Ambivalente Haltungen zur Welt
Affirmation und Entfremdung
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Die antinaturalistische Bewegung verhielt sich höchst ambivalent zu dem historischen Kontext, in dem und aus dem sie erwuchs – direkt affirmativ, in bewusst kräftiger Bejahung bestehender Verhältnisse (Georg Fuchs), in gewissem Sinne „neutral“ mit Reinhardt als dem großen Kunstrepräsentanten ihrer bürgerlichen und intellektuellen Elite, aber auch mit tiefem Unbehagen, gleichsam in notvoller Flucht vor der Entfremdung in den soziokulturellen Realitäten (Craig, Hofmannstahl) und im Ansatz kritisch gegenüber ihrer spezifischen soziopolitischen Verfasstheit (Meyerhold).
Fuchs’ Entwurf gab sich als das theaterkünstlerische Programm der sozialen Oberschichten der modernen antagonistischen Gesellschaftsverhältnisse. Die Vorrede zu seinem Buch über das im Sinne seines Konzepts arbeitende Münchner Künstlertheater (1908/9) nennt nicht zufällig „diejenigen Unternehmer, die geschäftlich am besten abschnitten“ auch als diejenigen, die mit den neuen Kunstrichtungen arbeiteten. Theater müsse Kulturmacht werden bzw. sei es, wenn es als Kunst „eine irgendwie rhythmisch geordnete Befriedigung jener orgiastischen Begierde nach Lebenssteigerung“ sei.303 Sein Theater solle keine Abkehr, sondern eben Steigerung dieses jetzigen Lebens, der zeitgenössischen Welt sein. Die Reliefbühne des Münchner Künstlertheaters sei ohne großen technischen Aufwand, ohne illusionistisch-verzierende, überflüssig ornamentale Besetzung im Gegensatz zu gängigen Theaterhäusern. Die heutige Kultur wäre getragen von „der bildenden und angewandten Kunst, von Hygiene und Technik“, und das interessiere „die Oberschicht aller...