Auftritt
Landshut: Des Dichters Wolkenkuckucksheim
Kleines Theater – Kammerspiele Landshut: „Torquato Tasso“ von Johann Wolfgang von Goethe. Regie Sven Grunert, Bühne Sascha Gross, Kostüme Sascha Gross und Luci Hofmüller
Erschienen in: Theater der Zeit: Kunst gegen Kohle – Ruhrfestspiele Recklinghausen. Intendant Frank Hoffmann (05/2018)
Assoziationen: kleines theater - Kammerspiele Landshut
Es beginnt als luftig-leichtes Spiel der Sommerlüfte. Vor einem fliedervioletten Landschaftsprospekt sitzen die beiden Leonores auf Gartenstühlen. Die eine schlüpft aus ihrer schwarzen Seidenstrumpfhose, um die schlanken Füße in einem Blechkübel mit kaltem Wasser zu kühlen, während ihre sonnenbebrillte Freundin lediglich die Zehen eintaucht. Man fächelt sich Luft zu und plaudert über Tasso, diesen „wunderbaren“ Dichter, der adelt, „was uns gemein erschien“. Dann schaut auf einen Sprung Alfons II. vorbei, der Herzog von Ferrara höchstselbst (Sebastian Gerasch im Hipsterlook mit entsprechendem Bart und Hut), um zu verkünden, dass bei aller sommerlichen Leichtigkeit nun auch mal wieder Regierungsgeschäfte ins Haus stehen: Staatssekretär Antonio hat seine Rückkehr aus Rom angekündigt. Vor dessen Ankunft gilt es aber noch, Tasso zu bekränzen, der eben sein jüngstes Epos in die Schreibmaschine gehämmert hat.
Des Titelhelden Dichterklause ist in Landshut in der ersten Etage eines Baugerüstes eingerichtet. Halb Baumhausrefugium, in das sich Tasso wie ein bockiger Bub verkrümelt, wenn er sich wieder einmal nicht verstanden fühlt; ein Wolkenkuckucksheim, in dem er der Welt entrückt, seiner schöpferischen Arbeit nachgeht und dem Publikum dabei buchstäblich den Rücken zukehrt. Und halb Zelle, in der Tasso später seinen Arrest absitzen wird, nachdem er (von Antonio provoziert) ausfällig geworden ist.
Goethes Drama „Torquato Tasso“ stellt die Frage, was der Dichter gilt in der Gesellschaft. Für Tasso steht es außer Zweifel, dass es nichts Höheres gibt als seine Kunst. Allzu schmerzlich ist er sich indes bewusst, dass diese Meinung nicht ungeteilt gilt. Entsprechend begierig und zugleich unsicher nimmt er den Lorbeerkranz entgegen, den man ihm windet. Julius Bornmann spielt diesen Tasso bezwingend mit jenem Maß an Selbstüberschätzung, das aus dem nagenden Selbstzweifel erwächst und diesen zu kompensieren sucht. Es braucht nur ein paar gezielte Stiche von Antonio, um Tasso die Luft abzulassen. Prompt brauen sich über dem sommerlichen Dichteridyll ein paar finstere Videowolken auf, die im Zeitraffer über die Rückwand ziehen. Dabei ist Andreas Sigrist nicht einmal ein besonders bösartiger Antonio. Eher scheint es so, als verstehe der Politiker tatsächlich nicht, wie dieser Poet dazu kommt, sich so wichtig zu nehmen. Schließlich hält sich auch Alfons den Dichter bei Hofe vor allem, weil es schick ist – ohne dessen tiefen Glauben an die Kunst zu teilen.
Sven Grunert, Intendant des Kleinen Theaters Landshut, hat Goethes Schauspiel schlüssig gekürzt und sinnfällig in Szene gesetzt, mit einem tollen Ensemble, in dem allen (neben den genannten noch Katharina von Harsdorf und Louisa Stroux als die beiden Leonores) das nicht zu unterschätzende Kunststück gelingt, Goethes verzwickte Verssprache transparent und verständlich zu machen. Dem Regisseur ist also wenig vorzuwerfen – außer, dass er sich ausgerechnet für dieses Stück entschieden hat. Seit über einem viertel Jahrhundert macht Grunert Theater in der niederbayerischen Provinz. Die Tasso-Frage – ob das Theater essenzieller Bestandteil des Gemeinwesens ist oder doch nur schmückendes Beiwerk – mag sich da das eine oder andere Mal gestellt haben. Verständlich also das Interesse an Goethes Künstlerdrama. Nur leider scheint aus jeder Zeile der Narzissmus des Verfassers zu sprechen; der Konflikt, den der Dichter Goethe mit dem Weimarer Geheimrat ausfocht, der er ebenfalls war. Nicht zuletzt deshalb ist Goethe irgendwann nach Italien ausgebüxt. Danach blieb noch jede Menge Lebenszeit, um zum viel bekränzten Dichterfürsten zu avancieren. Die im „Tasso“ so offensiv thematisierten Selbstzweifel wirken vor diesem Hintergrund reichlich eitel, vor allem gemessen an wahren Verzweiflungsabgründen, wie sie sich beispielsweise bei Kleist auftaten, den Goethe so schnöde abblitzen ließ. Sicherlich, man könnte im „Tasso“ auch das Drama des um sich selbst kreisenden modernen Menschen sehen. Das hinter Goethes Ichbezogenheit freizulegen, gelingt – bei aller Könnerschaft – aber auch Sven Grunert nicht. //