Ästhetik der Abwesenheit
Wie alles angefangen hat
von Heiner Goebbels
Erschienen in: Recherchen 96: Ästhetik der Abwesenheit – Texte zum Theater (08/2012)
Am ehesten lässt sich wohl das, was ich unter einer Ästhetik der Abwesenheit verstehe, mit der Erfahrung von Stifters Dinge demonstrieren, einer performativen Installation ohne Darsteller, die seit 2007 zu sehen ist. Aber vielleicht können wir einen Moment lang der Frage nachgehen, wie sich im Laufe der Jahre dieses Thema in meinen Arbeiten entwickelt hat, um besser zu verstehen, was genau dabei geschieht und was überhaupt ich mit „Abwesenheit“ meine.
Wie alles angefangen hat? Vielleicht 1993 mit einem Vorfall während der Probe zu Ou bien le débarquement désastreux, eines meiner frühesten Musiktheaterstücke – mit fünf afrikanischen und französischen Musikern und einem wunderbaren Schauspieler, André Wilms.
Magdalena Jetelová, eine bedeutende bildende Künstlerin aus Prag, entwarf das Bühnenbild für dieses Stück: im Zentrum eine gigantische Pyramide aus Aluminium, die kopfüber mit der Spitze nach unten hängt, aus der heraus Sand rieselt und die im Laufe der Aufführung vollständig gedreht werden kann; an der linken Bühnenseite eine riesige Wand von roten Haaren, hinter dieser Wand fünfzig Ventilatoren, die die Haare aus Seide ständig in leichter Bewegung halten und mit dem Lärm ihrer Motoren den Schauspieler verrückt machen. Während einer Szene dieses Stückes verschwindet der Schauspieler hinter der Wand aus Haaren, in einer...