen froh. Was hasst du nach dem Erwachen am meisten?
PRINZ Den Kalender, den jemand, der nicht ich ist, jemand, der Tamara heißt, mit lauter Pflichten vollgekritzelt hat, auf die ich keine Lust hab. Wie läuft das so mit dieser Abendschule?
ASCHENPUTTEL Da geh ich jeden Tag von fünf bis neun Uhr dreißig hin. Und in nem halben Jahr kann ich dann Abi machen. Ja, sag mal, kommst du dir denn nicht bescheuert vor mit diesen Drehbuch-­Sätzen? SCHÖNHEIT, ICH MUSS DICH VOR MIR SELBST BESCHÜTZEN? MEINE ­FAMILIE HÜTET EIN SCHRECKLICHES GEHEIMNIS?
PRINZ Enorm. Doch ich weiß, dass tief in mir drinnen einer wohnt, der zu viel mehr in der Lage ist, als im Dämmerlicht gut auszusehn. Entdeckt sein Poster an der Wand. Da bin ja ich! Hast du mich denn dort hingehängt?
ASCHENPUTTEL Sorry, nein, das waren meine Sistas. Fühlst du dich wohl?
PRINZ Jetzt ja, sonst nicht. Und wie vertreibst du dir so die langen Winterabende?
ASCHENPUTTEL Ich mache meistens Haus­aufgaben. Wenn ich Erholung brauche, bau ich schnell nen Schrank. Was unternimmst du gegen das langsam in dein Herz einsickernde Gefühl der Sinnlosigkeit und Leere?
PRINZ Ich stell mir all die großen Dinge vor, die ich eines Tages noch machen werd. Ist das dein Dad? Und warum sagt er nichts?
ASCHENPUTTEL Ja, das ist Dad. Ich lieb ihn sehr. Doch er ist leider etwas verzagt geworden mit den Jahren. Oder, Dad?
DAD Äh – /
Schweigen.
ASCHENPUTTEL Würdst du nicht mal gern wen spielen, der noch lebt?
PRINZ Ich krieg leider keine anderen Angebote mehr. Sehnst du dich manchmal nicht nach großen Festen?
ASCHENPUTTEL Feste, ach. Die werden nachgeholt, wenn ich mein Abi in der Tasche hab. Warum machst du nicht einfach was anderes, was ganz, ganz anderes?
PRINZ Weil ich nichts anderes kann. Warum hast du nicht schon früher Abitur gemacht?
ASCHENPUTTEL Ach, damals, als die Realmom starb, da ward mir das Herz so schwer, dass ich nichts tun konnt, außer kiffen und weinen. Kiffst und weinst auch du manchmal?
PRINZ Mitunter. Wenn ich mich von der Welt entfremdet fühle. Drängt es dich nicht raus aus diesem engen Leben?
TAUBE & TAUBE So sehr die Sistas auch auf eine lauerten, es riss einfach keine Gesprächslücke auf, in die sie mit ihren antrainierten Verführungskünsten hätten stoßen können.
ASCHENPUTTEL Eines Tages, wenn ich gewappnet bin, werd ich von dannen ziehn. Begehst du manchmal kleine Akte der Revolte?
PRINZ Manchmal sage ich in Interviews die Wahrheit, die aber keiner glaubt. Vermisst du deine ­Realmom?
ASCHENPUTTEL Sehr. Aber ihr Geist morphte auf dem Sterbebett zu diesem Taubenpaar, das mir nun nicht mehr von der Seite weicht. Das ist ein kleiner Trost.
PRINZ Eh ich‘s vergesse. Holt aus einer Tasche die Stöckelschuhe und gibt sie Aschenputtel. Das sind wohl deine.
SIS Lüge! Das sind meine! Reißt Aschenputtel die Schuhe aus der Hand.
SISTA Lüge! Das sind meine! Reißt Sis die Schuhe aus der Hand.
SIS Aber nur an ungeraden Tagen! Und was ist heute?
SISTA Der Einundzwanzigste! Also her damit!
SIS Nein, der Zweiundzwanzigste! Her damit!
MOM Sistas! SIS Her damit! Der Schuh muss meine Weiblichkeit unterstreichen!
SISTA Her damit! Der Schuh muss meine betörend feminine Art hervorheben!
ASCHENPUTTEL Ursprünglich, geliebte Sistas, war der Hohe Schuh ein extrem maskulines –/
SIS Boah ey Aschenputtel ey! Nicht jetzt so‘n Speech!
ASCHENPUTTEL Ob er zuerst von Schauspielern des antiken Griechenlands – /
SISTA Boah ey Aschenputtel ey! Gähn, gähn!
ASCHENPUTTEL / oder im zehnten Jahrhundert von persischen Reitern – /
SIS Zalando!
TAUBE & TAUBE Es war einmal ein persischer Gesandter, der Hohe Schuhe liebte. Er reiste gen Europa und entzündete bei Hofe ein Feuerwerk der Begeisterung für die Mode, die er am Fuße trug.
SIS Mom! Dieses Märchen ist doof!
TAUBE & TAUBE Und alle Jünglinge lechzten nach solcherlei Hohen Schuhen, und so auch die Maiden, die es ihnen allsogleich nachtaten.
SISTA Mom! Der Vogel nervt!
TAUBE & TAUBE Die Absätze, sie wurden höher und höher – /
ASCHENPUTTEL / PRINZ Je höher der Absatz, desto höher der Status
TAUBE & TAUBE So war es. Erst waren die Absätze dreikäsehoch. Dann zwergenhoch. Dann klabautermannhoch.
ASCHENPUTTEL Tauben!
TAUBE & TAUBE Was denn?
ASCHENPUTTEL Klabautermannhoch? Ich glaub euch kein Wort.
TAUBE & TAUBE Aber so steht‘s geschrieben in den Aufzeichnungen der alten Muhmen. Und du willst doch nicht etwa die alten Muhmen der Lüge bezichtigen? Na bitte. Klabautermannhoch. Ja, sogar tatzelwurmhoch. Doch was kam dann? Die Französische Revolution kam! Und kürzte alle Köpfe und Absätze. Und Blut floß durch die Gassen und riss jedwedes Modebewusstsein hinfort. Nun wurd es ruhig um den Hohen Schuh. Der Hohe Schuh schlief einen langen Schlaf des Vergessens, bevor er Jahrmillionen später – /
SIS Mom! Schuhe schlafen doch nicht!
TAUBE & TAUBE / Jahrmillionen später erneut geboren ward. Als nuschelt Objet préféré de la photografie érotique.
ASCHENPUTTEL Als bitte was?
TAUBE & TAUBE nuschelt Objet préféré de la photografie érotique.
SISTA Mom! Der Vogel gibt wieder mit seinen Fremdsprachenkenntnissen an!
SIS Mom! Ich kann kein Französisch!
SISTA Vogel! Red gefälligst Deutsch!
TAUBE & TAUBE Aber es klingt so einfach besser. Und eine gute Geschichte muss nicht nur interessant sein, sondern auch gut klingen. Nun denn. In den späten Dreißigern eines längst versunkenen Zentenniums entwarf der aus Nazideutschland geflohene jüdische Schuhdesigner Moshe Kimel /
MOM Oh my god, who the fuck /
TAUBE & TAUBE Tataa! Den ersten Plateauschuh.
PRINZ Tataa!
TAUBE & TAUBE Wenigstens einer, der mir ­zuhört. Junge, ich mag dich. Kannst du mir auch sagen, für wen Moshe Kimel den ersten Plateauschuh entwarf?
PRINZ Marlene!
TAUBE & TAUBE Marlene!
MOM Damit sie mächtig und groß und beein­druckend aussah! Wie eine Göttin!
TAUBE & TAUBE Dann kam der Glamrock /
SIS / SISTA Buh!
PRINZ / ASCHENPUTTEL Yeah!
TAUBE & TAUBE Und David Bowie /
SIS / SISTA Buh!
PRINZ / ASCHENPUTTEL Yeah!
PRINZ Und Elton John!
ASCHENPUTTEL Und Elton John!
TAUBE & TAUBE Fürwahr, auch Elton John. So ward es fürderhin wurscht, ob Männlein oder Weiblein den Hohen Schuh trug. Doch das gül­dene Zeitalter der Modefreiheit ward alsbald vorüber, es kamen, holy fuck, die Achtziger, und bleischwer legte sich die Genderkonvention auf Füße und Seelen.
Pause.
ASCHENPUTTEL Und?
TAUBE & TAUBE Und was?
ASCHENPUTTEL Und die Moral von der Geschicht?
TAUBE & TAUBE Äh. Wenn er nicht gestorben ist, so lebt der persische Reitschuh in jedem von uns als das fort, was er in ihm zu sehen wünscht.
MOM Kraft, Schönheit, Power!
ASCHENPUTTEL Behinderung! Kaputter Fuß!
PRINZ Sex! Drugs! Rock‘n‘Roll!
SIS Ich will meine Schuhe wieder haben! Es sind meine Glücksschuhe!
SISTA Das sind meine Schuhe! Meine Glücksschuhe!
PRINZ Auch meine Hohen Schuhe sind meine Glücksschuhe!
SIS Dad, sag doch auch mal was!
SISTA Dad?
DAD Also ich – /
SIS Dad?
DAD Ich find sie hot, aber /
SIS Siehst du!
SISTA Siehst du!
PRINZ Ich find sie auch hot, aber nur an mir!
ASCHENPUTTEL Seht ihr!
SIS Gib sie her!
Sis und Sista rangeln um die Schuhe. Ein Absatz bricht ab.
SIS Du hast – meine Schuhe /
SISTA Schau doch, was du getan hast!
SIS/SISTA Mom!
Sis und Sista heulen.
ASCHENPUTTEL Hört auf zu heulen. Ihr habt doch noch so viel andere Schuhe.
TAUBE & TAUBE Es war einmal eine wunder­schöne Königin, die hieß Imelda und liebte Hohe Schuhe.
ASCHENPUTTEL Königin? Diktatorengattin!
TAUBE & TAUBE Nicht doch. Sie war tatsächlich eine Königin. Eine Schönheitskönigin.
MOM Wie ich!
TAUBE & TAUBE Wie Mom! Sie und ihr wunderschöner König herrschten mit Milde und Umsicht über ihr Land – /
ASCHENPUTTEL König? Diktator!
TAUBE & TAUBE In ihren Augen war er ein wunderschöner König – /
ASCHENPUTTEL Tauben! Was tut ihr da?
TAUBE & TAUBE Wir erzählen die Geschichte aus Imeldas Perspektive. Das darf doch wohl noch ­erlaubt sein. Nun denn. Königin Imelda besaß ­genau dreitausend Paar wunderschöner Schuhe, kein Paar mehr und kein Paar weniger.
SIS Mom! Ich möchte auch so reich sein wie diese Königin und auch dreitausend Paar schöne Schuhe besitzen!
SISTA Mom! Hab ich dir schon gesagt, was ich mir zum Geburtstag wünsche? Dreitausend Paar schöne Schuhe!
ASCHENPUTTEL Wie könnt ihr, ausgerechnet ihr, dieses Märchen so falsch erzählen?
TAUBE & TAUBE Wir bleiben flexibel und empathisch. Das ist fürs Geschichtenerzähen eine große Tugend. Und wenn sie nicht gestorben sind, so stehen die Schuhe noch heute im Schuhmuseum – /
ASCHENPUTTEL Verschimmelt im Keller liegen sie! Termitenzerfressen! Und das zu recht! Die Diktatorengattin ist längst entmachtet!
MOM Ach, die arme, schöne Königin!
ASCHENPUTTEL Sie hat Leute foltern und umbringen lassen!
TAUBE & TAUBE / MOM Aber – so schöne Schuhe!
ASCHENPUTTEL Sie hat das philippinische Volk um Millionen betrogen!
TAUBE & TAUBE / MOM – Aber – so schöne Schuhe!
ASCHENPUTTEL Sie ist eine korrupte, miese Mörderin!
TAUBE & TAUBE / MOM Aber – so schöne Schuhe!
ASCHENPUTTEL Ich dachte, ihr seid der Geist von Realmom! Pause. Ihr. Ihr seid gar nicht Realmom.
TAUBE & TAUBE Nein. Natürlich nicht. Wir haben dir das nur erzählt, damit du ihren Tod besser verkraftest.
ASCHENPUTTEL Was?
TAUBE & TAUBE Wir und dein Dad.
ASCHENPUTTEL Ihr habt mich belogen?
TAUBE & TAUBE Nein. Wir haben die Realität nur neu interpretiert, um sie bekömmlicher zu gestalten.
MOM Was soll das jetzt wieder heißen? Dass diese miese kleine Luftratte gar nicht echt ist?
TAUBE & TAUBE Plural, bitte, Plural!
ASCHENPUTTEL Wer. Wer seid ihr?
PRINZ Oh höret meine kleine bescheidene Geschichte: Man lud mich zum Dinner, ich folgte der Invitation mit einer Melange aus freudiger Erregung und skeptischer Scheu, und nun finde ich mich mitten in einem Patchworkfamiliendrama wieder, zu dessen Lösung ich leider nichts beitragen kann.
ASCHENPUTTEL Dad? Wer ist dieses Federvieh?
DAD Äh – /
ASCHENPUTTEL Eine schizophrener Vogel aus der Psychatrie, der einer Anstellung bedurfte!
TAUBE & TAUBE Das hast jetzt du gesagt. Wir würden unsere Geschichte anders – /
ASCHENPUTTEL Anders, anders, anders! Es ist nicht immer alles relativ! Es gibt wahre und erlo­gene Geschichten, richtig und falsch erzählte Geschichten!
TAUBE & TAUBE Die Welt ist das, was du in ihr siehst, mein Kind. Mein geliebtes Kind. Mein einziges Kind.
Aschenputtel schlägt Taube & Taube die Faust ins Gesicht.
MOM Aschenputtel! Du gehst jetzt besser auf dein Zimmer!
ASCHENPUTTEL Nein.
Schweigen.
MOM Oh wei oh weh!
ASCHENPUTTEL Was ist?
MOM Die Toilettenspülung! Sie ist kaputt! Und das jetzt, wo wir Besuch haben! Wie peinsam!
ASCHENPUTTEL Nicht weinen, Mom. Ich geh ja schon. Ab.
Schweigen. Sis und Sista wenden sich Prinz zu. Der erhebt sich.
PRINZ Oh, schon so spät? Ich muss. Tamara wartet auf mich.
SIS / SISTA // MOM Tamara?
PRINZ Meine /
SIS Der Arsch ist schon verheiratet!
SISTA Der Lustmolch will uns zu Mätressen machen!
SIS Der Wichser will nur seinen Spaß, ohne die Rechnung zu zahlen!
PRINZ Äh /
SISTA Mom! Er ist exakt der, vor dem du uns immer gewarnt hast!
PRINZ Tamara ist meine Agentin. Und außerdem will ich /
MOM Verzeihung! Ein Missverständnis. Sonst sind sie nicht so. Das macht die Aufregung. Solche Wichswörter wie Wichser kennen die doch gar nicht! Es ist mir unendlich peinlich. Darf ich ­Ihnen äh dir noch ein Snickers mit auf den Weg geben? Wirft ihm ein heißes Snickers in die Tasche.
PRINZ Danke. Wo ist denn Aschenputtel hin?
MOM Wer?
PRINZ Aschenputtel? Deine Tochter?
MOM Die ist nicht meine Tochter. Hier sind meine Töchter! Eine schöner als die andere!
SIS Ich, ich bin die andere! Äh, die eine!
SISTA Nein! Ich bin doch nicht die eine! Äh, ich bin doch nicht die andere!
PRINZ Da war doch dieses Mädchen. Das Mädchen mit den guten Ideen. Das Mädchen mit dem Charisma und der Wissbegier und den schönen Haaren. Das Mädchen, mit dem ich mich den ganzen Abend unterhalten habe.
Schweigen.
MOM Ach, das Mädchen meinst du. Das hat zu tun. Das muss was reparieren.
PRINZ Sag ihr bitte, dass /
SIS / SISTA Nein.
PRINZ Ich ruf sie an.
Prinz ab.
SIS Mom! Prinz hat den ganzen Abend nur mit Aschenputtel gesprochen!
SISTA Mom! Jetzt hab ich mich so hübsch gemacht und Prinz hat mich überhaupt nicht angeschaut!
SIS Mom! Aschenputtel hat sich in den Vordergrund gedrängt!
SISTA Mom! Aschenputtel hat sich dermaßen in den Vordergrund gedrängt!
SIS Das war so nicht ausgemacht!
SISTA Das war so nicht verabredet!
SIS Mom! Du hast gesagt, Männer mögen keine burschikosen Frauen!
SISTA Mom! Du hast gesagt, Männer mögen keine vorlauten Frauen!
SIS Mom! Du hast gesagt, Männer lieben Frauen, die selbstbewusst, aber nicht aufmüpfig, schön, aber nicht eitel, gepflegt, aber nicht gekünstelt sind!
SISTA Mom! Du hast gesagt, Männer lieben Frauen, die besonders, aber zurückhaltend, neckisch, aber edel, verführerisch, aber nicht nuttig sind!
SIS Du hast gesagt, seid Frau von Welt und Unschuld vom Land!
SISTA Du hast gesagt, seid GIRL NEXT DOOR und BIGGER THAN LIFE!
SIS Du hast gesagt, seid ein einziger Traum, aber bleibt bodenständig!
SISTA Du hast gesagt, macht Konversation, aber seid nicht rechthaberisch!
SIS Du hast gesagt, redet über gesellschaftlich relevante Themen, aber proklamiert keine brisanten Thesen.
SISTA Du hast gesagt, seid einnehmend, aber ­moderat.
SIS Du hast gesagt, zeigt Persönlichkeit, aber keinen Eigensinn.
SISTA Du hast gesagt, seid interessant, aber nicht edgy.
SIS Und alles, alles, alles, was du gesagt hast, das haben wir gemacht. Und alles, alles, alles, was du gesagt hast, hat Aschenputtel nicht gemacht. Und in wen hat sich Prinz verliebt? In Aschenputtel!
SISTA Wir fordern eine Erklärung.
SIS Wir fordern eine Entschuldigung.
SISTA Wir fordern eine Entschädigung. Eine Entschädigung für diese ganz Arbeit, die wir in uns gesteckt haben!
SIS Unser ganzes junges Leben haben wir auf ­diesen Tag hin trainert. Wie Boxer auf den großen Fight.
SISTA Wie Läufer auf den Marathon.
SIS Wie Schachweltmeister auf die große Partie.
SISTA Und jetzt, jetzt das!
SIS / SISTA Mom
Erkläre dich
Mom
Schweigen.
MOM Tja, dieser Mann ist wohl anders.
SIS / SISTA Du sagtest
Kein Mann ist anders
Du sagtest
Alle Männer
Sind gleich
MOM Hab ich das gesagt? Dann hab ich mich wohl getäuscht.
Aschenputtel kommt.
ASCHENPUTTEL Die Toilettenspülung war gar nicht kaputt. Schweigen. Wo ist Prinz?
Schweigen. Taube & Taube kommt vorsichtig auf Aschenputtel zu und reicht ihr einen Flügel.
TAUBE & TAUBE Frieden? Pause. Wir mögen vielleicht nicht der Geist deiner Realmom sein, aber wir haben trotzdem das Zeug zu zwei sehr guten Freundinnen. Pause.
ASCHENPUTTEL nimmt den Flügel Frieden.
MOM Welch rührende Geschichte. Ich heul gleich.
SIS zu Aschenputtel Warum bist DU eigentlich verliebt?
SISTA Das war so nicht ausgemacht.
SIS Das war so nicht verabredet.
ASCHENPUTTEL Ich? Ich bin doch nicht verliebt!
SIS / SISTA Na ja!
ASCHENPUTTEL Verliebt? Ich finde nur die Gespräche mit ihm sehr anregend!
SIS / SISTA Na ja!
ASCHENPUTTEL Verliebt? Ich freu mich doch nur extrem, ihn wiederzusehen!
SIS / SISTA Na ja!
ASCHENPUTTEL Verliebt? Ich habe nur ein warmes Gefühl im Körper, wenn ich an ihn denke!
SIS / SISTA Na ja!
ASCHENPUTTEL Verliebt? Ich bin nur gern in seiner Nähe und hab Lust ihn zu küssen!
Sis und Sista stürzen sich auf Aschenputtel und zerren an ihren Haaren.
MOM Aber Sistas! Ja, das war anders geplant. Aber nun müssen wir mit dem veränderten Schicksal vorlieb nehmen. Eine für alle und alle für eine! Alexandre Dumas! Wir sind one family, ein Team! Eine Kampfeinheit, ein Bataillon im großen Fight for our Rights! Und was sind unsere Rights?
SIS / SISTA Leben, Freiheit und das Streben nach Glück! Thomas Jefferson!
MOM Genau! Und was ist das Glück? Gesundheit? Selbstverwirklichung? Lebenssinn? Ha. Das sagen nur die, die im Wohlstand leben. Doch die Wahrheit ist:
SIS / SISTA Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm! Bertolt Brecht!
MOM Genau! Und wenn‘s eine zu was bringt, hat sie die Pflicht, den anderen was abzugeben. Wir werden alle bald in goldenen Kutschen fahren und von goldenen Tellern goldene Steaks essen. Alle, hört ihr? Du, Sista, mach dir mal keine Sorgen. Sobald Aschenputtel Prinz besitzt, sollt auch ihr einen Prinzen bekommen.
SIS Einen Prinzen?
MOM Je einen Prinzen natürlich. Denn das eherne Gesetz der Prinzenkonzentration besagt, was, Sis?
SIS Wo einer ist, sind mehr, denn gleich und gleich gesellt sich gern, der Reiche bleibt gern unter sich, Promi ist des Promi Freund und der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.
MOM Genau! Du, Sis, wirst durch Prinz Zutritt zum Golfclub bekommen einen Ölscheich kennenlernen, der dich /
SIS Wird er dumpf und brutal sein?
MOM Ja, er wird dumpf und brutal sein, aber durch einen angeborenen Herzfehler wird er bei seinem fünften Wutanfall mausetot umfallen und du wirst sein gesamtes Vermögen erben.
SISTA Und ich?
MOM Du, Sista, wirst durch Prinz Zutritt zur ­Filmpreisverleihung bekommen und dort einen berühmten Produzenten treffen, der einen /
SISTA Wird er fett und alt sein?
MOM Ja, er wird fett und alt sein, aber er wird einen Neffen haben, der ist fünfundzwanzig, schön wie ein Rabe und stark wie ein /
ASCHENPUTTEL Ich heirate Prinz nicht.
MOM What?
ASCHENPUTTEL Ich heirate Prinz nicht.
MOM What? Und warum nicht?
ASCHENPUTTEL Die Frage lautet vielmehr: Wa­rum sollte ich?
MOM Aber ich dachte, du habest den Wert des Mannes dergestalt begriffen, dass du willens bist, den Deal einzugehen?
ASCHENPUTTEL Deal? Ich hab nur gesagt, dass ich ihn mag und gerne Zeit mit ihm /
MOM Eben. Ich rufe gleich das Standesamt an und reserviere einen Termin für die Trauung.
ASCHENPUTTEL Termin? Ich kann doch ohne Termin Zeit /
MOM Na gut, ich geb dir eine kurze Frist zum Plaudern und Kennenlernen / ASCHENPUTTEL Plaudern, Kennenlernen? Liebe möcht ich schon auch mit ihm machen!
Schweigen.
TAUBE & TAUBE Und eisiges Schweigen machte sich im Hause Thausendbeauty breit. Das Schweigen war so eisig, man hätte ganz ohne Kühltruhe ein Huhn einfrieren können. Es war so eisig, dass die Spatzen zu harten Kugeln froren und von den Ästen fielen. So eisig, dass den Elchen die Nasen­löcher zufroren und der Urinstrahl des pinkelnden Kutschers als gelber Bogen stehen blieb, lang noch, nachdem der Kutscher weit, weit fort war.
ASCHENPUTTEL Tauben?
TAUBE & TAUBE So eisig, dass die auf den Bal­konen gelagerten Bierflaschen zerbarsten. Und die schockgefrosteten Herzen der Menschenkinder erstarrten und den Tauben gefror das Blut in den Adern. Das Eis des Schweigens überzog Stadt und Land, Haus und Hof, Feld, Wald und Wiese. Ja, selbst Dad fröstelte! Da sagte die Schneekönigin zu Kay /
ASCHENPUTTEL Tauben?
TAUBE & TAUBE Was?
ASCHENPUTTEL Falsches Märchen.
TAUBE & TAUBE Oh. Putzt sich hektisch das Ge­fieder. Nein, man war nicht prüde im Hause Thausendbeauty. Nein, man hatte nichts einzuwenden gegen das Frönen in Fleischeslust. Man hatte nichts gegen das Erlernen fernöstlicher Liebeskunst. Man hatte seinen Oswald Kolle durchaus gelesen.
SIS Bitte wen?
TAUBE & TAUBE Egal. Wogegen man allerdings etwas hatte, war Kapitalverschwendung.
MOM Allerdings.
ASCHENPUTTEL Wir reden hier von einer freien Entscheidung eines freien Individuums in einem freien Land.
SIS Freiheit? Die gibt‘s doch gar nicht.
SISTA Die ist doch nur eine Finte des Neoliberalismus.
ASCHENPUTTEL Ja, wenn man sich alldem willenlos unterwirft? Wenn man widerstandslos seine Gefühle durchkapitalisieren lässt?
TAUBE & TAUBE Sistas? Vieleicht mal was Gescheites lesen? Reicht ihnen ein Buch an. Sie nehmen es nicht, es fällt unbeachtet zu Boden.
MOM Stell dir vor, du wärst Tischlerin. Du tischlertest die schönsten Möbelstücke weit und beit. Viele, viele Stunden brächtest du an der Hobelbank zu, um deine Unikate zu kreieren. Und dann käm ein Kunde in den Laden und frug, was der schöne ­Sekretär da in der Ecke koste. Und du sagtest, ach, der kostet nichts. Nehmt ihn doch einfach gleich mit! Aber halt, ich schlage ihn für Euch noch in hübsches Glanzpapier ein, für umme, versteht sich /
ASCHENPUTTEL Also, diese Analogie hinkt ganz gewaltig.
SIS Stell dir vor, du wärst Mimin. Du ständest Abend für Abend auf der Bühne und mimtest dir die Seele aus dem Leib und tagsüber probtest du dir nen Wolf. Und was würdest du dafür bekommen? Ein Eimerchen voll Nichts, denn: es macht dir ja Spaß. Du willst es doch auch. Warum für ­etwas entlohnt werden, an dem du auch Vergnügen hast?
ASCHENPUTTEL Ganz schiefer Vergleich, Sis, ganz schiefer Vergleich.
SISTA Stell dir vor, du wärst Philosophin.
ASCHENPUTTEL Es reicht jetzt! Liebe Family. Dear Mom. Ich lass mich doch von euch nicht auf den Strich schicken.
SIS / SISTA / MOM Aber Aschenputtel! Nichts im Leben Ist ohne Preis
ASCHENPUTTEL Ich war lange genug nachsichtig mit dieser Family, die nicht mal meine Real­family ist. Weil ich Mitleid hatte. Weil ich dachte, ihr könntet halt nicht anders. Weil euch eure ­Opfermom mit ihrer ja, ich geb‘s zu, tragischen Geschichte in ein Tussitum hinein manipulierte. Nun aber ist‘s genug. Das hier ist meine Geschichte. Ja, ich wollte erst kein Teil davon sein. Ja, ich hielt diese Geschichte zuerst für die eurige. Aber nun, da sie die meinige wurde, haltet euch raus. Haltet euch als Nebenfiguren bitte an die Regeln. Und wenn ich der geistigen Vereinigung mit Prinz nun die körperliche folgen lassen will, so dulde ich keine Einmischung in meine Pläne. Dieser Prinz ist jetzt mein Prinz.
SIS Du wollstest überhaupt keinen Prinzen!
ASCHENPUTTEL Erst wollt ich keinen. Jetzt will ich einen.
SISTA Aber den da haben wir entdeckt! Such dir einen anderen!
ASCHENPUTTEL Ich will aber genau den.
SIS Er ist unser Ticket ins Schlaraffenland!
ASCHENPUTTEL Er ist ein Mensch und kein ­Ticket.
SISTA Er ist unser persönliches goldenes Schicksal! Er ist unser persönlicher goldener Schwanz!
ASCHENPUTTEL Er ist ein Mann und kein Schwanz.
SIS Wir überlassen ihn dir gern!
SISTA Zähneknirschend, aber gern!
SIS Du kannst ihn haben.
SISTA Bitte, du hast gewonnen.
SIS Es gibt nur eines, was du tun musst.
SIS / SISTA Heirate ihn.
SIS Hilf uns raus aus diesem Dreck.
SIS / SISTA Heirate ihn.
ASCHENPUTTEL Ich helfe euch. Versprochen. Doch auf meine Art.
SIS / SISTA Auf deine Art? Weh uns
Wir sind gefickt
ASCHENPUTTEL Ich mach grad mein Abi nach. Dann werd ich reich und geb euch Geld. Selbst verdientes.
SIS / SISTA Ha ha ha
Da sind wir aber
Da sind wir aber mal
Gespannt
ASCHENPUTTEL Ich erfinde was Tolles. Ich male was Schönes. Ich schreibe was Gutes. Ich inszeniere was Großes. Ich entdecke was Neues. Ich erforsche was /
SIS / SISTA Ha ha ha
So viele vor dir
Haben gedacht wie du
Wo sind sie gelandet?
Im Heim
Am Herd
In Billigjob und Leiharbeit
In der Sozialbausiedlung am Rande der Stadt
Im Zukunftslosen
MOM Dein Problem ist, Kind, dass du in einer Märchenwelt lebst. Und glaubst das alles auch noch. Die Mär von der reinen Liebe. Die Mär von der Beziehung auf Augenhöhe. Die Mär von der geteilten Hausarbeit. die Mär von der geteilten ­Elternzeit. Wach auf! Sieh dir die Realität an, Kind! Lass dich nicht vom erstbesten Schwanz in die Pfanne hauen und uns gleich mit!
ASCHENPUTTEL Es reicht. Ich gehe jetzt.
SIS / SISTA / MOM Wohin?
ASCHENPUTTEL Zu Prinz, die Vereinigung zu zelebrieren.
SIS/SISTA / MOM Niemals!

7. KRIEG IM HAUSE THAUSENDBEAUTY

Ein Kampf entbrennt. Aschenputtel versucht mit ­Taube & Taubes Hilfe, die Wohnung zu verlassen, Mom, Sis uns Sista hindern sie daran. Im Gewühl wird Dads Stecker rausgerissen, so dass der Kampf nun mit dramatsicher Opernmusik untermalt wird, während Dad dem Treiben hilflos und etwas verwirrt ­zusieht. Letztendlich siegen Mom, Sis und Sista und fesseln und knebeln Aschenputtel und Taube & Taube. Dad steckt den Stecker wieder rein und wendet sich ab. Stille.

8. INTRIGE/ DIE VERKLEIDUNG

Sis und Sista stehen etwas ratlos vor ihren Gefangenen.
SIS Boah ey Aschenputtel ey. Es ist nur zu unser aller Bestem.
SISTA Boah ey Aschenputtel ey. Es ist nur, weil ihr euch unsolidarisch mit der Familiy gezeigt habt.
SIS Boah ey Aschenputtel ey. Du hast leicht reden von wegen dieser, dieser, dieser Bildung und Bla.
SISTA Boah ey Aschenputtel ey. Wir sind halt nicht so denkbegabt.
SIS Wir haben keinen Spaß am Vergleichen von mittelhochdeutschen Gedichtquellen.
SISTA Wir kriegen von Bücherstaub Keuchhusten.
SIS Wir wollen schön sein. SISTA Wir wollen tanzen.
SIS Wir wollen uns in der Abendsonne am Pool die Nägel feilen.
SISTA Warum wird das nicht als legitimes Lebenssziel anerkannt?
SIS Wenn wir damit einen glücklich machen, der uns damit glücklich macht?
SISTA Was ist daran so verwerflich? SIS Trophäenfrau ist doch ein schöner Beruf.
SISTA Was hast du denn gegen diesen schönen Beruf einzuwenden?
SIS Warum hilfst du uns nicht, diesen schönen Beruf zu ergreifen?
SISTA Warum stehst du unserem Glück im Weg?
Schweigen.
SISTA Warum sagst du nichts?
SIS Vielleicht, weil sie einen Knebel im Mund hat, du Volldepp?
SISTA Mom! Sis hat mich Volldepp genannt!
MOM Aber Sis! So reden wir im Hause Thausendbeauty nicht. Außer, es ist wahr! Zu Sista Und in diesem Fall ist es wahr, du Volldepp!
Sista fängt an zu heulen. Sis nimmt Aschenputtel den Knebel raus. Taube & Taube zuckt, Sista nimmt ihr ebenfalls den Knebel aus dem Schnabel.
SIS / SISTA Wir hören.
ASCHENPUTTEL brüllt Ihr Ratten! Ihr falschen Schlangen! Ihr Hühnerhirne!
TAUBE & TAUBE Na na na.
ASCHENPUTTEL Ihr Schafsköpfe! Ihr Horn­ochsen! Ihr läufigen Hündinnen!
TAUBE & TAUBE Na na na.
ASCHENPUTTEL Ihr dummen Kühe! Ihr Hasenherzen! Ihr feigen Schweine!
TAUBE & TAUBE Na na na. Brüllt Ihr Menschen!
ASCHENPUTTEL Genau: ihr Menschen!
TAUBE & TAUBE Man kann einen glücklichen Sklaven eben nicht befreien. ASCHENPUTTEL Oder einen Sklaven, der gar nicht merkt, dass er Sklave ist.
MOM zu Sis und Sista Schnell. Wir müssen euch verkleiden.
SIS / SISTA What?
MOM Ihr müsst an Aschenputtels statt zum Prinzen gehen und so tun, als wärt ihr sie.
SIS / SISTA What?
SIS Wird Prinz nicht merken, dass wir statt einer zwei sind?
MOM Sis, du Volldepp! Es geht natürlich nur eine von euch.
SIS / SISTA Und welche?
MOM Diejenige, die Aschenputtel am Ende am ähnlichsten ist. Diejenige, der die Verkleidung am besten gelingt. Ach, sagen wir es in aller grausamen Klarheit, wie es ist: Die bessere. Sis und Sista beginnen eine hysterische Verkleidungsorgie. Hopp hopp! Das ganze Leben ist ein Wettbewerb!
ASCHENPUTTEL Lasst ihn in Ruhe! Ich verbiete euch, Prinz für euren Nestbau zu instrumentalisieren! Hört auf, ihn zum Schwanz zu machen! Prinz ist kein Schwanz! Er ist ein menschliches Wesen! Ihr Monster! Ihr faulen Schlampen! Wie könnt ihr nur!
Sis uns Sista sind mehr oder weniger perfekt als Aschenputtel verkleidet.
MOM Perfekt! Jetzt müssen wir nur noch an eurer Persönlichkeit arbeiten.
ASCHENPUTTEL Ha! Persönlichkeit? Da ist doch nichts. Nur ein Hohlraum. Ein Loch. Löcher auf zwei Beinen, das seit ihr!
MOM geht zu Taube & Taube und nimmt ihr den Knebel aus dem Schnabel. Los! Unterrichte sie!
TAUBE & TAUBE Was?
MOM Gib ihr dein Wissen, damit sie so reden können wie Aschenputtel.
TAUBE & TAUBE Was?
MOM Was du da immer anschleppst in deinem Schnabel. Die Bücher. Von diesen Mädchen. Diese Mädchenbücher!
TAUBE & TAUBE Du meinst unsere umfangreiche Bibliothek der wichtigsten Werke feministischer Literatur?
MOM Whatever. Fass den Kram mal kurz zusammen und trichtere ihn den Sistas ein.
TAUBE & TAUBE Ja, können wir mit einem Fingerhut den Ozean leer schöpfen? Können wir mit einem Teesieb die Wüste Gobi abtragen? Können wir Armeen aus der Erde stampfen? Wächst uns ein Kornfeld in der flachen Hand?
MOM Hör auf zu jammen und beeil dich.
Taube & Taube reißt Seiten aus ihren Büchern und stopft sie Sis und Sista in den Mund.
TAUBE & TAUBE Wir fangen an mit einem Happen Olympe. Dann ein Löffel voll Germaine. Dann eine Unze Gloria. Je ein Spritzer Laurie. Mary. Simone.
SIS Mom! Ich kann nicht mehr!
SIS Mom! Mir ist so schlecht!
MOM
Weiter! Weiter!
TAUBE & TAUBE Hier kommt eine große Portion Andrea. Hier eine Messerspitze Naomi. Abgeschmeckt mit Shulamith. Betty und Kate. Hier noch ein Klecks Virginia und eine Prise Lady Bitch.
SIS Mom! Es schmeckt so widerlich!
SISTA Mom! Ich muss gleich kotzen!
TAUBE & TAUBE streng Rucke di Gu
Blut ist im Schuh
Das Telefon klingelt.
ASCHENPUTTEL Das ist Prinz!
SIS/SISTA Oh mein Gott!
ASCHENPUTTEL Gebt mir den Hörer!
MOM Eine muss abnehmen. Eine muss mit ihm sprechen.
ASCHENPUTTEL Gebt mir sofort den Hörer!
Sis und Sista rennen zum Telefon, Sis nimmt ab, Sista reißt ihr den Hörer aus der Hand.
SISTA Hallo?

9. ENTTARNUNG UND ENTTÄUSCHUNG

PRINZ Seit Stunden schlich ich nun ums Telefon. Sollt ich‘s wagen, gleich anzurufen, am selbigen Tage? Wirkte das nicht unsouverän übergriffig bedürftig schwach? Nun. Ich fasste mir ein Herz und tat‘s. Und wie groß war die Freude, als das Aschenputtel höchstselbst gleich am Apparate war. Seltsam wortkarg, wie es gar nicht seine Art war. Nun, ich schob‘s auf die Aufregung und verbuchte das als Zeichen zu meinen Gunsten. Ach, ich eitler Narr, ich Volldepp! Aber wir verabredeten uns sogleich für den selbigen Abend. Da stand sie endlich vor der Tür. Ich musste sie natürlich an Tamara vorbeischmuggeln, die mir für diesem Abend schon ein Rendevous mit einem K-Pop-Star arrangiert hatte. Aber es klappte. Da stand sie also. Im Dämmerlicht einer gedimmten Lampe. In ihrem Arbeitsanzug. Und sagte plötzlich /
SIS leiert tonlos mechanisch runter Wer sich nicht bewegt, spürt seine Ketten nicht. A woman must have money and a room of her own if she is to write fiction. On ne nait pas femme: on le devient.
PRINZ Das kam mir komisch vor, doch ich dacht mir dann nicht weiter viel dabei. Schnurstracks kam sie auf mich zu. Aber – da stutzte ich. Denn sie trug Hohe Schuhe. Wie beim ersten Mal. Doch dieses Mal lief sie auf ihnen mühelos wie eine Elfe. Sanft wie auf Wolken schritt sie einher, ohne stolpern, ohne straucheln. Wie konnt das sein? Nun, klar. Es konnte sein, weil sie‘s nicht war. Ich riss ihr wutentbrannt die Larve vom Gesicht. Mit Schimpf und Schande schickt‘ ich sie nach Haus.
Sis heult.
MOM Woran nur hat er es gemerkt?
SIS Ich weiß nicht, Mom! Ich habe meine Rolle perfekt gespielt!
MOM Los, Sista, nun musst du dein Glück versuchen.
SISTA Mom!
MOM Los!
TAUBE & TAUBE Und Sista ging hin und versuchte ihr Glück. Gurrt hämisch.
PRINZ Endlich kam die richtige. Mein Aschenputtel! Die echte! Sie sprach /
SISTA leiert tonlos mechanisch runter There comes a time when you have to decide wether to change yourself to fit the story, or change the story itself. Die Schuhfabrikanten machen Frauenschuhe zum Stehenbleiben. Dabei brauchen wir eher Schuhe zum Weglaufen. Dick in the air let me see you put your dick in the air.
PRINZ Da sah ich, dass dieses Wesen, wer immer es auch war, Schuhe mit noch höheren Absätze trug als das vorige. Auf denen schritt einher sie wie eine Gazelle. Eine erneute Finte, mit der man mich hinters Licht zu führen suchte! Ich riss ihr die Maskerade vom Leib und schickte sie zum Teufel.
Sista heult.
SISTA Und jetzt?
MOM Wird Aschenputtel zum Altar gezwungen.

10. DAD WILL AUCH MAL WAS SAGEN

Dad nimmt seine Kopfhörer ab und tritt nach vorne.
DAD Als ich meine Frau verlor und plötzlich allein dastand mit dem Kind und /
MOM Ganz falscher Zeitpunkt jetzt, Dad.
Schweigen.

ASCHENPUTTEL Na komm schon, Dad. Trau dich.
DAD Als ich meine Frau verlor /
SIS Heul doch.
SISTA Mimimi.
Schweigen.
DAD Sie war so ein freier, starker Mensch und /
MOM Ja, wir wissen es. Sie war die Tollste! Die Schönste, Klügste, Belesendste, Faszinierendste! Du warst ja sooo verliebt! Aber dann raffte die Schwindsucht sie dahin. Tja.
DAD Sie war eine gute Mutter, die ihrer Tochter Werte /
MOM Was willst du damit sagen?
DAD Eine Mutter, die ihrer Tochter alles beibracht – /
SIS Ja, wie man scheiße aussieht vielleicht!
SISTA Ja, how to be the perfect Neutrum vielleicht!
SIS Ja, wie verstecke ich meinen Busen am Nachhaltigsten vielleicht!
SISTA Ja, wie jage ich die Männer am Effizientesten in die Flucht vielleicht!
DAD Ihre Lieblingsoper war – /
SIS Lieblingsoper, klar! Sie war ja soo kultiviert!
SISTA Lieblingsoper, klar! Sie war ja soo ein edles Geschöpf!
SIS Sicher wog sie nur so viel wie fünf Federn! SISTA Sicher aß sie nur Licht!
SIS Sicher schiss sie nur Rosenpuder!
ASCHENPUTTEL Dad! Lass dich nicht unter­buttern! Sprich, Dad, sprich! Welches war ihre Lieblingsoper?
DAD Ihre Lieblingsoper war – /
ASCHENPUTTEL Ja? Mach schon, Dad!
DAD War – /
Pause. Dad fängt an zu weinen.
SIS Boah, what a speech!
SISTA Wir wurden genug gemansplaint in diesem Leben, danke!
DAD Seit ihrem Tod habe ich eine Melancholie in mir /
SIS Ein Memmentum, meinst du wohl!
SISTA Eine Antriebslosigkeit!
MOM Ein Motivations-Minus!
DAD Aber dann entdeckte ich auf dem Bildschirm dieses fröhliche Wesen und /
MOM Meinst du etwa mich? Ich bin kein fröhliches Wesen. Ich bin ein von den Verhältnissen schwer gebeuteltes Opfer des Geschlechterkampfes.
DAD Und Glück winkte und Hoffnung keimte /
MOM Hoffnung keimte? Ach was. Der Penis schwoll!
DAD Und /
SIS Wir kennen euch doch.
SISTA Nur das eine im Kopf. Versorgt werden wollte er!
SIS Ne Dumme finden, die ihm die Wäsche wäscht und das Bier aus dem Keller holt!
DAD Nein, ich bin ein echter Romantik – /
SIS Ja ja. Romantik. Das ist die schlimmste Falle!
SISTA Höre Romantik, übersetze: lebenslanges Elend.
SIS Höre Romantik, übersetze: mitteloser Spinner.
SISTA Höre Romantik, übersetze: will alles nehmen, aber nichts geben.
MOM Ich bin da nicht noch mal drauf reingefallen. Hab gleich geschrieben, hello stranger, du gefällst mir. Du scheinst ein nettes, nicht mehr ganz tau­frisches Exemplar von Mann zu sein, mit dem Herz am rechten Fleck. Mit deiner mickrigen Rente bist du zwar alles andere als ein goldener Schwanz, mein Freund, da brauchst mir nichts erzählen, ich seh‘s an deinem Hemde. Ein Arme-Männer-Hemd! Aber du könntest durchaus zum sanftmütigen, duldsamen Gefährten taugen. Denn sehen wir der Wahrheit ins Gesicht: War ich doch einst der Männer Hauptgewinn, bin ich jetzo verblüht. Diese Generation, also ich, sie hat‘s vermasselt. Ich gebe zu: ich bin gescheitert. So geb ich nun den Staffelstab weiter an meine Töchter. Du hast ne Göre, ich ihrer zwei, tun wir uns zusammen, is billiger. Auf gar keinen Fall mach ich für dich nen Finger krumm. Putz oder kauf ein oder bespaß dich oder überlass dir die Fernbedienung oder hör mir an, was du wieder gedacht geträumt geplant hast, wo du wieder gewesen bist, lass mir mit ner Fahne ins Gesicht atmen oder bekoch dich oder ­beback dich oder betüttel dich. Auf gar keinen, gar keinen Fall trag ich dir deinen patriarchalen Arsch nach!
DAD Ich bin kein / ich hab keinen patriarchal – /
MOM Dieses Mal lass ich mich vom Mannsbild nicht für dumm verkaufen.
DAD Ich habe die Frauen immer gelie – /
MOM Das sind die schlimmsten! Wer diesen Satz hört, flüchte schleunigst.
DAD Ich mach doch alles im Haushalt und trag den Müll /
ASCHENPUTTEL Nein, Dad. Du machst gar nichts. Das mach alles ich. Ich bin die, die das macht.
DAD Aber ich hab doch gestern erst den Müll /
ASCHENPUTTEL Ja, Dad. Ein Mal. Ein Mal im Jahr trägst du den Müll runter.
DAD Willst du damit sagen, ich sei /
ASCHENPUTTEL Nicht so schlimm, Dad. Sitz du nur weiter in deinem Sessel und sei traurig.
SIS Traurig? Lahm und maulfaul.
DAD Ich bin gar nicht lahm, ich /
SISTA Total nutzlos, der alte Sack.
DAD Ich hör nur gern Op – /
MOM Genug gejammert, alter Mann.
Schweigen.
DAD Kind, warum bist du eigentlich gefess – /
ASCHENPUTTEL Ach, Dad. Weil du mir nicht geholfen hast.
DAD Es tut mir so leid, Kind! Ich hab doch gar nichts mitbekomm – /
ASCHENPUTTEL Schon gut, Dad.
Schweigen.
DAD Manchmal bereitet es mir schlaflose Nähte, weil ich denke, dass ich als Vater versa – /
MOM Wer will das alles hören? Also, ich nicht.
ASCHENPUTTEL Lass Dad doch auch mal was sagen! Dad? Bitte. Schweigen. Dad? Schweigen.
Bist du müde, Dad? Dad nickt. Willst du dich ­wieder hinsetzen? Dad nickt. Dann setz sich doch einfach wieder. Dad setzt sich wieder. Schweigen.
SISTA Und jetzt?
MOM Wird Aschenputtel zum Altar gezwungen.

Ding-Dong.

MOM Da ist er schon!
ASCHENPUTTEL Prinz! Hilfe!
MOM Du wirst um Prinzens Hand anhalten. Nein: Du wirst Prinz so manipulieren, dass er um deine Hand anhält.
ASCHENPUTTEL Was? Niemals. Ich manipuliere doch nicht den Mann, den ich liebe!
Sis und Sista lachen.
SIS/ SISTA Die ist so‘n Volldepp!
Mom nimmt einen Stöckelschuh zur Hand und hält ihn als Waffe über Aschenputtels Kopf.
MOM Wehe, du sagst die falschen Worte. Dann erschlag ich dich. Und deinen blöden Vogel noch dazu.
Taube & Taube duckt sich weg.

11. DIE UMBESETZUNG DES PRINZ

Prinz kommt. Mom schiebt Aschenputtel in den Raum, versteckt sich hinter der Gardine und bleibt mit erhobenem Schuh stehen.
ASCHENPUTTEL Prinz. Ich muss mit dir reden.
PRINZ Und ich auch mit dir.
ASCHENPUTTEL Ich habe Wichtiges zu sagen.
PRINZ Und so ich.
Schweigen.
ASCHENPUTTEL Bitte. Nach dir.
Mom fuchtelt drohend mit dem Schuh.
ASCHENPUTTEL fällt auf die Knie Heirate mich!
Stille.
TAUBE & TAUBE Nicht nur, dass dies nicht gerade als Vorgang subtiler Manipulation durchging, war es dazu noch ein Songzitat der Band RAMMSTEIN, was Prinz so verwirrte, dass er in ein langes Schweigen fiel. Stille. Aschenputtel sucht hektisch in ihren Taschen nach einer Art Ring und hält Prinz schließlich eine Schraubenmutter entgegen. Endlich löste sich Prinz aus der Schockstarre und sprach – / Stille. Schreit Prinz an / Endlich löste sich Prinz aus der Schockstarre und sprach /
PRINZ hüstelt verhalten Äh, puh, ja, warum nicht?
Unter Jubelgeheul kommen Mom, Sis und Sista hinterm Vorhang vor. Mom wirft den Schuh weg.
TAUBE & TAUBE Hach, war das ein Jubel im Hause Thausendbeauty! So stand der Hochzeit nun nichts mehr im Wege. Geht zu Dad und reißt den Stecker raus, so dass die Hochzeitsvorbereitungen nun mit Opernklängen untermalt werden. Hysterisches Anziehen und Ondulieren und Schminken und Dekorieren. Ausgelassene Zeremonie im Zeitraffer. Taube & Taube steckt den Stecker wieder rein.
ASCHENPUTTEL So schlimm ist die Ehe ja gar nicht!
PRINZ Wir sind erst fünf Minuten verheiratet.
ASCHENPUTTEL Wirklich? Es kommt mir vor, als seien es schon Jahre.
TAUBE & TAUBE Und während Prinz noch darüber nachdachte, ob es sich hier um einen Diss oder ein Kompliment handelte, erhob sich Dad und – / Dad bleibt sitzen. Dad? Stille. Dad, war so nicht verabredet. Stille. Dad?
SIS packt Prinz am Kragen Los! Führ mich in die Gesellschaft ein! Stell mich deinen Freunden vor! Nimm mich in dein Chalet mit! Finanzier mir einen Benimmkurs!
SISTA packt Prinz am Kragen Ich will Glam und Champagner und flirrende Flirts mit mächtigen Männern in Hugo Boss-Anzügen!
MOM packt Prinz am Kragen Ich will ein rückenfreies Versace-Kleid!
Prinz macht sich los. Stille.
PRINZ Aschenputtel. Du öffnetest mir Herz und Hirn. Durch deine Rede wurde mir bewusst, welch Knechtesjoch ich unterlieg. Zog ich nicht einst aus, um vom Guten, Wahren, Schönen zu berichten? Und nun. Ertrage ich seit Jahr und Tag die Gesellschaft der fürchterlichsten Dummköpfe, schmierigsten Drehbuchschreiberinnen, schamlosesten Geldhaie. Ich schäme mich. Ich schäme mich für mein Leben, für mein armseliges Leben. Ich schäme mich dafür, dass ich nachts nur durch einen Cocktail aus Tavor, Valium und Wodka Ruhe finde. Ich schäme mich vor dem Jungen, der ich einst war. Ich kann mich nicht mehr im Spiegel sehen, ha, kleiner Untoten-Witz, weil ich dann vor Scham kotzen müsste. Ich schäme mich für mein verlogenes Geschleime auf Partys. Für all die toxischen Geschichten, die ich aus Profitgier unters Volk brachte. Für all die falschen Träume, die ich in Teenie-Herzen pflanzte. Die Lügen, mit denen ich ihr Gemüt verseuchte. Ich schäme mich dafür, dass ich meinen besten Freund an einer Überdosis in einer Hotelsuite verrecken ließ, da ich es nicht wagte, ihn ins Krankenhaus zu bringen, aus Angst vor schlechter Presse. Ich schäme mich. Ich schäme mich für all die vorgespielten Orgasmen bei zahllosen One Night Stands, von denen ich mir Vorteile erhoffte. Ich schäme mich für jede beschissene, verlogene Textzeile, die aus meinem Nuttenmund kam. Ich schäme mich, für jeden Preis, den ich von dieser korrupten Medienmeute annahm. Für jedes Bravo-Foto, auf dem ich schleimig in die Kamera grinse. Ich schäme mich dafür, dass ich meine Herkunft des Ruhmes willen verleugnet habe. Denn mein wahrer Name ist nicht Prinz. Mein wahrer Name ist Ciprian Antonescu. Ja, ich komme aus Rumänien. Ich schäme mich dafür, dass ich meinen Namen ablegte, um mich besser zu verkaufen. Ich schäme mich. Ich schäme mich dafür, dass ich meine Jugendliebe in einem Dorf in den Karpaten schwanger sitzen ließ, weil sie meinen eitlen Plänen im Wege stand. Ich schäme mich vor meiner Mutter, die mich zu einem aufrichtigen, guten Menschen erzog. Und der ich nicht mal eine Einladung zur Premiere schickte, aus Scham für ihre Armut. Ich schäme mich dieser Scham. Ich stehe hier und schäme mich.
Stille.
ASCHENPUTTEL Liebster, das ist ja furchtbar.
PRINZ Nein! Denn gestern ging ich zu Tamara, klopfte an ihr Büro, schlug ihr die Soja-Matcha-Latte aus der Hand und rief /
ASCHENPUTTEL Tamara!
PRINZ Genau. Tamara! Rief ich. Ich fod‘re diverse Veränderungen!
ASCHENPUTTEL Yeah!
PRINZ Tamara rief: Prinz! Lass hören!
ASCHENPUTTEL Yeah!
PRINZ Und ich rief: Tamara!
ASCHENPUTTEL Yeah!
PRINZ Ich will: Menschenwürdige Arbeitszeiten. Ein Recht auf Privatleben. Einfluss aufs Drehbuch.
ASCHENPUTTEL Yeah!
PRINZ So sieht‘s nämlich aus, Tamara! Und ­Tamara sprach: schön, Prinz. I hear you. Du bist gefeuert.
ASCHENPUTTEL Oh.
Schweigen.
ASCHENPUTTEL Oh weh.
PRINZ Nichts oh weh! Freiheit!
ASCHENPUTTEL Was willst du nun tun?
PRINZ Ach, ich hab so viel Ideen!
ASCHENPUTTEL Hm.
PRINZ Hm?
ASCHENPUTTEL Na, du kannst ja sicher eine Weile vom Gesparten leben und /
PRINZ Gespartes?
ASCHENPUTTEL Du hast all die Jahre nichts gespart?
PRINZ Nö. Hab nix mehr!
ASCHENPUTTEL Wo ist der Lohn der sieben ­Sequels hin?
PRINZ All das Gold, all das Geld, ging dahin. Ach.
Schweigen.
ASCHENPUTTEL Ja, wo ging es denn hin?
PRINZ Ach. Gold und Geld. Nur ein Traum. Ach.
Schweigen.
ASCHENPUTTEL Du bist pleite?
PRINZ So sieht‘s wohl aus.
Mom, Sis und Sista reißen sich mit Geheul die Festtagskleider vom Leib.
MOM Alles vorbei. Alles verlor‘n.
Sis und Sista wälzen sich vor Schmerz auf dem Boden.
MOM / SIS / SISTA Weh Goldschwanz ohn‘ Glanz
Weh
SIS Wer bist du nun? Ein Nichts! ein Namenloser!
SISTA Ein Mann ohne Zukunft! Ein Schwanz ohne Potenzial! Ein Rumäne!
SIS Ein Abgehängter, Abgespielter, ein HAS BEEN!
SISTA Ein Blechschwanz, der uns nichts bieten kann!
SIS Keine Zukunft in Strandhotels auf Bora Bora!
SISTA Keine Reitstunden auf Araberhengsten in den Hamptons!
SIS Keine – / Ach, quälen wir uns nicht weiter mit bunten Fantasien!
SISTA Foltern wir uns nicht länger mit einer ­Zukunft, die nun niemals eintritt!
PRINZ / ASCHENPUTTEL / TAUBE & TAUBE
Moment
MOM / SIS / SISTA All die Arbeit
All unsere harte Arbeit
Für nichts
PRINZ / ASCHENPUTTEL / TAUBE & TAUBE Moment
MOM / SIS / SISTA Man hat uns betrogen Um unser besseres Ich
PRINZ / ASCHENPUTTEL / TAUBE & TAUBE Moment
PRINZ Wir sind nicht eure Krücken!
ASCHENPUTTEL Wir wurden nicht geboren, um eure faulen Ärsche in Seide zu packen!
PRINZ Wir mussten uns erst selbst befreien. Und nun sind wir frei!
MOM / SIS / SISTA Ha
Frei
SIS Ihr seid hier nicht im Märchenwald, wo ihr euch von Luft, Liebe und Heidelbeeren ernähren könnt!
SISTA Dad? Sag doch auch mal was! Dad?
DAD Äh /
ASCHENPUTTEL / TAUBE & TAUBE / PRINZ
Große Werke
Werden wir schaffen
Freie Geister
Erzieh‘n
MOM / SIS / SISTA Ha
SIS Wo wollt ihr wohnen, ihr freien Geister?
ASCHENPUTTEL / TAUBE & TAUBE / PRINZ
Im Zelt
Im Wohnwagen
Im Wald
Im Tiny House
MOM / SIS / SISTA Ha
Ein Wohnwagen
Fünftausend Euro
Ein Grundstück im Wald Zehntausend
Ein Tiny House
Gibt‘s so ab
Round about
Fünfzehntausend
ASCHENPUTTEL / TAUBE & TAUBE / PRINZ
Wir fällen selbst das Holz
Wir bauen alles selbst
Denn wir sind handwerklich geschickt
Unsere Fertigkeiten Machen uns unabhängig
MOM / SIS / SISTA Ha
Ihr Träumer
In den Abgrund
Werdet ihr stolpern
Und reißt uns noch mit
MOM Und wer ist an all dem Schuld? Wer schleppte die böse Saat der falschen Versprechungen an und pflanzte sie in Aschenputtels Hirn? Wer nährte falschen Glauben an falsche Freiheit?
SIS / SISTA Die Luftratte
MOM Überbringerin vergifteter Schriften!
SIS / SISTA Die Luftratte
MOM Wegen der die Thausendbeautys nun statt in goldenen Kutschen in der Gosse landen!
SIS / SISTA Die Luftratte
MOM Muss bestraft
SIS / SISTA Die Luftratte
MOM Muss geopfert werden! Oder, Dad? Dad?
DAD Ä /
Mom, Sis und Sista packen Taube & Taube und werfen sie in die Fritteuse.
ASCHENPUTTEL Weh! Kein gutes Omen.

12. WAS HERNACH GESCHAH

Aschenputtel blickt traurig in das siedende Fett.
ASCHENPUTTEL Ach, Tauben. Du warst nicht die, für die ich dich hielt, und ja, vielleicht warst du nicht mal zwei, sondern nur eine. Aber seit Realmom an der Schwindsucht starb und Dad auf so wunderliche Weise, äh, wunderlich wurde, warst du mir doch die beste Freundin und engste Vertraute.
Die frittierte Taube & Taube aufersteht und bürstet sich das Fett vom Gefieder.
TAUBE & TAUBE Aschenputtel, entsetzt über den brutalen Mord an Taube & Taube, brach den Kontakt zur Familie für immer ab. Sis und Sista lernten – /
ASCHENPUTTEL Tauben! Umarmt sie. Du bist doch kein schizophrener Vogel aus der Psychiatrie! Denn sonst wärst du sterblich.
TAUBE & TAUBE Ach, diese missgünstigen Zuschreibungen immer! Nun, ich habe Pflichten, die mir ihm Jenseits keine Ruhe lassen. Nun höret: Aschenputtel, entsetzt über den brutalen Mord an Taube & Taube, brach den Kontakt zur Familie für immer ab. Sis und Sista lernten die Zwillinge Fred und Ted kennen, Millionärserben alter Schule, und führten fürderhin ein Jet-Set-Leben zwischen Nizza, Monaco und Abu Dhabi. Sie kauften Mom /
MOM Und Dad /
TAUBE & TAUBE / und Dad eine Villa mit Swimmingpool in Südfrankreich. Aschenputtel und Prinz wurden ein glückliches Akademikerpaar. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie /
Mom schubst Taube & Taube weg.
MOM Aschenputtel, entsetzt über den brutalen Mord an Taube & Taube, brach den Kontakt zur ­Familie für immer ab. So sehr sich Sis und Sista auch bemühten, sie konnten keinen goldenen Schwanz an sich binden. So vegetierten sie weiter in ihrer ärmlichen Behausung vor sich hin und wurden von Tag zu Tag verbitterter. Schließlich ­waren sie so verzweifelt, dass sie die Bewahrung ihrer Jungfräulichkeit aufgaben und ihr erotisches Kapital zu güstigem Tarife feilboten, wovon sie Mom zumindest einen /
SIS Und Dad!
MOM / wovon sie zumindest Mom und Dad einen neuen TV-Apparat und ab und zu ein Wellness-Wochenende finanzieren konnten. Aschenputtel und Prinz wurden arbeitslose Akademiker. Frustriert von ihrer misslichen Lebenssituation stritten sie immer häufiger um Geld, bis Aschenputtel eine Affäre mit einem goldenen Schwanz anfing und Prinz schließlich für ihn verließ. Und wenn sie nicht /
ASCHENPUTTEL Taube & Taube wurde gar nicht ermordet! Taube & Taube guckt ungläubig auf ihr ­verklebtes Gefieder. Sie wurden freigelassen, weil für die anderen ihr Tod ja eh keinen Sinn mehr ergab. Aschenputtel und Prinz wurden ein glückliches Liebespaar. Mom befahl Sis und Sista, sofort nach einem neuen goldenen Schwanz zu googeln /
MOM Aber dieses Mal bitte einen old school Millio­när! Altes Geld! Österreichischer Adel oder so was!
ASCHENPUTTEL / aber durch den Feminismus-Crashkurs von Taube & Taube waren sie mit Autonomie infiziert und wollten lieber auf eigenen ­Füßen stehen. Alle machten Online-Uni-Abschlüsse in Mathematik, Quantenmechanik und Neurobiologie und lernten dazu noch bohren, dübeln und schreinern. Sis wurde UN-Botschafterin und Sista Außenministerin. Beide lernten auf einem Charity-Event nette Männer auf Augenhöhe kennen. Sie kauften Mom – und Dad – eine Villa mit Swimmingpool, wo sie Sartre, Marx und Chomsky lasen. Aschenputtel wurde NATO-Generalsekre­tärin und es gelang ihr in ihrer Amtsperiode, den Weltfrieden durchzusetzen. Prinz wurde glück­licher Hausmann und beschäftigte sich mit der Erziehung ihrer vier Kinder. Und wenn sie nicht /
Sis schubst Aschenputtel weg.
SIS Trotz ihrer glänzenden Abschlüsse konnten Sis und Sista keinen Job an der Uni bekommen, also mussten sie notgedrungen in die freie Wirtschaft. Was ihnen zwar viel Kohle, aber wenig Erfüllung brachte. Sie fühlten sich fremdbestimmt, überarbeitet und ethisch verkommen und Abends fielen sie todmüde ins Bett. Ihre Versuche, via ­online-Dating Männer kennenzulernen, scheiterte an der Angst der Männer vor Karrierefrauen. So wurden sie alte, verfettete Catladys. Aschenputtel und Prinz fanden heraus, dass sie trotz ihrer emotionalen und intellektuellen Wellenlänge sexuell nicht harmonierten. Prinz gestand Aschenputtel, dass er sich zu billigen Schlampen hingezogen fühlte und dass sein gesamten Ersparnisse damals für seine starke Porno- beziehungsweise Hurensucht draufgegangen waren. Und wenn sie nicht gestorben /
ASCHENPUTTEL Prinz gestand Aschenputtel, dass er seine gesamten Ersparnisse damals einem Brunnenbau-Projekt in Ruanda gespendet /
MOM Prinz gestand Aschenputtel, dass er seine gesamten Ersparnisse gar nicht verjubelt, sondern im Dschungel von Borneo unter einem Affenbrotbaum vergraben hatte. Dort flogen sie nun hin, gruben den Schatz aus und kauften /
PRINZ Und Prinz drehte einen großartigen Indiefilm, gewann einen goldenen Löwen und drehte danach eine herzerwärmende Dokumentation über Dads Leben /
MOM Nein, über Moms Leben! Über Moms harten Kampf um Anerkennung /
SIS Nein, über die Thausendbeautys und ihr tragisches Geburtsschicksal /
SISTA Nein, über die Thausendbeautys und ihren Charme und ihre Schönheit, ihren Witz und ihre Weltklugheit /
DAD räuspert sich. so war es nicht – Es war /
SIS Und Taube & Taube wurden dann doch noch von einem Delikatessenhändler erwischt /
ASCHENPUTTEL Wie denn, Dad?
DAD Es war /
SIS Und landeten gebraten auf den Tellern eines jungen Hochzeitspaars.
Dad hat aufgegeben und trollt sich wieder in den Hintergrund.
TAUBE & TAUBE Und Sis und Sistas Füße waren vom vielen Hohe-Schuhe-Tragen ganz verformt /
ASCHENPUTTEL Sis linker Fuß, Sistas rechter Fuß /
TAUBE & TAUBE Deshalb mussten sie am Knochen operiert werden. Und die OP ging schief, so dass sie nur noch auf Krücken laufen konnten. Und so trugen sie fürderhin nur noch Sneakers. Das war ihr Ende. Sie wurden depressive Alkoho­likerinnen, denn ohne schöne Schuhe machte das Leben für sie keinen Sinn mehr.
PRINZ Aber Prinz, Prinz entwarf eine Post-Glamrock-Plateauschuh-Kollektion /
ASCHENPUTTEL Oh no, no no no! Aber es begab sich, dass Dad sich in eine andere verliebte.
MOM What?
ASCHENPUTTEL Denn jetzt, wo er betucht war, da seine Töchter ihn reich mit Geld, Gold und Immobilien beschenkt hatten, war sein Marktwert enorm gestiegen. Ja, man kann fast sagen, dass Dad nun zur Kategorie goldener Schwanz gehörte. Und so verließ er Mom, die alte Schrulle, und kam mit einem zwanzigjährigen Yogalehrerin zusammen, der er ein Beach House mit Studio in Kalifornien schenkte.
MOM Männer! So berechenbar!
DAD Aber nein, so etwas würde ich nie /
MOM Aber Mom traf ihren Ex wieder, der inzwischen geläutert ward und ihr gestand, dass er trotz aller anderen Girls /
SIS/ SISTA/ MOM Immer nur sie geliebt habe.
ASCHENPUTTEL Aber ach, in welchem Zustand war er, der einstmals schönste Junge der ganzen Highschool! Zahnverlust vom Speed, oben eine Platte und am Hinterkopf hing ein trauriger, fettiger, ergrauter Zopf, als kleine Referenz an die ­ehemalige, längst verfadete Wildheit. Das ver­waschene Iron Maiden-T-Shirt spannte über dem Trommelbauch, aber /
MOM Nein, nein, nein! So war‘s nicht gewesen!
SISTA Aschenputtel und Prinz studierten Kulturwissenschaften und wurden berühmte Medien­kritiker. Aber ach, Aschenputtel war viel erfolg­reicher als Prinz, was Prinz, auch wenn er es nicht zugeben mochte, zusehends belastete.
SIS Sie bekamen ein Kind und Prinz wurde unglücklicher Hausmann. Zum Schein lobten alle sein gutes Beispiel, aber hinter seinem Rücken lachten sie über ihn und bedauerten ihn.
SISTA Sie sagten, faul sei er, fachlich nicht gut genug, mache es sich bequem, lasse seine Frau für sich arbeiten, ein Loser sei er, ein Schlappschwanz /
SIS So sehr sich Aschenputtel auch bemühte, ­diese höhnischen Reden vor ihm zu verbergen, er bekam sie doch zu Ohren, was ihn dermaßen frustrierte, dass er /
PRINZ Und Sis starb einen grausamen Tod bei ­einem fürchterlichen Unfall, als sie versuchte, die Autobahn zu /
ASCHENPUTTEL Und Sista fiel besoffen vom ­Balkon /
PRINZ Nein, Sis und Sista wurden beide, weil sie so dumm waren, in voller Fahrt aus dem Fenster der Schnellbahn zu schauen, von schweren Eisenpfeilern geköpft.
ASCHENPUTTEL Und niemand besuchte je ihr Grab.
DAD Ich würde niemals nicht das Grab /
PRINZ Das Grab, in dem die beiden Körper lagen und verwesten, ohne Köpfe, denn die Köpfe waren nie gefunden worden. SIS Dad wurde dement. Und Mom pflegte ihn aufopferungsvoll.
MOM Dad wurde dement und Mom fand einen Platz in einem schönen Pflegeheim für ihn /
SISTA Mom wurde dement und Dad pflegte sie mehr schlecht als recht /
DAD Das würde ich nie /
ASCHENPUTTEL Mom und Dad wurden beide dement und verarmten in einem Rattenloch, was ihnen aber nichts ausmachte, denn in ihrer ­Demenz hielten sie ihre Siffbude für ein Königsschloss, ihre stinkenden Polyesterfetzen von der Armenhilfe für Seidengewänder und die Flasche Goldkrone für edelsten Hennessy. Und wenn sie nicht gestorben /

Fade out

© 2020 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH, Berlin

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