Die Krise des organischen Intellektuellen
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Das Gespenst des Populismus – Ein Essay zur politischen Dramaturgie (01/2017)
Dem organischen Intellektuellen wird von Antonio Gramsci eine wichtige Funktion im Klassenkampf zugeschrieben. Er beobachtete schon in den 1920er Jahren, dass der Klassenkampf nicht mehr nur direkt zwischen Arbeitern und Kapitalisten ausgetragen wird, sondern sich in den Bereich der symbolischen Ordnung verlagert hat. Die öffentliche Meinung wird durch Informationen, Narrationen und Theorien dahingehend geformt, dass sie die kapitalistische Ökonomie als einzig vernünftige Ordnung für egoistische und faule Menschen anerkennt. Dadurch rückt die systemische Ungleichheit aus dem Fokus der politischen Debatte, da sie durch individuelle Qualifikationen begründet scheint. Wer reicher ist, ist wohl gebildeter, ehrgeiziger und fleißiger als die anderen. Sein Reichtum ist nicht die Folge von Erbschaft oder ungleichen Machtverhältnissen zwischen Kapital und Arbeit, sondern ein subjektiver Verdienst.
Gramscis zutreffende Folgerung besteht darin, dass eine andere Ökonomie erst dann möglich ist, wenn die Ideologie des Kapitalismus ihre hegemoniale Stellung im öffentlichen Sprechen verloren hat. Die organischen Intellektuellen sollen im Kampf um die Meinungsherrschaft eine zentrale Rolle im „Stellungskrieg“ übernehmen. Es handelt sich seiner Meinung nach eben nicht um einen Angriffskrieg, den die Sozialisten gegen das Kapital führen können, sondern um ein zähes Ringen zwischen gegensätzlichen Welterklärungen.
In der Gegenwart ist ein solcher Stellungskrieg unvorstellbar geworden, da im Nebel der Postmoderne...