Das populistische Paradox
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Das Gespenst des Populismus – Ein Essay zur politischen Dramaturgie (01/2017)
Wenige politische Begriffe sind so dehnbar wie der des Populismus. Mit Ralf Dahrendorf könnte man meinen: „Des einen Populismus ist des anderen Demokratie, und umgekehrt.“ Die kürzeste Definition unserer Tage lautet dann auch, dass der Populist einfache Antworten auf komplizierte Fragen gibt. Dass nicht wenige meinen, das Phänomen damit ausreichend erklärt zu haben, könnte man hingegen als Populismus kritisieren. Denn was ist mit der Behauptung gemeint, dass die Antworten zu einfach sind für die Komplexität der Lage? Da nicht jede einfache Antwort falsch sein und nicht jede Behauptung von Komplexität stimmen muss, liegt der Wahrheitsanspruch wohl auf der politischen Ebene. Eine einfache Antwort ist dann falsch, wenn sie der eigenen Meinung widerspricht, und sie ist populistisch, wenn mit ihr Stimmen gewonnen werden sollen.
An dieser Stelle kommt bereits die zweite Eigenart des Populismus ins Spiel, die ihm erst seine paradoxe Form verleiht. Die populistische Aussage fügt der inhaltlichen Differenz eine besondere formale Eigenart hinzu. Eine Aussage ist dann populistisch, wenn sie der herrschenden Meinung widerspricht und dafür Mittel verwendet, die ebenfalls den herrschenden Umgangsformen widersprechen. Populismus kann also weder über seine Inhalte noch über seine Form erfasst werden, sondern nur durch das Verhältnis, in das er die beiden Seiten bringt....