POSITIONEN DER PRAXIS IN DER THEATER LANDSCHAFT
Wer mit wem?
Das Theater Rudolstadt im polygamen Geflecht der Thüringer Bühnen
von Friederike Lüdde
Erschienen in: Recherchen 146: Theater in der Provinz – Künstlerische Vielfalt und kulturelle Teilhabe als Programm (05/2019)
Assoziationen: Thüringen Theater Rudolstadt
Es ist fast wie im richtigen Leben: Sie verbinden sich, trennen sich und versuchen es erneut miteinander – die Thüringer Bühnen und Orchester. Während die einen in der Vergangenheit Theaterehen eingingen, sogenannte Fusionen, ließen sich andere eher auf kurzzeitige partnerschaftliche Beziehungen ein, auf Kooperationen. Fakt ist: In den letzten Jahrzehnten waren kulturpolitische Kuppler am Werk, denn fast alle Theater in Thüringen haben sich in irgendeiner Weise zum schöpferischen Fremdgehen verleiten lassen, wenn auch nicht immer freiwillig. Um zu erkennen, dass neue Kontakte die Produktivität eher bereichern als belasten, dass es von Vorteil ist, den Anforderungen der heutigen Zeit gemeinschaftlich gegenüber zu stehen. Denn nur so lässt sich im kleinen Freistaat die große Anzahl der Theater sinnvoll finanzieren – und den Zuschauern ein vielfältiges, reiches Angebot sichern. Doch in welcher Form sind derartige Kooperationen eigentlich sinnvoll?
Im kleinstädtischen Thüringen stünde ohne die Kooperationen zwischen den Häusern das kulturelle Angebot vor allem für die weniger urbanen Räume auf dem Spiel. Bei rund zwei Millionen Einwohnern gibt es acht staatlich geförderte Bühnen, die durch unterschiedlichste Zusammenarbeit meist mehrere Sparten – Musiktheater, Schauspiel, Ballett und Konzert – anbieten. Waren diese Kooperationen anfangs zunächst aus der Not geboren, um an kleineren Theatern die Vielfalt der Spielpläne aufrechterhalten zu können, haben sie sich zunehmend etabliert. Auch die großen Häuser wie Weimar und Erfurt stemmen gemeinsam Produktionen oder tauschen sie untereinander aus. Sogar Bühnen unterschiedlicher Größe (wie jüngst das Nationaltheater Weimar und das Landestheater Eisenach durch die Schauspiel-Tanz-Kooperation On the edge, die im Mai 2018 Premiere feierte) haben Geschmack daran gefunden. Man unterstützt sich gegenseitig, egal ob aus Not oder Überzeugung, erkennt das künstlerische, öffentlichkeitswirksame und wirtschaftliche Potential, das diese Zusammenarbeit birgt. Die gemeinsamen Produktionen werden an den beteiligten Häusern herumgereicht, ermöglichen so Programmvielfalt und sie bleiben darüber hinaus finanziell überschaubar. So muss sich das Publikum nicht selbst auf den Weg machen. Zudem erreicht es aus allen Ecken Thüringens einen Theaterstandort in weniger als einer Stunde. Ein Luxus, den es nur in wenigen Bundesländern gibt. Woanders müssen die Bühnen weite Touren absolvieren, um ihre Zuschauer zu erreichen. Eine derartig typische Landesbühne sucht man im Freistaat vergebens.
Neustrukturierung der Theaterlandschaft
Das gesamte Beziehungsgeflecht der Häuser ist seit der Wende mehrfach neu geordnet worden. Auch die neuen Schulterschlüsse entstanden nur teilweise aus dem eigenen Bedürfnis der Theater heraus und wurden zuletzt im Zusammenhang mit den neuen Finanzierungsverträgen des Freistaates Thüringen ab 2017 empfohlen. Bei diesen sollten engere Kooperationen, wie sie Minister Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei, in dem Papier Perspektive 20251 vorschlug, einen finanziellen Ausgleich erhalten. „Städte, Landkreise und Theater, die sich seinen Struktur-Vorhaben anschließen, sollten belohnt werden, insbesondere mit längeren Vertragslaufzeiten“, kommentiert nachtkritik.de das Papier.2
Um Gemeinsamkeiten herauszufinden und sie auf positive Synergieeffekte hin abzuklopfen, setzte sich Minister Hoff zuvor mit den Thüringer Intendanten und Geschäftsführern der Theater in mehreren Treffen zusammen. Erstmals sollten sich die Beteiligten mit eigenen Vorschlägen einbringen können, diese gemeinsam diskutieren und nicht ausschließlich von Seiten der Politik vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Auch hier gab es, nicht zum ersten Mal, Ideen zu Fusionen (Erfurt-Weimar beispielsweise) und effizienterem und gerechterem Mitteleinsatz (das Theater Rudolstadt arbeitet beispielsweise derzeit zwanzig bis 25 Prozent unter Tarif). Das Ansinnen eines gemeinsamen Entwurfs zur Neuordnung war es, durch Kooperationen und Fusionen in gegenseitigem Einvernehmen (!) mit den Theaterleitern zwar Stellen abzubauen, doch dafür alle Mitarbeiter nach Tarif bezahlen zu können, also eine gerechtere Mittelverteilung zu erreichen.3 Nachdem die Pläne einem kleinen Journalisten-Kreis im Rahmen eines Hintergrundgesprächs vorgestellt wurden, sickerten vertrauliche Details an die Öffentlichkeit4 durch und gegen das engere Zusammengehen von Erfurt und Weimar – ein Hauptbestandteil des Entwurfs – regte sich daraufhin großer Widerstand bei Belegschaft und Publikum. Denn obwohl jede Kooperation unter den Häusern zwar zunächst eine künstlerisch größere Vielfalt und mehr finanziellen Spielraum ermöglichen kann, geht sie mit Verzicht einher: auf Personal, auf Planungshoheit und vor allem auf einen Teil der eigenen Produktion vor Ort, für die man im Austausch Inszenierungen der Kooperationspartner zeigt.
Als Ergebnis der Verhandlungen präsentierte die Landesregierung nach einigem Zurückrudern und Modifizieren aufgrund der heftigen Reaktionen in der Öffentlichkeit zu Beginn der Spielzeit 2017/18 keine umgestaltete Theaterlandschaft, dafür ein kompliziertes Kooperationsgeflecht, das nur auf dem Papier übersichtlich wirkt: Das Theater Erfurt erhält Schauspiel aus Weimar, Aushilfsmusiker aus Gotha und Ballett aus den längst fusionierten Häusern Gera/Altenburg. Nordhausen gastiert mit Ballett und Musiktheater in Rudolstadt und darf seinen Spielplan um dessen Schauspielproduktionen bereichern. Eisenach tauscht Oper gegen Ballett mit dem Südthüringischen Staatstheater Meiningen und mit dem Theater Rudolstadt Schauspiel gegen Kinder- und Jugendtheater. Für Konzerte braucht Eisenach das gemeinsame Orchester aus Gotha. Auch die Jenaer Philharmonie und das Geraer Orchester kooperieren neuerdings stärker miteinander.
Das Theater Rudolstadt kam also um eine neuerliche Fusion herum, ließ sich dafür aber nach kleinen finanziellen Zugeständnissen auf ein Dreiecksverhältnis mit dem Theater Nordhausen und dem Landestheater Eisenach ein, das man getrost einen flotten Fünfer nennen könnte, denn auch das Staatstheater Meiningen und die Thüringen Philharmonie Gotha mischen am Rande mit.5
Eine kleine Fusions- und Kooperationsgeschichte
Doch zurück zum Anfang. Nach dem Zweiten Weltkrieg als Drei-Sparten-Theater in der Kleinstadt mit ihren damals circa 30 000 Bewohnern wieder auferstanden, beginnt auch in Rudolstadt rund vierzig Jahre später mit der Wende, wie an so vielen ostdeutschen Bühnen, ein neues Kapitel.
Zunächst führte man 1992 die Rudolstädter Landeskapelle, eines der ältesten deutschen Orchester (Gründung 1635), und das Staatliche Sinfonieorchester der Nachbarstadt Saalfeld unter dem damaligen Intendanten Peter P. Pachl mit dem Theater Rudolstadt unter dem Dach als Thüringer Landestheater und Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt GmbH zusammen. Mitte der 1990er Jahre wurde geheiratet: mit der Eisenacher Stadttheater GmbH. Und wie das so ist bei einst zwei Haushalten – man braucht nicht alles doppelt. Rudolstadt verzichtete auf Ballett und Musiktheater, Schauspiel und Orchester blieben. Die Ehe war nicht glücklich, Eisenach liebäugelte mit Meiningen – 2003 kam die Trennung. Bei der Partnersuche stießen die Verantwortlichen auf das Theater Nordhausen, rund 150 Kilometer nördlich von Rudolstadt. Seitdem kooperieren die beiden eigenständigen Häuser ähnlicher Größe miteinander.6
Die Thüringer Landestheater und Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt GmbH, die das Landestheater nur im Namen, nicht aber in der Organisationsstruktur trägt, vielmehr unter seinem Intendanten Steffen Mensching (seit der Spielzeit 2008/09) schlicht als Theater Rudolstadt agiert und als solches hauptsächlich am Standort spielt und nicht von Stadt zu Stadt reist, hat 155 Mitarbeiter, davon 16 Schauspieler und 43 Orchestermusiker. Der Jahresetat betrug im Jahr 2017 insgesamt 6,7 Millionen Euro, davon kamen 2,5 Millionen Euro Zuschuss vom Land Thüringen und 4,2 Millionen Euro von kommunalen Trägern. An seinen beiden Standorten bespielt es regelmäßig sechs Hauptbühnen sowie mehrere temporäre Spielorte. In Rudolstadt gehören zu den festen Bühnen derzeit die Interimsspielstätte Theater im Stadthaus mit 260 Sitzplätzen (das Große Haus befindet sich in der Sanierung, finanziert durch das kulturelle Hilfsprogramm „Hochwasser 2013“) sowie der Schminkkasten, das theater tumult (Kinder- und Jugendtheater) und für das Sommertheater die Heidecksburg mit 600 Sitzplätzen, in Saalfeld der Meininger Hof mit 372 Sitzplätzen und die örtliche Musikschule. Diese Fülle an Spielstätten ergab sich aus den begrenzten räumlichen Möglichkeiten am Haupthaus und erfordert einen vergleichsweise hohen Einsatz von technischem Personal.
Das Rudolstädter Schauspielensemble bespielt Nordhausen mit vier Stücken pro Spielzeit (inklusive Weihnachtsmärchen), die sich der dortige Intendant aus dem Repertoire und den aktuellen Premieren auswählt, und das Theater Nordhausen, dessen Intendant seit der Spielzeit 2016/17 Daniel Klajner ist, zeigt in Rudolstadt (bzw. Saalfeld) zwei Musiktheaterinszenierungen und ein Ballett, ebenfalls ausgesucht aus dem vorhandenen Repertoire bzw. den Premieren. Wie im Großen so im Kleinen – es gilt, auch mit wenigen Inszenierungen möglichst unterschiedliche Publikumswünsche anzusprechen. So fällt die Auswahl zumeist auf eine Komödie bzw. Operette, ein Werk aus dem klassischen Bildungskanon bzw. auf ein „ernstes“ Werk. Während die Intendanten einen gewissen Einfluss auf die Stückauswahl haben, sind die Austauschproduktionen in der Umsetzung (Regie, Bühnen- und Kostümbild) nur begrenzt auf das Bespieltheater zugeschnitten. Diese Umsetzung ist zuerst auf das eigene Haus abgestimmt, erst in zweiter Linie auf das Partnertheater. Aufgrund leicht abweichender Bühnenmaße und unterschiedlicher technischer Voraussetzungen müssen für die Inszenierungen teils Bühnenteile auseinandergenommen und anders zusammengebaut werden, müssen sich Schauspieler, Sänger und Tänzer ihre Auftritte neu organisieren. Während der Nutzung der Interimsspielstätte im Meininger Hof Saalfeld verzichtet das Musiktheater zudem auf den Einsatz der Nordhäuser Balletttruppe. Eine Übertragung auf die Partnerbühne ähnelt also häufig einer Neuinszenierung, was der künstlerischen Qualität glücklicherweise nicht zwangsläufig einen Abbruch tut. Dieser Kompromiss ist für das Publikum – da es die Originalinszenierung meist nicht kennt – nicht unmittelbar spür- oder erfahrbar.
Theater Rudolstadt und Theater Nordhausen: Salome. Foto: Peter Scholz
Partnerschaft auf Augenhöhe
Die Kooperation der beiden Bühnen Rudolstadt und Nordhausen ist lange erprobt. Die Abläufe funktionieren seit Jahren weitestgehend reibungslos, nicht zuletzt, weil alle Mitarbeiter den Nutzen dieser (Zweck-)Beziehung erkennen, aufeinander eingespielt sind und sich gegenseitig schätzen. Zudem bleibt es vor allem für die Künstler reizvoll, nicht nur das heimische, sondern auch das fremdere Publikum zu erobern oder auf anderen Bühnen aufzutreten. Dennoch: Selbst dieses feste Gefüge ist nur möglich, wenn sich beide Partner auf Augenhöhe begegnen und nicht auf eigene Vorteile bedacht sind. Kleinste Missstimmungen können letztendlich die Kooperation infrage stellen, weil sie immer ein fragiles Gebilde bleibt. Der technische und organisatorische Aufwand ist hoch. Es werden Produktionen der großen Bühne ausgetauscht. Nordhausen zeigt in Rudolstadt bzw. Saalfeld zwanzig Aufführungen, andersherum sind es 16 zuzüglich 15 Vorstellungen des Weihnachtsmärchens. Während hinter den Kulissen die Abläufe eingespielt sind, gibt es auch nach 15 Jahren nach wie vor Unterschiede in der Wahrnehmung der Produktionen durch das Publikum beider Städte. Das Rudolstädter Schauspiel hat es schwer in der musikverliebten Stadt Nordhausen, unabhängig vom Programm. Die Zuschauerzahlen schwanken nur wenig. Wenn das Nordhäuser Sängerensemble oder die Tänzer im Gegenzug, begleitet von den Thüringer Symphonikern, vor das Rudolstädter bzw. Saalfelder Publikum tritt, ließen sich die Zuschauerzahlen der letzten Jahre kontinuierlich (abhängig vom Programm) steigern. Der Heimspielcharakter scheint hier ein klarer Vorteil, denn das Nordhäuser Musiktheater wird durch die Mitwirkung des heimischen Orchesters nicht als Fremdkörper empfunden.
Mit Beginn der Spielzeit 2017/18 wurde nun im Zuge der Perspektive 2025 – das Theater Rudolstadt zeigte sich willig und erhielt ein Budgetplus von 450 000 Euro – die Zusammenarbeit mit dem Landestheater Eisenach als zweiter fester Kooperationspartner aufgenommen. Und solange die Eisenacher Bühne mit dem Südthüringischen Staatstheater liiert war – mittlerweile wurde die Eigenständigkeit Eisenachs durch die Ernennung des Ballettdirektors zum künstlerischen Leiter gestärkt –, hatten auch die Meininger ein Stück weit bei allen gemeinsamen Vorhaben mitzusprechen. Strukturell gab das Theater Rudolstadt die Sparte Kinder- und Jugendtheater an das Junge Schauspiel Eisenach ab, das nun zusammen mit der Ballettsparte unter einem Dach vereint ist. Seit der Spielzeit 2017/18 reiste das Ensemble des Jungen Theaters Eisenach mit vier Inszenierungen und insgesamt 37 Vorstellungen für junges Publikum nach Rudolstadt. Im Gegenzug kamen die Rudolstädter mit 25 Vorstellungen an das Landestheater Eisenach, zeigten dort die aufwendigen Inszenierungen Die Bibel, die spartenübergreifende Produktion Faust_Eins sogar mit dem eigenen Orchester, die Komödie Der Vorname und den Heinz-Erhardt-Abend Danke für das Geräusch! Und wurden mit offenen Armen empfangen. Die Zuschauerzahlen stiegen in der ersten gemeinsamen Spielzeit 2017/18 um zwanzig Prozent. Was ist hier anders als in Nordhausen? Die Bühne ist räumlich und akustisch „schauspielfreundlicher“ und so den Rudolstädter Maßen ähnlicher. Das kommt wiederum dem Schauspielensemble zugute, das sich dort sofort wohlfühlte.
Obwohl der Start erfolgreich war, beim Publikum und hinter den Kulissen, bleiben Finanzierungsdefizite offensichtlich. Die 450 000 Euro Zuschuss reichen kaum aus, um neben den neuen Aufgaben den heimischen Spielbetrieb in vollem Umfang aufrechtzuerhalten. Da die Mitarbeiter des Theaters Rudolstadt bis zu 25 Prozent unter Tarif arbeiten, musste der Obolus für die Zusammenarbeit mit Eisenach zu großen Teilen in die (geringfügige) Angleichung von Mitarbeitergehältern an den Tarif fließen. Doch während bei Stückbesetzungen ein gewisser Spielraum bleibt, indem z. B. weniger aufwändig besetzte Inszenierungen ausgewählt werden, können sich Technikmannschaften nicht splitten. Die zwei vorhandenen Rudolstädter Technikteams müssten sich auf mindestens drei heimische und zwei auswärtige Spielstätten verteilen, möchte man alle gleichzeitig bespielen, wonach das Publikum durchaus verlangt (die Auslastung der heimischen Spielstätten liegt konstant bei über achtzig Prozent). Nicht zuletzt ist es eine Frage der Finanzierung der Häuser und eine politische Entscheidung – wie die öffentlichen Mittel auf Städte, Landkreise und das Land verteilt werden, trifft eine Aussage über den dem jeweiligen Theater erteilten Auftrag. Das Theater Rudolstadt und die Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt werden zu großen Teilen durch die beiden Städte und den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt finanziert. Das Angebot in Rudolstadt und Saalfeld sollte aus diesem Grund nicht unter den angestiegenen auswärtigen Verpflichtungen leiden müssen – ein Anspruch, den das Theater Rudolstadt an sich selbst stellt, der aber nur schwer zu erfüllen ist. Gibt es also auch ein Zuviel an Kooperation?
Jeder, der mit Partnern zusammenarbeitet – egal ob dies andere Theaterhäuser sind oder Institutionen, Vereine vor Ort –, weiß, dass es ein großes Mehr an Kommunikation, an Absprachen erfordert, Kräfte woanders bindet, Abhängigkeiten produziert, womit man an die Grenze des Leistbaren stoßen kann. Auch weil zu viele Parameter Einfluss nehmen, ob eine Vorstellung zustande kommen kann oder nicht. Seien es der heimische Proben- und Aufführungsbetrieb, Sperrtermine von Mitwirkenden, Abo-Termine, der Rhythmus von Aufführungen einer Inszenierung etc. Wenn in Eisenach beispielsweise Faust_Eins gezeigt wird, sind in Rudolstadt/Saalfeld weder Konzerte noch Schauspiel auf der großen Bühne möglich. Je mehr Partner mitmischen, umso komplexer wird die Planung. Und Theater sind an sich schon äußerst feingliedrig arbeitende Kunstbetriebe. Nicht umsonst reisen klassische Landesbühnen – von denen in Thüringen keine dazu zählt – von Ort zu Ort, ohne sich auf zu viele Parallelgeschichten einlassen zu müssen. Sie haben einen anderen Kulturauftrag, ihr Programm in die Breite zu streuen, weil die Theaterdichte vielleicht geringer ist als in Thüringen.
Nur gemeinsam sind wir stark
Doch trotz der Schwierigkeiten, die sich in naher Zukunft möglicherweise nach und nach einspielen, bleiben diese beiden Kooperationen für das Theater Rudolstadt ein Pfund, mit dem es wuchern kann. Für Publikum und Theaterbelegschaft ist es bereichernd, unterschiedliche Denkweisen und künstlerische Handschriften kennenzulernen. Und nicht nur das: Die Theater gehen die Kooperationen ein, weil sie dadurch gewinnen – an Stabilität, Finanzierungssicherheit, Publikum, Reichweite usw. Für sich genommen, wäre jedes Haus nicht lange lebensfähig. Denn wer will schon in einer 25 000-Seelen-Gemeinde ausschließlich Schauspiel und Konzert angeboten bekommen? Man würde auf Dauer bei dieser Einseitigkeit nicht genügend Publikum finden. Würden sich kleinere Häuser nicht zusammentun und über eine Erweiterung ihres Wirkungsraums nachdenken, beschnitten sie sich in ihren Möglichkeiten. Ein Ausloten der Möglichkeiten findet zudem noch auf einem anderen Weg statt. Auch das Theater Rudolstadt verfügt über ein Netz weiterer Kooperationspartner, mit denen aus freien Stücken regelmäßig Projekte bzw. Inszenierungen oder Konzerte angestoßen werden. Mit den Musikschulen der Region findet alljährlich die Zukunftsmusik statt, bei der Musikschüler und Laien nicht nur zusammen mit den Thüringer Symphonikern Saalfeld-Rudolstadt musizieren, sondern einige auch solistisch vor das Orchester treten – ein Projekt, das in den letzten 18 Jahren hunderte junge Menschen für das Orchester als Zuhörer gewinnen und für klassische Orchestermusik begeistern konnte. Weitere feste Partner sind etwa die Musikhochschule Mainz, das Lyric Opera Studio Weimar, der TheaterSpielLaden Rudolstadt, die Seniorentheatergruppe Die Entfalter, die Stadtbibliothek, die örtliche Kunstwerkstatt, das Schillerhaus, aber auch die beiden freien Puppenspieler Susanne Olbrich (TheaterFusion) und Peter Lutz sowie letztendlich auch das Rudolstadt-Festival, bei dem die Thüringer Symphoniker mit Folkgrößen aus aller Welt gemeinsame Programme erarbeiten und Schauspieler aus dem festen Ensemble bei Sonderformaten mitwirken. Diese Partner sind teils Profis, teils Hobby-Akteure. Mal geht es um beiderseitigen Nutzen, mal um Erfahrungsaustausch, mal um große Kunst, mal ums gemeinsame Erleben. Das gemeinsame Kooperationsprojekt der Schillerstädte Thüringens – Meiningen, Weimar, Jena und Rudolstadt – mit den Theatern und Jugendlichen, das 2019 zum wiederholten Mal stattfinden sollte, scheiterte nicht zuletzt durch die mit der Verbundenheit der Häuser untereinander immer komplizierter werdende Planung und musste abgesagt werden. Ist das Potential an Kooperationen ausgereizt?
Theater Rudolstadt. Foto: Harald Wenzel-Orf
Letztendlich gehört die Frage, wann Theater gutes Theater ist und welche Voraussetzungen es seitens der Kulturpolitik dafür braucht, auf die permanente Agenda in der Theaterlandschaft. Fakt ist: Die wirtschaftliche Optimierung (auch in Bezug auf die Zuschauerzahlen) darf nicht derart ausgereizt werden, dass sie künstlerische Kreativität einschränkt und ihr Umfeld beeinträchtigt. Kunst muss „verschwenderisch“ sein dürfen und nicht nur ökonomischen Kriterien gehorchen. Das Für und Wider der Kooperationsstrukturen in Thüringen ist benannt worden. In ihnen steckt Potential, das zwar wirtschaftlich, aber selten künstlerisch ausgeschöpft wird. Grund dafür ist vor allem der enge finanzielle Rahmen. Deshalb: Falls Aufführungen schlicht herumgeschickt, an andere Orte verpflanzt, ganze Ensembles zum Dienstleister degradiert werden und es nur um Erfüllung von irgendwelchen Plänen, Abo-Systemen oder gar um die Aufrechterhaltung eines Spielbetriebs geht und das Eigentliche, der kreative künstlerische Prozess, die Theaterkunst und ihr Publikum, in den Hintergrund rückt, gehören Kooperationen auf den Prüfstand. Oder anders gesagt: Wenn man durch Kooperationen den Einsatz von Inszenierungen und Künstlern effektiver gestalten kann, muss gewährleistet sein, dass die einzelnen Häuser auch personell und finanziell solide aufgestellt sind, um diesen Mehraufwand zu verkraften.
Wenn man will, dass die Theater (um im Bild zu bleiben: freier) auf mehreren Hochzeiten tanzen, müssen sie fit genug sein, um ihren häuslichen Pflichten weiterhin nachzukommen, ihre Selbstbestimmung zu bewahren, den eigenen Ansprüchen und dem eigenen Publikum weiter gerecht zu werden. Kooperationskultur darf nicht mit dem Prinzip „Masse statt Klasse“ verwechselt werden. Halbherziges Theater hat keine Zukunft. Doch wie lässt sich das künstlerische Potential, das in diesem einmaligen Kooperationsgeflecht der staatlich finanzierten Thüringer Häuser steckt, besser nutzen? Vielleicht indem die Theaterleiter, wie schon 2015 geschehen, wieder gemeinsam an einen runden Tisch gebeten werden, um diesmal nicht über die wirtschaftliche Seite wie im Vorfeld der neuen Theaterfinanzierung, sondern über das künstlerische Miteinander und die verschiedenen künstlerischen Zielstellungen der einzelnen Häuser als Basis für mögliche Kooperationen ins Gespräch zu kommen. Und diese spontanen „Liebschaften“ gehören vom Land stärker gefördert als die festgezurrten Verbindungen. In diesem Sinne: Hoffen wir auf kreative und faire Theater-Affären und deren kulturpolitische Unterstützung.
1Hoff, Benjamin-Immanuel: Perspektive 2025 – Sicherung und Fortentwicklung der Thüringer Theaterlandschaft, Arbeitspapier der Staatskanzlei des Freistaates Thüringen, www.thueringen.de/mam/th1/tsk/arbeitspapier_zur___perspektive_2025_.pdf.
2Adrians, Frauke: „Der Minister und seine Gedankenspielkameraden“, in: nachtkritik.de, www.nachtkritik.de/index.php?Itemid=84&catid=101&id=11527:in-der-thueringer-theaterstruktur-debatte-wird-paktiert-protestiert-relativiert-undzurueckgerudert&option=com_content&view=article (Zugriff am 12. Oktober 2018).
3Bernhard, Henry: „Thüringen strukturiert Orchester und Theater um“, in: Deutschlandfunk Kultur, www.deutschlandfunkkultur.de/reformplaene-der-landesregierung-thueringen-strukturiert.1013.de.html?dram:article_id=336051 (Zugriff am 12. Oktober 2018).
4Hirsch, Wolfgang: „Schließung, Fusion, Kündigung: Hoff krempelt Theaterland Thüringen um“, in: Thüringische Landeszeitung, 20. August 2015.
5Nach Auflösung der Fusion beginnt das Theater Eisenach eine enge Zusammenarbeit mit dem Südthüringischen Staatstheater Meiningen, dessen Intendant Ansgar Haag übernimmt 2008 auch die Leitung des Hauses. Weitere Sparmaßnahmen, wie die Abwicklung der Oper, folgen. In dieser Struktur besteht es bis zum Ende der Spielzeit 2016/17, als die neue Kooperation mit Rudolstadt beginnt.
6Im Zuge der Kooperation wurde 2004 die Schauspielsparte des Theaters Nordhausen aufgelöst. Es verblieben unter einem Dach das Musiktheater, Ballett und das Loh-Orchester Sondershausen.