Magazin
Das war erst der Anfang
Das Theater- und Städtenetzwerk „Kein Schlussstrich!“ will weitermachen
von Michael Helbing
Erschienen in: Theater der Zeit: Barbara Mundel – Stürzende Gegenwart (12/2022)
Assoziationen: Thüringen

Sie meinen es wirklich ernst mit dem, was sie über ihr dezentrales Großprojekt schrieben: „Kein Schlussstrich!“ hatte es in 15 Theatern und ihren Städten geheißen. Und das soll über jene Tage im Herbst 2021 weit hinaus gelten, deren Bilanz sich nicht in 700 Veranstaltungen mit insgesamt über 20 000 Besuchern erschöpft. Zu ihr gehört auch, „dass die Arbeit vor Ort nicht zu Ende ist, sondern eher erst begonnen hat“.
So hat es jetzt Jonas Zipf formuliert, bei einer Videokonferenz der Beteiligten, die Rückschau hielt und Ausblicke ermöglichte. Als Chef des Eigenbetriebs JenaKultur hatte Zipf das Projekt initiiert und mit den Dramaturgen Simon Meienreis und Tunçay Kulaoğlu sowie der Kuratorin Ayşe Güleç und dem Soziologen Matthias Quent auf den Weg gebracht. In Inszenierungen, Interventionen im Stadtraum und Rahmenprogrammen, in Ausstellungsprojekten und Diskursformaten folgten schließlich alle Beteiligten gleichsam der Blutspur, die der zehn Jahre zuvor erst durch Selbstmord aufgeflogene Nationalsozialistische Untergrund (NSU) durch Deutschland zog.
Sie beleuchteten die Hintergründe rechtsextremer Netzwerke, die dergleichen ermöglichten und die auch nach dem Ende des NSU wirksam geblieben sind. „Licht ins Dunkel“ heißt deshalb der Trägerverein, ein „Gegennetzwerk“ der Opfer- und Täterstädte, die Walter Bart am Theaterhaus Jena einmal „die ungewollt Vereinten“ nannte.
Inzwischen, nach selbst- und systemkritischer Evaluation auf mehreren Ebenen, ist klar: Der Verein bleibt aktiv, die meisten seiner Mitglieder bleiben am Ball. Es soll aber deutliche Veränderungen geben. „Weg vom engen NSU-Fokus“ ist nur eine davon. Zipf, mittlerweile Geschäftsführer auf Kampnagel in Hamburg, fasst die Beiträge einer als E-Paper veröffentlichten Nachbetrachtung so zusammen: Es gehe um eine „strukturelle Veränderung der Stadt- und Staatstheater in den Bereichen Programm, Publikum und Personal“. Die wäre demnach, ließe sich sagen, zugleich Mittel und Zweck.
Nürnbergs Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger etwa hatte „eine Wahnsinns-Kraftanstrengung“ bilanziert. Solche Großveranstaltungen müssten künftig „in den Spielbetrieb integriert sein und dürfen nicht noch zusätzlich dazukommen“. Stawrula Panagiotaki, Dramaturgin am Schauspiel Köln, äußerte sich ähnlich: Dergleichen sei, „was den Arbeitsaufwand anbelangt, wenn nicht höher so doch zumindest gleichwertig einer Theaterproduktion“ anzusetzen.
Es braucht demnach auch neue und andere Personen an den Häusern, solche, „die sich sowohl auf Produktionsleitung oder Festivalmanagement verstehen, als auch eine Glaubwürdigkeit in unterschiedliche Richtungen mitbringen“ (Gloger). Das Wort von „Stadtdramaturgen“ macht die Runde, zwecks Öffnung der Häuser für migrantische und postmigrantische Communitys zum Beispiel.
So vermisst der Berliner Journalist Frank Joung, Kind koreanischer Einwanderer, im Theater immer noch das Emotionale und Verbindende. „Ich hatte früher nie das Gefühl, da gehöre ich hin, da darf ich sein. Ich wusste gar nicht, wo ich da, rein emotional, andocken sollte. Wo werden da Geschichten erzählt, die mich betreffen?“ Joung spricht in seinem Podcast „Halbe Katoffl“ mit Deutschen, die ebenfalls nicht-deutsche Wurzeln haben, und arbeitet dabei mit „Kein Schlussstrich!“ zusammen.
Solche Fragen stellen sich am Schauspiel Köln weniger, unmittelbar neben der türkisch geprägten Keupstraße gelegen, auf der der NSU 2004 eine Nagelbombe hochgehen ließ. Mit drei Anwohnern und drei Schauspielern inszenierte Nuran David Calis zehn Jahre später „Die Lücke – Ein Stück Keupstraße“, inzwischen blickt „Die Lücke 2.0“ auch auf den NSU-Prozess zurück. Nicht nur an dieser Stelle erkennt Jonas Zipf ein wohlverstandenes Eigeninteresse der Bühnen und ein Potenzial im Projekt, „auch Publikum zu erobern“.
Das ist in ostdeutschen Städten ungleich schwieriger, zumal in Rudolstadt, wo wenige Menschen mit Migrationshintergrund unterwegs sind, dafür aber rechtsextreme Strukturen existieren. Gleichwohl, auch trotz knapper personeller Ressourcen, will das Landestheater den Weg von „Kein Schlussstrich!“ unbedingt weitergehen. Zwickau bleibt unter neuer Intendanz ebenso an Bord, Chemnitz, seinen Auftritt als Kulturhauptstadt Europas 2025 vor Augen, sowieso.
Der Plan ist aktuell der: Kleinere und agilere Formate sollen entstehen, in einem seriell agierenden Projekt. Nacheinander träten dabei eine Stadt und ein Theater als Gastgeber und Kuratoren auf. Zwei Ausgaben pro Jahr sind das Ziel. Man will und wird sich für Partner anderer Städte öffnen, für die diversen Communitys der Stadtgesellschaften erst recht. https://kein-schlussstrich.de.