Ein Baum ohne Schatten oder Früchte ist kein Baum
Die afrikanischen Slam-Poeten und ihr Collectif Qu’on Sonne & Voix-ailes im Porträt
von Irma Dohn
Erschienen in: Recherchen 144: Gold L'Or – Ein Theaterprojekt in Burkina Faso | Un projet de théâtre au Burkina Faso (05/2019)
Sie verstehen sich als Kollektiv, die drei Slammer und Schauspieler von Qu’on Sonne & Voix-ailes, Tony, B-Rangé und Térence, die sich 2012 kennengelernt haben und seitdem zusammenarbeiten. 2016 haben sie ihr erstes Album Siraba herausgebracht, jetzt arbeiten sie an ihrem zweiten. „Was heißt es für euch, im Kollektiv zu arbeiten?“, frage ich sie bei unserem Gespräch im staubigen Hof des Kulturzentrums Espace Culturel Gambidi in Ouagadougou, wo wir uns in der Probenpause des deutsch-burkinischen Theaterprojekts Brillante Saleté (Glänzender Dreck) treffen. „Das Schwierigste sind die Terminabsprachen für unsere Auftritte“, meint Tony lachend. Aber Térence erklärt mit großem Ernst: „Wir erarbeiten unsere Texte gemeinsam, das ist uns sehr wichtig. Wir lesen, denken, entscheiden in der Gemeinschaft. Wir kennen keine individuelle Autorenschaft, auch wenn einer mal mehr oder weniger geschrieben hat.“ Für das Gold-Projekt haben sie mehrere Texte verfasst. Les Fonctionnaires de Dieu (Die Lohnempfänger von Gott) und vor allem Oiseaux des collines (Vögel der Hügel), ein wundervoll poetischer Song über Frauen, die sich prostituieren und mit den Goldgräbern von Mine zu Mine ziehen. Für diese Frauen bedeutet dies, jenseits aller Unterdrückung und Verachtung, auch einen Schritt in die persönliche Freiheit, eine Emanzipation von ihrer traditionellen Rolle in der burkinischen Familie, in der Zwangsheirat und Klitorisbeschneidung zwar gesetzlich verboten, aber immer noch an der Tagesordnung sind. „Wir haben die Interviews, die Frank Heuel im Vorfeld in den Goldfeldern mit den Menschen gemacht hat, vor Probenbeginn gelesen und gemeinsam überlegt, zu welchen Themen wir arbeiten wollen. Wir waren uns schnell einig und haben angefangen zu schreiben, mal kollektiv, mal jeder für sich allein. Aber verantwortlich zeichnen wir immer gemeinsam.“
„Versteht ihr euch in erster Linie als Slammer oder Schauspieler?“ „Da gibt es keinen Unterschied“, kommt die Antwort einstimmig aus ihrem Munde. „Wir arbeiten mit rhythmisierten Texten, das ist das Wichtigste. Nicht die Musik steht im Vordergrund, sondern die Worte. Daher sind wir auch keine Rapper. Der Inhalt ist uns wichtig. Wir möchten gerne etwas erzählen über die gesellschaftliche Situation in Burkina. Als Künstler muss man Position beziehen.“ „Musik ohne Musik“, ergänzt Tony.
Für das Gold-Projekt waren sie sofort Feuer und Flamme. Sie haben vor einem Jahr schon einmal mit dem Regisseur Frank Heuel in Ouagadougou gearbeitet, auch über ein Umweltthema, Klimaveränderung und Bodenverbesserung (La Terre ton Amie / Die Erde – deine Freundin), aber ohne deutsche SchauspielerInnen. Da waren sie noch zu viert, ihr Kollege Valian ist inzwischen an Malaria verstorben. Die Arbeit mit Frank Heuel hat sie sehr begeistert, sie hatten das Gefühl, sich künstlerisch weiterzuentwickeln, aber vor allem brennt ihnen das Thema unter den Nägeln. „Wir kennen viele aus unserer Umgebung, die in artisanal mines, der handwerklichen Goldgewinnung arbeiten, wir kennen die Probleme, die sich daraus für unser Land ergeben. Alles wird teurer, die Kinder gehen nicht mehr zur Schule, Menschen werden krank oder sterben bei Unfällen, für die Landwirtschaft ist das Land danach zerstört. Überall aufgeschüttete Erdhügel und tief ausgegrabene Erdlöcher.“ „Und du findest niemanden mehr, der normal arbeiten will“, erzählt Térence. „Ich baue gerade ein Haus, finde aber keine Arbeiter. Alle wollen auf die Goldfelder, dahin, wo man schnell viel Geld verdienen kann. Geld wird zum wichtigsten Antrieb in unserer burkinischen Gesellschaft. Unsere traditionellen Werte werden zerstört, Werte, die gerade für die Zukunft unserer Entwicklung sehr wichtig sind.“ Besonders empört sind sie über die Ausbeutung des burkinischen Staates durch Länder wie die Schweiz. Ein Teil des burkinischen Goldes wird über den Schwarzmarkt nach Togo geschmuggelt, dort in die Schweiz verkauft, ohne Steuern, da es in Togo kein Gold und keine Steuern für Gold gibt – eine Tatsache, die in Burkina kaum bekannt ist. „Was könnte man mit diesen Steuern alles bewegen in unserem armen Land“, sagt Térence, „Straßen bauen, Krankenhäuser und Schulen. Wir sollten in der Schweiz spielen und dort die Bevölkerung aufklären, dass ihr Reichtum auf dem Rücken toter Kinder beruht.“ „Blutiges Gold“, sagen sie provokativ.
Meine Frage nach Problemen und Differenzen in der Produktion zwischen deutschen und Burkinabe Schauspielern stößt auf Unverständnis. „Nur die normalen wie in jeder anderen Theaterproduktion auch. Aber nicht zwischen den europäischen und afrikanischen Schauspielern. Wir sind alle open-minded artists“, so Tony, „wir lernen voneinander, wir werden von dem Regisseur gleichberechtigt behandelt, respektiert, und wir haben Verträge und werden gut bezahlt.“ „Die Kunst ist universell“, sagen sie, und „es ist gut, wenn die Perspektiven, die europäischen und die afrikanischen sich vermischen. Wir haben unsere eigene Geschichte, unsere Tradition, unsere kulturellen Wurzeln, unsere Authentizität als Afrikaner.“ „Ich bin Afrikaner, Mossi, Mann – aber in erster Linie human being“, bekräftigt Tony.
„Wie sieht euer politisches Engagement aus?“, frage ich sie. „Seid ihr als Künstler in einer politischen Bewegung aktiv, beispielsweise in der zivilgesellschaftlichen Protestbewegung der Balai Citoyen, der Bürgerbesen? Seid ihr 2014 mit auf die Straße gegangen, als Aktivisten so lange demonstriert haben, bis der damalige korrupte Präsident Blaise Compaoré gestürzt wurde?“ „Nein, wir nicht“, sagen sie, „aber unser verstorbener Freund Valian war sehr engagiert. Man muss nicht auf der Straße demonstrieren.“ „Was haltet ihr von Thomas Sankara, dem Che Guevara Afrikas, wie er genannt wird, der vier Jahre lang Präsident war und das Land grundlegend reformiert hat?“ „Wir haben ihn ja nicht selbst erlebt“, meint Térence, „aber es werden viele Anekdoten über ihn erzählt, wie er übers Land gefahren ist, mit Gitarre und Fahrrad, in den Dörfern die Dorfältesten kontrolliert hat, gegen Korruption gekämpft hat und für lokale Selbstverwaltung. Er hat sich für die Frauenrechte eingesetzt und vor allem versucht, die Gesellschaft für verantwortungsvolle Lebensformen zu sensibilisieren. Er hätte vielleicht dieses Land sehr stark verändern können, wenn er nicht vor 31 Jahren von seinem Jugendfreund Blaise Compaoré erschossen worden wäre.“
Und heute? Wie sieht es heute aus? „Wir wählen, haben Meinungsfreiheit. Es gibt soziale Verbesserungen im Gesundheitsbereich.“ Und die Korruption? „Klar gibt es Korruption“, meint Tony, „aber kennst Du ein Land, in dem es das nicht gibt?“
Zum Schluss frage ich sie nach ihren Träumen. Vielleicht auswandern nach Europa, Deutschland? „Warum denn? Wir möchten hier in unserem Land etwas bewegen. Etwas hinterlassen, wenn wir sterben. Ein Baum ohne Schatten oder Früchte ist kein Baum.“