Theater der Zeit

Gespräch

Langfassung des Gesprächs mit Neil LaBute

von Elke Frings und Neil LaBute

Erschienen in: Theater der Zeit: Blackfacing (10/2014)

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Herr LaBute, Ihre Stücke betrachten häufig das Menschliche. Ist es einfacher, politische Themen in dieser Verkleidung zu verkaufen?

Mein politisches Schlachtfeld sind immer die Leute. Es geht um sexuelle, persönliche Politik. Einzig auf diesen Gebieten werden Sie mich als politischen Autor erkennen. Wenn man europäischen Dramatikern begegnet, dann scheinen sie einen globaleren Sinn ihrer Arbeit zu besitzen. Diese Autoren spüren eine Verantwortung, besitzen sogar ein Schuldbewusstsein, wenn sie nicht in diesem größeren Kontext schreiben. Diese Gefühle habe ich nicht. Sehr selten schreibe ich vor dem Hintergrund dessen, was in unserem Land gerade passiert. Ich verstehe mich eher als eine Art Miniaturist. Was mich interessiert, ist die Dynamik zwischen Individuen. Und das weit mehr als das große Ganze, politische Parteien, Nationen.

Sie haben formuliert: „Psychologie fasziniert mich. Das ist alles, womit ich mich als Schriftsteller beschäftige. Ich verstehe mich als Psychologe der Leute.“ Ist das noch zutreffend?

Ja. Wir sind alle Amateurpsychologen. Allerdings habe ich psychologische Profile zu entwickeln, die sehr genau sind. Um Figuren zu erschaffen, denen Zuschauer Glauben schenken können, muss ich wissen, wie Menschen normalerweise handeln und wie Menschen handeln, die vom Normalen abweichen.

Überantworten Sie Ihre Figuren nicht dem Publikum, um dieses Publikum dann zu überraschen?

Manchmal. Das ist Teil des Geschichtenerzählens. Was mich interessiert, ist der interessanteste Moment im fiktionalen Leben meiner Figuren: der lustigste, traurigste, verwundbarste. Genau diesen möchte ich meinem Publikum präsentieren. Wenn sie ihrem eigenen Leben für die Länge des Theaterabends entfliehen, dann wollen sie im Spiel das Leben anderer Personen beobachten. Das schlechteste Feedback meines Publikums wäre für mich der Satz: „Das habe ich schon einmal gehört!“ Ich denke mir mein Verhältnis zum Publikum in der Form eines Vertrages: Dafür, dass ich ihm Geld und Zeit nehme, biete ich ihm eine Geschichte, die es noch nie gehört hat. Mein Job ist es, sie zu unterhalten. Sie kommen zu meinem Lagerfeuer, um meine Geschichte zu hören. Deshalb muss meine Geschichte gut sein. Ansonsten werden sie woanders hingehen. Allerdings suche ich immer nach Wegen, den Sicherheitsvorhang vom Publikum zu entfernen. Die Zuschauer kommen in mein Haus, deshalb kann ich mit ihnen machen, was ich will. Bis zu einem gewissen Punkt, denn ich bin nicht daran interessiert, dass sie gehen. Denn das würde die Verbindung zu ihnen zerstören. Aber wenn ich Zuschauer dazu bringen kann, dass sie denken: Verdammt, warum habe ich diese Eintrittskarten gekauft, an was für einem seltsamen Ort befinde ich mich?, dann habe ich etwas erreicht.

In unserer Gesellschaft des permanenten Infotainments, wo sich alle wie Ameisensoldaten durch die Informationen und Unterhaltungen durchbeißen, ist es schwer, Zuschauer langfristig zu erreichen. –Hat die Frau in dem Stück letzte Woche wirklich gesagt, dass sie bei der Vergewaltigung seltsamerweise Vergnügen empfunden hat? – Wenn das passiert, hat man etwas geschafft, das den meisten Unterhaltungswerken versagt bleibt. Das muss nicht auf diese provokante Weise geschehen. Manchmal klappt es auch, wenn sich ein Zuschauer an eine Figur erinnert, weil sie in einem Stück so lustig war. Für mich ist das Gelingen von Stücken sehr einfach zu beschreiben: wenn Zuschauer über dein Werk eine gewisse Zeit nachdenken oder, noch einfacher, wenn sie dein nächstes Stück sehen wollen.

Sie zeigen die Menschen als moralisch gefährdet. Sind wir alle moralische Opportunisten?

Wir sind dazu fähig, ja. Wenn wir einen Soziopathen, einen Narzissten, einen Feigling oder einen Romantiker sehen, dann erkennen wir sie als Menschen. Sie sind keine Monster. Es geht darum, dass Zuschauer sich für ein paar Minuten selbst verlieren und über Gutes, Schlechtes und über Sünde nachdenken. Ich spreche über sehr alte Themen oder gehe zurück bis zu den Griechen, die ich sehr faszinierend finde – die Art und Weise, wie diese Familiendramen Handlung ausspielen. Das aktualisiere ich und setze es in die heutige Zeit. Ich habe einen Ödipus geschrieben und eine Iphigenie. Wenn ich es gut mache, dann können sie auch eine andere Generation von Zuschauern begeistern.

In welcher dramatischen Tradition sehen Sie sich?

Ich mag die Griechen. Tatsächlich sehe ich mich in einer recht realistischen Bühnentradition. Ich fühle mich weiterhin stark der Handlung sowie überzeugend konstruierten Charakteren verpflichtet. Ich liebe das theatralische Etwas und würde keineswegs sagen, dass ich in irgendeiner Art in der Tradition des absurden oder des postdramatischen Theaters schreibe. Mehr als alles andere fühle ich mich dem Klassischen verbunden. Nicht notwendigerweise bezüglich der Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Aber bestimmt die Hälfte meiner Stücke verlaufen in Echtzeit. Als Schreibender mag ich diese Art der tickenden Zeitbombe – den Schnellkochtopf. Die 90 Minuten, die ich im Theater verbringe, sind die 90 Minuten dieser Leben, die ich verfolge.

An was arbeiten Sie gerade?

An einem Stück, das im Oktober in New York uraufgeführt wird: „The Money Shot“, meine erste „Komödie“. Hoffentlich ist sie lustig. (lacht) Es ist das erste Mal, dass ich meine Erfahrungen mit Film und Theater kombiniere. Es spielt in Hollywood. Normalerweise habe ich über Leute geschrieben, die aus der Unter- oder Mittelschicht kommen, oder Familien, aber nicht über meine Erfahrungen. Das sind auch nicht meine eigenen Erfahrungen, aber ich habe miteinfließen lassen, was ich über Autoren und Schauspieler weiß.

Dann habe ich noch ein anderes, neues Stück, genannt „The way we get by“. Zwei Figuren, ein Mann und eine Frau, die sich bei einer Hochzeit kennenlernen und am Morgen danach fragen, ob sie die Nacht verschweigen sollen oder nicht. Das Problem dabei ist, dass sie Stiefgeschwister sind. Sie sind zusammen aufgewachsen und haben sich jetzt wieder getroffen, als die Eltern ihr Eheversprechen erneuert haben. Sie trinken zu viel, schlafen miteinander und wissen nun nicht, ob sie zusammen bleiben können, obwohl sie den anderen mögen, aber jeder sie dafür hassen würde.

Wie beurteilen Sie das gegenwärtige amerikanische Theater?

Herb. So, wie das amerikanische Theater mich beurteilt (lacht). Einerseits schließen manche Theater, andererseits entstehen wieder neue. Ich bin niemand, der oft am Broadway gearbeitet hat. Ich finde am Broadway so mühsam, dass er so sehr auf einem Starkult basiert. Da kann man gleich einen Film drehen. Meistens bedeutet Theater für mich eine Flucht vor dem Film. Am Broadway geht es darum, jeden Abend die 1000 Plätze zu füllen. Die Verkaufszahlen sind gut, der Eintritt jedoch teuer. 200 Dollar für eine Karte ist zu viel. Aber es funktioniert. Alles dreht sich da um Wirtschaftlichkeit, an der ich nicht interessiert bin.

Was die regionalen Theater betrifft und die Autoren, die neue Stücke schreiben, finde ich die Lage relativ gesund. Es ist immer schwierig für einen Autor, einen Ort zu finden, wo seine Stücke gespielt werden. Heutzutage gibt es mehr Möglichkeiten als vor 50 Jahren. Da gab es nur Broadway. Heute gibt es Humana-Festivals oder Festivals für Einakter und mehr Möglichkeiten der Veröffentlichung. Meiner Ansicht nach ist es gleichgültig, wo man auf der Bühne steht: Wenn man ein Publikum hat, das sich extra versammelt, um das eigene Stück zu sehen, dann kann man glücklich sein.

Die Fragen stellte Elke Frings

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