Theater der Zeit

Auftritt

Deutsches Theater Göttingen: Alter Geist in neuen Köpfen

„Das deutsche Haus“ (UA) von Philipp Löhle – Regie Philipp Löhle, Bühne & Kostüme Thomas Rump und Nathalie Noël

von Joachim F. Tornau

Assoziationen: Theaterkritiken Niedersachsen Philipp Löhle Deutsches Theater Göttingen

Willkommen in der neuen WG? Mutproben gibt es in "Das deutsche Haus" am DT Göttingen nicht nur für die neuen Mitbewohner.
Willkommen in der neuen WG? Mutproben gibt es in "Das deutsche Haus" am DT Göttingen nicht nur für die neuen Mitbewohner.Foto: Thomas Müller

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Es ist ein perfides Manöver, mit dem Philipp Löhle sein neuestes Werk enden lässt. Eigentlich naht schon der Schlussapplaus, da treten die Neonazis, die „Das deutsche Haus“ bevölkern, an den Bühnenrand und fordern das Publikum zum Klatschen auf – für einen der Ihren, der gestorben ist, ermordet angeblich von einer „Zecke der Aufklärung“. „Klatscht!“, brüllen sie. „Für Recht und Ordnung! Für unser Deutschland! Weil euch gar nichts anderes übrig bleibt! Klatscht! Klatscht! Klatscht!“ Natürlich rührt sich da erst einmal keine Hand. Oder muss man dieser Tage, da der demokratische Nachkriegskonsens des „Nie wieder“ von Friedrich Merz brandmauernschleifend aufgekündigt wurde, eher sagen: zum Glück?

Mit „Das deutsche Haus“ hat Löhle im Auftrag des Deutschen Theaters in Göttingen ein Stück geschrieben und als Regisseur selbst zur Uraufführung gebracht, das in die Zeit passt – und zugleich auch nicht. Eine Auseinandersetzung mit dem Erstarken der extremen Rechten, mit der Manipulation der Meinungen, mit der Macht von Lügen, die nur oft genug wiederholt werden müssen, um zur gefühlten Wahrheit zu werden. „Flood the zone with shit“, wie es der US-amerikanische Rechtsaußenvordenker Steve Bannon formuliert hat.

Erfrischend deutlich ist das, ohne jede poetische Zurückhaltung, brachial geradezu. Einerseits. Andererseits: Wer das Bild der feixenden AfD-Fraktion im deutschen Bundestag vor Augen hat, die sich kaum einkriegt vor Freude über das konservative Steigbügelhalten, wird das tumbe Vaterlandsgebrüll auf der Göttinger Theaterbühne fast verharmlosend finden. Rechtsextremismus als etwas Randständiges, über das sich ein gebildetes Bürgertum lustig machen kann? Das war einmal.

Löhle erzählt einen Zombie-Horror-Splatter-Alptraum. Was er ironisch eine „WG-Komödie“ genannt hat, spielt im Inneren einer jener kaiserzeitlichen Trutzburgen, die in alten Universitätsstädten wie Göttingen zuhauf herumstehen, als steinerner Ausdruck der Rückwärtsgewandtheit ihrer Bewohner: männlich-elitärer Korporationsstudenten. Der junge Jura-Student Lukas Adler (Christoph Türkay) landet auf seiner verzweifelten Suche nach bezahlbarem Wohnraum in einer dieser Studentenverbindungen.

Er lässt sich locken und wird immer tiefer hineingezogen in ein System aus Saufritualen, Erniedrigungen, Willkür und stumpfen Hierarchien, in denen die, die unten stehen, nur danach gieren, aufzusteigen und endlich selbst nach unten treten zu können. Und aus nationalistischem Geschwurbel. Die Lieder und Ansprachen der neonazistischen Korporierten, wahllose Ansammlungen rechter Signalwörter, völlig sinnfrei, doch mit Inbrunst vorgetragen, sind parodistische Kleinode: „Und mit den Hosen ist es so / Dass Heimatland geht auf / Von Mädels und die jungen Kerls / Bergauf, bergauf, bergauf“. Irgendwann stellt Lukas Adler fest, dass er beginnt, das Gerede zu verstehen. Es ist der Anfang vom Ende.

Als wilhelminischer Prachtbau taugt das Göttinger Theater für dieses Spektakel selbst als die beste Kulisse. Thomas Rump und Nathalie Noël haben ein Bühnenbild geschaffen, das die gülden ornamentierten Neorenaissance-Balustraden des großen Saals nahtlos fortsetzt. Der Rest ist roter Samt. Hinter der mächtigen Flügeltür in der Bühnenmitte aber verbirgt sich ein ganz anderer, beinahe noch spektakulärer Anblick, der erst beim großen, brutalen Finale offenbart wird: ein spinnenartiger Riesenroboter, mit dessen Hilfe Lukas das Gehirn entnommen und durch das Hirn eines alten Nazis ersetzt wird. Denn das ist die nicht unmäßig tiefschürfende Analyse, die Löhles Hundertminüter zugrundeliegt: In der neuen Rechten lebt die alte Rechte weiter. Alter Geist in neuen Köpfen, hier ganz buchstäblich.

Kreissägen kreischen, Blut spritzt, es schlurpft und schlabbert ausgiebig. Löhle lässt es splattern und geht überhaupt in die Vollen, mit hemmungsloser Horrorfilmeffekthascherei, Lichtblitzen, Schauermusik. Mit üppig Klamauk. Und mit einem sehr ausführlichen Schwertkampf, den sich der frisch gehirnamputierte Lukas mit seiner Freundin Pauline liefert (als menschlicher Lichtblick in dieser Nazi-Zombie-Apokalypse: Tara Helena Weiss). Die Korporierten, die ihn in diesen Kampf getrieben haben, um seinen Tod dann an der Bühnenrampe propagandistisch auszuschlachten, heißen übrigens Götz, Björn, Alice und Tino. Ein Schelm, wem da die Nachnamen Kubitschek, Höcke, Weidel und Chrupalla in den Sinn kommen.

Gabriel von Berlepsch gibt Götz, den Anführer, der die Rangbezeichnung „Vollschädel“ trägt, mit öligem Grinsen unterm Schnauzbart und syltigem Pullover über den Schultern. Daniel Mühe ist Tino, der vom herumgeschubsten „Knappen“ zum seinerseits herumschubsenden „Jungritter“ wird und seine sympathische Stoffeligkeit ad hoc durch militärischen Kommandoton ersetzt. Und Markus Türkay darf als Lukas alle Register ziehen, mal naiv, mal verzweifelt, mal im Vollsuff und schließlich als überzeugter Neonazi, eiskalt und schneidig.

Wie gesagt: Subtil kann man das alles nicht nennen. Aber unterhaltsam ist’s irgendwie schon.

Erschienen am 3.2.2025

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