Stück
Der Totengräber
Georg Seidels DDR-Endzeitstück „Carmen Kittel“
von Gunnar Decker
Erschienen in: Theater der Zeit: Birgit Minichmayr – Ich bin es und bin es nicht (01/2013)
Assoziationen: Dramatik
„Das Meer unterdrückt bald
sein eigenes Rauschen.“
Georg Seidel, „Carmen Kittel“
Am Ende ist nicht klar, ob Carmen Kittel nun überhaupt jemals schwanger gewesen ist. Vielleicht hat sie von Anfang an gelogen, vielleicht doch abgetrieben oder gar das Kind erstickt, wie sie sagt? Jedenfalls: Es folgt ihr nichts nach. Keine Hoffnung ist mit dieser Generation von Plebejern in der späten DDR verbunden. Es ist in Georg Seidels Augen eine verlorene Generation. Nein, sie probt nicht den Aufstand gegen die herrschenden Alten, sie verweigert sich, duckt sich weg. „Rost“ heißt das Wort, das Seidel für diesen Zustand fand. Was passiert mit jungen Menschen in der allgegenwärtigen Langeweile, der Trostlosigkeit ihrer Existenz?
Alles an dieser DDR-Endzeit erinnert Seidel an Kartoffeln, dieses „dumpfe Gemüse“. Wenn man eine Revolution unter Deutschen machen wollte, dann müsste man erst einmal ihre Ernährungsgewohnheiten ändern. Der Herbst 89 war im Frühjahr desselben Jahres (da entstand die Neufassung des 1986 geschriebenen Textes) noch nicht vorhersehbar, zu fest schien der graue Beton, der diese Kleinwelt zusammenhielt. Und Carmen Kittel, das Heimkind in seiner ersten eigenen Wohnung, schwebt über dem Abgrund der Asozialität, keine werdende „Arbeiterpersönlichkeit“, keine „Kampfreserve der Partei“, sondern ganz unten: in der Schälküche, wo sie den blöden Kartoffeln...