Am Ende einer breiten Straße liegt in der Abendsonne das Gebäude des ehemaligen Königlich-Preußischen Schwurgerichts Naumburg. Der repräsentative Backsteinbau wirdzum Teil durch eine Gefängnismauer verdeckt, mit Wachturm und Stacheldraht. 2012 stellte die Justizvollzugsanstalt Naumburgihren Betrieb ein, seitdem steht die Anlage leer. Man betritt das Foyer. Auf dem Absatz der Treppe sitzen auf einer Bank drei Personen, links ein junger Mann, rechts zwei Frauen, eine ältere und eine jüngere, vielleicht Mutter und Tochter. Über ihnen prangt ein monumentales Gemälde, „Der Tod Abels“ des zur Düsseldorfer Malerschule zählenden Eduard Bendemann. Der erschlagene Abel liegt am Boden, die Trauerenden nähern sich von links, während Kain die Szene nach rechts verlässt, verstoßen wird von Gott, der mit dem Gesetz in der Hand über den Fall zu Gericht sitzt. Der Erzengel Michael wacht mit dem Schwert über das Urteil – die Justiz als göttliche Gewalt, das war das Selbstverständnis der preußischen Gerichtsbarkeit und bis heute verbindet Religion und Justiz möglicherweise noch mehr als der obligatorische Talar.
Der Saal ist hell, in Form einer Apsis, in der Mitte eine Tür nach hinten. Rechts und links rahmen jeweils eine geschwungene hölzerne Bank die Szene und fügen sich in den Raum, als wären sie schon immer dort gewesen....