Um 1800
von Ulrike Haß
Erschienen in: Kraftfeld Chor – Aischylos Sophokles Kleist Beckett Jelinek (01/2021)
Assoziationen: Theatergeschichte
Mit Kleist geht es um die Schwelle 1800. Das ist ein gewaltiger Zeitsprung. Aber das fünfte vorchristliche Jahrhundert und die Moderne sind auch miteinander verklammert. Was sich in den griechischen Poleis begründete und durch mehrere Epochen- und Weltwechsel hindurch zur Traditionslinie europäischer Souveränität verdichtete, erscheint nun als zu Ende gegangene Epoche der Könige. Die Fragen der Zusammengehörigkeit von Gattungswesen reißen mit aller Wucht auf. Die besondere Lücke, die der Teufel lässt, klafft um 1800 in der patriarchal, römisch-christlich konnotierten Achse einer Genealogie, die sich vom Vater auf den Sohn zählen wollte. Doch anders als ihr Dogma behauptet, führt diese Achse zu keinen Abfolgen. Das römische Prinzip der Filiation scheint von Grund auf gestört. Väter, Fürsten und Könige entfallen um 1800 nicht einfach, aber sie fallen ab. Sie lassen nach und verstricken sich dabei in verheerende oder martialische Abwehrkämpfe. Im Moment ihrer Erschöpfung und damit einhergehender äußerster Verwahrlosung der Jüngeren (Söhne) entwirft Kleist sein größeres Theater, das vom Chor ausgeht. Hier hat ein unbestimmtes Volk jeglichen Alters und Geschlechts seinen Auftritt. Es erinnert und zitiert die Orchestra aus der antiken Konstellation und spielt auf ihrem Grund. Ich zeichne Kleists größeres Theater am Beispiel des Guiskard-Fragments nach und folge den...