Theater der Zeit

Magazin

Der Schamane

Wolfgang Utzt erhält den Ehrenpreis des Brandenburgischen Kunstpreises 2018

von Gunnar Decker

Erschienen in: Theater der Zeit: Franz Rogowski: Der Schmerz des Boxers (09/2018)

Assoziationen: Brandenburg

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Maske und Ritual gehören zusammen. So jedenfalls in der animistisch-magischen Weltanschauung der Naturvölker. Da gibt es etwa die „Wächter“, die zum Ahnenkult gehören. Sie halten Kontakt zu den Toten, mit denen man nur in Frieden leben kann, wenn diese es zulassen. Denn die Toten sind nicht tot, zumindest nicht so tot, dass sie uns nichts mehr angehen. Eine Steilvorlage für Heiner Müller, der Theater immer auch als eine Form der Beerdigungskultur verstand. Und für Wolfgang Utzts Maskenkunst!

In dem Film „Die Zeit ist aus den Fugen“ von Christoph Rüter über Müllers Wendezeit-Inszenierung von „Hamlet/Hamletmaschine“ am Deutschen Theater Berlin sieht man den Regisseur und seinen Maskenbildner in Müllers Wohnung auf Campingstühlen (!) vor dem Fernseher sitzen und die Tagesschau kommentieren. Es scheint für sie nichts Lustigeres gegeben zu haben als die neuen Masken der Macht. Sprachhülsen wie „freiheitlich demokratische Grundordnung“ – die Campingstühle wackelten bedenklich unter den sich vor Lachen Schüttelnden.

Utzt wie Müller wussten: Die Zeit der Politik ist eine andere als die der Kunst. Politik wird zum Material der Kunst. Darum braucht man, um Theater zu spielen, auch die Maske. Utzt war bereits 1960 als Praktikant ans Deutsche Theater gekommen – er ist das Bildgedächtnis dieses Hauses, an dem er von 1979 bis 2003 Chefmaskenbildner war. Zu seiner letzten großen Produktion am Haus, Dimiter Gotscheffs DT-Rückkehr mit „Tod eines Handlungsreisenden“, besuchte ich ihn in der Maskenbildnerei. Auf seinem Arbeitstisch stapelten sich Bildbände. Gerade war ein Francis Bacon hinzugekommen. „Zu jeder neuen Inszenierung schenke ich mir einen Bildband“, sagte er. Es müssen über hundert sein bei all den Aufführungen, für die er die Masken am Deutschen Theater schuf. Die sich mir am tiefsten eingeprägt haben: Danton und Robespierre in Alexander Langs „Dantons Tod“ für Christian Grashof in einer Doppelrolle und die von Zygmunt in Friedo Solters „Das Leben ist Traum“ für Ulrich Mühe. Gesicht trifft Maske, das heißt: Es wird kompliziert mit der Wahrheit, sie verbirgt sich vor dem allzu schnellen Augenschein. Manchmal bleiben auch die Masken als alleinige Zeugen gescheiterter Inszenierungen, so die von Friedo Solters „Faust Zweiter Teil“ (1983). Alexander Lang und Dieter Mann als Faust und Mephisto – was ist uns da entgangen!

Masken sind Mittel der Magie – auch auf dem Theater. Ein Medium zur Selbstdistanzierung. Erst mit der Maske kommt der Geist ins Gesicht, jener Geist, der so gewaltsam die Jahrhunderte durchweht: die Geschichte. Ohne den „Albtraum der Geschichte“ zu bannen, so sagte der Literaturwissenschaftler Frank Hörnigk einmal, sei die Geschichte dazu verdammt, wiederaufzuerstehen – wie etwa als Hamlets Geist. Masken helfen solcherart Wiedergängerei der Geschichte zu verhindern. Sie trennen das, was an der Geschichte tot ist von dem, was noch lebt.

Ohne die Maske ist moderne Kunst überhaupt nicht denkbar. Jenes Elementare, das ursprünglich ist, ein Anfang, der weit zurückliegt: Und doch ist es auch etwas, mit dem man immer wieder neu anfangen kann. Ursprung und Abstraktion treffen sich in den Masken von Wolfgang Utzt. Nachdem alle Vorstellungen abgespielt sind, was bleibt von ihnen übrig? Sie sind Zeugen jenes Welttheaters der Geschichte, das auf der kleinen Theaterbühne sein Modell fand: ein Zauberkasten für Schamanen.

Utzt, der mittels Maske die Tragödien erkennbar machte – und sie damit zugleich bannte, der ein inniges Verhältnis zu den Schauspielern hatte, die er nicht unkenntlich machte, sondern ihnen einen intimen Spielhintergrund für das Gesicht schenkte, ist auch nach seinem Abschied vom Theater ein passioniert-witziger Zeichner geblieben. Um sein hinreißend gemaltes und gedichtetes Kinderbuch „Das Gürteltier kam nachts um vier“ in aller Abgründigkeit genießen zu können, muss man wohl schon einiges an Abschieden in sich tragen. Denn die Dissonanz der menschlichen Natur scheint nur dann erträglich, wo man über sie zu lachen vermag.

Da ist etwa der Löwe, der schon keine Mähne mehr auf dem Kopf hat, eher sich lichtendes Haar. Sein Maul ist weit aufgerissen, er posiert routiniert als wilder Mann. Dazu lesen wir: „Den Löwen hört man furchtbar brüllen, wenn es nicht geht nach seinem Willen.“ Aber wieso wird man den Eindruck nicht los, dass auch dieses Brüllen nicht mehr ist als ein Pfeifen im Walde? – Im Juli hat Wolfgang Utzt für sein Lebenswerk den Ehrenpreis des Brandenburgischen Kunstpreises erhalten. //

Im Verlag Theater der Zeit erschien über Wolfgang Utzt 2010 eine Monografie unter dem Titel „In Masken geht die Zeit“.

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