Theater der Zeit

Protagonisten

Die kühle Braut

Wie Birgit Minichmayr einem immer entwischt, wenn man glaubt, sie zu kennen. Ein Porträt

von Christoph Leibold

Erschienen in: Theater der Zeit: Birgit Minichmayr – Ich bin es und bin es nicht (01/2013)

Assoziationen: Akteure

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Sieh dir an, wie hübsch und reizend sie ist“, sagt der frisch gebackene Ehemann Jørgen Tesman über seine neue Frau. Was so ziemlich das Letzte ist, was einem halbwegs klarsichtigen Beobachter zu Hedda Tesman, geborene Gabler, einfiele. Mit dem Allerweltswort hübsch, in dem das Nette, Adrette anklingt, hat deren stolze Schönheit ungefähr so viel gemein wie ihr Lebensideal mit der Rolle vom Heimchen am Herd, die ihr die Konvention des späten 19. Jahrhunderts zugedacht hat. Und reizend ist allenfalls in einem ganz anderen Sinne zutreffend, als Tesman es je wahrhaben wollte: Die Kühle dieser Hedda hat etwas schwer Aufreizendes. Die Arme vor dem leicht zurückgelehnten Oberkörper verschränkt, den Kopf zur Seite gedreht, ist sie von einer eisigen Unnahbarkeit, die alle um sie herum in einen Zustand hilfloser Hibbeligkeit versetzt. Auch Gatte Jørgen macht da keine Ausnahme. Das permanente „wie?“, das er zwanghaft an gefühlt jeden zweiten Satz anhängt, versieht er mit einem so dicken Fragezeichen, dass es etwas Flehentliches hat, wie er um die Zustimmung seiner Frau heischt. Doch Hedda versagt sie ihm komplett.

Sie, die sich nach ungestümem Vorleben „müde getanzt“ hat, ist eine Versorgungsehe eingegangen. Mit Liebe hat das nichts zu tun. Birgit Minichmayr spuckt das Wort verächtlich aus wie ekelerregend bittere Medizin. Auf die heilende Wirkung romantischer Gefühle, die sich irgendwann einstellen könnten, braucht bei ihr keiner zu hoffen. Und doch ändert das alles nichts daran, dass die starke Hedda am Ende ihrem schwachen Ehemann unterliegen wird. Die Kugel, die sie sich schließlich in den Kopf jagt, ist auch für diese Hedda der einzige Ausweg aus dem Ehegefängnis. Martin Kušej, Intendant des Münchner Residenztheaters, hat ihr in seiner Inszenierung kein anderes Ende geschenkt, als Henrik Ibsen es in seinem 1891 (übrigens gleichfalls in München) uraufgeführten Drama vorgesehen hat. Überhaupt hält sich der Regisseur eng an die Vorlage, verlegt „Hedda Gabler“ nicht, wie etwa Thomas Ostermeier das einst erfolgreich getan hat, in die Gegenwart. Gespielt wird in München in historischen Kostümen.

„Ich habe kein Problem damit, die Sachen da zu lassen, wo sie herkommen. Wo auch wir herkommen“, sagt Birgit Minichmayr dazu drei Tage nach der Premiere am Nachmittag vor der dritten „Hedda“-Vorstellung. Obwohl es erst Oktober ist, hat München bereits den ersten Vorgeschmack auf den Winter hinter sich. Auf dem dämmerigen Max-Joseph-Platz, den man durch die Glasfassade der Theaterbar „Zur schönen Aussicht“ im Blick hat, liegen noch die Schneereste vom Wochenende. Birgit Minichmayr sitzt mit dickem schwarzen Schal an einem der Tische. Eine reine Vorsichtsmaßnahme wahrscheinlich, ihre Stimme klingt nicht rauer als sonst. Die Arme hat sie verschränkt. Etwas von der kühlen Unnahbarkeit ihrer Hedda strahlt auch Minichmayr in diesem Moment aus. Und es dauert eine ganze Weile, ehe sie auftaut. Das hat vermutlich weniger mit professioneller Distanz zu tun als mit Selbstschutz.

Obwohl sie derzeit wieder viele Interviews geben muss, weil sie auf der Bühne wie im Film gleichermaßen präsent ist, spult sie keine routinierten Standardfloskeln ab, sondern macht lange Pausen beim Antworten auf Fragen. Die längste dauert handgestoppte 24 Sekunden und fühlt sich doppelt so lange an. Minichmayrs Blick ist dann ins Ungefähre gerichtet, die unter den tiefen Lidern ohnehin schmalen Augen verengen sich noch etwas weiter. Es ist, als wöge sie ihre Worte genau ab, um möglichst präzise, unmissverständliche Antworten zu geben. Wohl auch, um mit dem Bild, das sich alle (Theater-)Welt von ihr gemacht hat, aufzuräumen, so wie man ein Missverständnis ausräumt. Es ist das Klischee von der Künstlerin, die sich mit derselben Verve, mit der sie sich in ihre Rollen wirft, auch ins Nachtleben stürzt. In Wien, wo sie an der Burg engagiert war, ehe sie mit Martin Kušej nach München wechselte, erzählt man sich wilde Partygeschichten von ihr. Und sie selbst bekannte einmal, dass sie gern klassischen Gesang studiert hätte, doch mit 17 seien ihr die Zigaretten dazwischengekommen.

Aus alldem lässt sich natürlich ein öffentliches Image basteln, wie es Publikum und Presse gleichermaßen bei Schauspielern lieben. Mit der Birgit Minichmayr, die beim Interview so maßvoll spricht und so gar keinen maßlosen Eindruck macht, hat das erst mal wenig zu tun. So wie ihr allseits gefeierter „Weibsteufel“ von Karl Schönherr – dieses lodernde Luder, an dem sich gleich zwei Männer verbrennen – kaum Verwandtschaft mit der frostigen Hedda Gabler aufweist. Ibsens Titelheldin empfinde sie als „monströse Rolle“, die schwer greifbar sei, erklärt Birgit Minichmayr. Hohe Konzentration verlange ihr das ab. Harte Arbeit.

Ich bin es und bin es nicht

Nicht wenige Medien stilisieren sie dennoch gern zur Diva. Und dichten ihr entsprechende Kapriolen an. Dass sie als Einzige während der Proben das Handy anlassen dürfe, sei ihr Lieblingsgerücht über sich, hat sie unlängst in einem anderen Interview zu Protokoll gegeben. Und wie zum Beweis, dass all die Zuschreibungen von Allüren und Unnahbarkeit nichts mit ihr zu tun haben, legt Birgit Minichmayr langsam ihre Zurückhaltung ab, die Pausen in den Antworten werden kürzer, das Lachen häufiger, dieses – man kann das nicht anders sagen – leicht schmutzige Minichmayr-Lachen, das dann doch wieder verteufelt weibsteuflisch klingt. „Natürlich ist es so, dass man in meinem Beruf nur sich selbst als Material hat“, sagt Birgit Minichmayr dazu und fügt einen Satz von Klaus Maria Brandauer an, der einer ihrer frühen Förderer war: „Ich komme mit meinem Leben auf die Bühne und nehme mein Leben von dort auch wieder mit.“ Oder mit ihren eigenen Worten: „Ich bin es und bin es nicht“ – dieses Wesen auf der Bühne.

Ein Paradox, das manche nicht verstehen wollen. Weil es bequemer ist, von einer Rolle Rückschlüsse auf die Person dahinter zu ziehen. Birgit Minichmayr will sich darüber nicht mehr aufregen. Sie habe einen öffentlichen Beruf gewählt, „da ist das eben so, wie es ist“. Privates aber gibt sie dennoch so wenig preis wie möglich. Lieber redet sie über ihre Arbeit und nutzt das Interesse an ihrer Person, um Aufmerksamkeit auf ihren jüngsten Film zu lenken, der nicht im Mainstream mitschwimmt und gerade darum Gefahr lief, darin unterzugehen. In Matthias Glasners „Gnade“ spielt Birgit Minichmayr zusammen mit Jürgen Vogel ein deutsches Paar, das ins norwegische Hammerfest auswandert, um ausgerechnet in der nördlichsten Stadt Europas seine erkaltete Liebe wieder zu befeuern. Der Plan scheint nicht aufzugehen, bis Maria – so heißt die Krankenschwester, die Minichmayr in Glasners berührendem Filmdrama spielt – auf dem Heimweg vom Krankenhaus ein junges Mädchen überfährt. Und Fahrerflucht begeht. Ihr Vergehen bleibt unentdeckt, und das dunkle Geheimnis, das Maria nur mit ihrem Mann teilt, führt das Paar wieder näher zusammen. Gleichzeitig setzt ein qualvoller Prozess ein, an dessen Ende sich Maria erst selbst ihre Schuld zu verzeihen lernt, ehe sie den Eltern des toten Mädchens ihre Tat gesteht, um schließlich auch von diesen die Gnade der Vergebung zu erfahren.

Wenn Birgit Minichmayr über ihre „Maria voll der Gnaden“ erzählt, wird sie doch persönlich. Erzählt von ihrer Kindheit in einer Klosterschule und davon, wie sie mit steil gefalteten Händen im Schulgottesdienst saß, damit alle sehen konnten, wie fromm sie war. Später kam der Bruch. Ein Wort wie „Gnade“ aber hat für sie bis heute seine stark religiöse Bedeutung behalten. Ob etwas von dieser Grunderfahrung in der Rolle auf der Leinwand sichtbar wird, ist schwer zu sagen. Immerhin so viel ist sicher: „Gnade“ arbeitet sich nicht an der Schuldfrage im strafrechtlichen Sinne ab. Maria kämpft um nichts weniger als ihren Seelenfrieden, und Birgit Minichmayr zeigt dabei sämtliche Verzweiflungszustände einer Frau, deren Selbst- und Weltbild in den Grundfesten erschüttert ist. „Ich bin nicht diese Frau!“, lautet Marias zentraler Satz. Womit sie recht hat und doch nicht. Sie bleibt die engagierte Krankenschwester, die sich aufopferungsvoll um ihre Patienten kümmert, hat zugleich aber ein unschuldiges Unfallopfer auf dem Gewissen.

Unfassbar – und deshalb unfassbar gut

Ein bisschen ist das wie bei Birgit Minichmayr selbst: Sie ist nicht eins mit ihren Rollen und entdeckt doch eigene Abgründe in jeder Figur. Eben: „Ich bin es und bin es nicht.“ Nur dass Minichmayr, anders als Maria, nicht zerrissen wird von diesem Widerspruch, sondern ihn produktiv macht. So ist jede ihrer Rollen geprägt von einem unverwechselbaren Kern, einem eigenen Minichmayr- Sound (zu dem ihre raue Stimme nicht unwesentlich beiträgt – die Zigaretten seit dem 17. Lebensjahr waren also vielleicht doch zu etwas gut), einem unveränderbaren Selbst, bei gleichzeitig maximaler Wandlungsfähigkeit. Eine Kombination aus stabilem Ich und Durchlässigkeit für das andere, die es ihr auch leicht macht, sich auf unterschiedliche Regiestile einzulassen. Eine „Handschriftensammlerin“ nennt sie sich daher selbst. Und besticht als aufgekratzte Oktoberfestbraut in Frank Castorfs wild wuchernder, leider nur halb gelungener Münchner Horváth-Inszenierung „Kasimir und Karoline“ ebenso wie nun als Ibsens Hedda Gabler in der Regie von Martin Kušej, der sich immer stärker für psychologische Zusammenhänge interessiert. Den Zuschauern bescherte das eine Birgit Minichmayr, die sie so (zumindest auf der Bühne) noch nicht gesehen hatten. Oder nicht sehen wollten, weil sie ein anderes Bild von ihr im Kopf trugen. In „Hedda Gabler“ ist ihr Spiel alles andere als exzessiv. Es ist von einer beinahe schon ökonomisch zu nennenden Genauigkeit und zwingenden Klarheit, die alle überrascht haben dürfte, die meinten, Birgit Minichmayr zur Genüge zu kennen.

Am Ende des Gesprächs, der Max-Joseph-Platz hinter der Glasfassade liegt nun schon im Dunkeln, zieht Birgit Minichmayr ihren schwarzen Schal wieder etwas fester um den Hals und sagt den schönen Satz: „Dass sie einen greifen wollen, das ist halt so. Ich hoffe nur, dass sie mich nie erwischen, so ganz.“ Sie zu fassen und auf ein Bild festzulegen, das kann auch keiner ernsthaft wollen: Birgit Minichmayr ist unfassbar. Und deshalb auch so unfassbar gut. //

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