Theaterpädagogik oder müssen wir nicht erst einmal die herrschende Pädagogik infrage stellen?
von Christoph Nix
Erschienen in: Lektionen 5: Theaterpädagogik (10/2012)
Man muss den Dingen wie den Menschen die Maske abnehmen.
Michel de Montaigne
I.
Wann schweigt der Mensch? Wann hört ein Mensch auf zu sprechen? Wann enthält sich das Subjekt jeglicher Form von Äußerung? Wenn es nie gelernt hat sich zu äußern? Wenn es nie gelernt hat zu sprechen? Wenn es dumm ist? Vieles von dem, was wir heute in der Theaterpädagogik denken, lehren oder tun, steht in einem engen Zusammenhang zu zwei Lateinamerikanern, die damit begonnen haben, eine Pädagogik der Unterdrückten und ein Theater der Unterdrückten zu formulieren und zu initiieren: Paulo Freire und Augusto Boal. Doch etwas ganz Zentrales scheint mir zunehmend verloren zu gehen: die Radikalität, die Parteilichkeit, die Skepsis im theaterpädagogischen Arbeiten. Die Skepsis gegenüber der Welt ist die Voraussetzung für ein kritisches Bewusstsein.
II.
Eine Grundfrage, die sich Paulo Freire gestellt hat, ist die Frage, woher die Entkräftung, die Teilnahmslosigkeit der Unterdrückten kommt. Wir könnten hinzufügen: Woher kommt bei uns die Lähmung der Hauptschüler, die Apathie der Realschüler, die Tatenlosigkeit der Gymnasiasten bei ständig steigendem Leistungsdruck? Freire trifft hier eine Grundentscheidung. Können wir damit etwas anfangen? Die Kultur des Schweigens der lateinamerikanischen Bevölkerung ist immer schon eine Folge der Unterdrückung. Es ist nicht die Apathie...