Zehn Thesen
These 8: Theatermusik inszeniert oft das Hören selbst
von David Roesner
Erschienen in: Recherchen 151: Theatermusik – Analysen und Gespräche (11/2019)
Was Matthias Rebstock seit einiger Zeit in Bezug auf das Neue Musiktheater untersucht131 – nämlich, dass hier Aspekte des Hörens selbst zum Gegenstand von Komposition und Inszenierung werden –, ist auch in Bezug auf viele Theatermusiken festzustellen. Stücke wie This is how you will disappear von Gisèle Vienne (Avignon 2010) mit einer an der Erträglichkeitsgrenze ausgesteuerten Noise-Musik von Stephen O’Malley und Peter Rehberg attackiert uns in unseren Wahrnehmungsgewohnheiten, macht uns die physiologischen, psychologischen und kognitiven Bedingungen unseres Hörens – in diesem Falle schmerzhaft – bewusst. Daniela Barth beschreibt das so:
Auf Kampnagel werden Ohrstöpsel verteilt […]. Flugzeugmotoren-tinitus [sic]. Krachend, hämmernd, pfeifend: Ein blechern monotoner Rhythmus regiert ab jetzt den Pulsschlag – ob Ohrstöpsel oder nicht. Dieser eindringliche Klang ist die ohrenbetäubende wiewohl höchst antagonistische Hauptschlagader eines herbstlich entblätterten Waldes, der solcherart naturalistisch im Theater dargestellt quasi den Atem raubt. […] Da sitzt man nun, fast taub und schnappatmend.132
Viele Produktionen von Katie Mitchell133 hingegen führen uns mit ihrer Trennung von szenischer Aktion und Soundtrack, der parallel als Foley-Effekt erzeugt wird, und der gleichzeitigen Synthese beider im live über der Bühne projizierten Filmbild (siehe Abb. S. 37) unser elementares Bedürfnis vor, Visuelles und Akustisches miteinander zu verschmelzen...