Ach, darüber habe er schon so oft geredet. Viel zu oft? Es ist buchstäblich die Urzelle seines Lebens, aber die Gefahr besteht, dass sie im Anekdotischen versandet. Wenn man die Dinge zu lange auf eine bestimmte Weise anderen erzählt, dann vergisst man irgendwann, was sie wirklich für einen waren. Und das will er keineswegs, dafür ist es zu wichtig. Das Wort Unterhaltung beargwöhnt Edgar Selge – mehr, als man bei einem Schauspieler vermutet. Man könnte ihn sich, mit diesem Anflug von Askese in seinem Gesicht, gut als Eremit in tiefem Schweigen versunken in seiner Klause vorstellen – bis es dann zum nächsten Auftritt geht und alles Zurückgestaute herausbricht.
Edgar Selge rührt ausdauernd in seinem Kräutertee, und weil durch die Theaterbuchhandlung Einar & Bert in Berlin-Prenzlauer Berg, in der wir an einem Tisch beim Fenster sitzen, ein leiser Luftzug weht, hat er sich auch schnell wieder seine Mütze aufgesetzt. Er besitzt die empfindlichen Nerven von Auftrittskünstlern, die sich ein schmerzendes Kreuz oder eine belegte Stimme eigentlich nicht leisten können. Wer wie Selge siebzig Jahre alt geworden ist und auf der Bühne nicht nur Worte, sondern auch seinen Körper über die Grenze dessen treibt, was man allgemein für zuträglich hält, was muss...