Gleichwertigkeit und Unversehrtheit sind Grundsätze der bürgerlichen Gesellschaft. Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber von Nürnberg, hilft das in Barrie Koskys „Meistersingern“ wenig. Kurz nach seiner missglückten Liebesballade für Eva wird er von einem Mob überrannt. Anders als in der Vorlage ist es nicht bloß der Schustergeselle David samt seinen Kumpanen, der Beckmesser aus Eifersucht verprügelt. Es sind die Bürger der Stadt Nürnberg, die wie entfesselt diesen Kampf befeuern. Eine rohe Bürgerlichkeit bricht sich hier Bahn, eine lüsterne Aggression unter dem Diktat eines Hasses, der gar nicht so sehr den Einzelnen meint als vielmehr den Einzelnen als Stellvertreter einer Gruppe.
Über diesen gesellschaftlichen Mechanismus, den der Soziologe Wilhelm Heitmeyer in seiner Studie „Deutsche Zustände“ unter dem Begriff der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ anführt, wurde in der Wagner-Rezeption vielfach gestritten. Besonders in den „Meistersingern“, dieser Oper über die „heil’ge deutsche Kunst“, sah man in der Figur des Beckmesser Wagners Antisemitismus zementiert, karikiere er hier eben nicht nur, wie seine Verteidiger sagen, Einzelpersonen wie den Musikkritiker Eduard Hanslick (der ihn regelmäßig verriss) oder den deutsch-jüdischen Komponisten Giacomo Meyerbeer (der ihn komplett ignorierte), sondern eine vorsätzlich konstruierte Gruppe. Wagner, schreibt der Biograf Martin Gregor-Dellin, sei der Verteufelung der Juden erlegen. Diese Lesart ist nicht neu. Interessanter aus heutiger...