Theater der Zeit

Auftritt

Konstanz: Auf dem Schachbrett der Täuschungen

Theater Konstanz: „Das Maß der Dinge“ von Neil LaBute. Regie Wulf Twiehaus, Ausstattung Katrin Hieronimus

von Bodo Blitz

Erschienen in: Theater der Zeit: Tilmann Köhler und Miriam Tscholl: Montagswirklichkeit Dresden (11/2015)

Assoziationen: Theater Konstanz

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Neil LaBute und das Theater Konstanz: eine außergewöhnliche Verbindung. Im Juli 2014 leitete Neil LaBute das Autorenlabor im südlichsten Theater der Republik und war begeistert – vom System Stadttheater, vom Konstanzer Ensemble. Konstanz dankte ihm den Besuch nun mit einer Eröffnungspremiere zur aktuellen Spielzeit. Damit nicht genug: LaBute selbst wird im Mai 2016 am Theater Konstanz Regie führen, er wird Tschechows „Onkel Wanja“ inszenieren.

LaButes Bühnenklassiker „The Shape of Things“ (Das Maß der Dinge) liest sich vom Ende her. Moral? Ehrlichkeit? Gegenseitiges Vertrauen? Liebe? Bloße Konstrukte. LaButes Hauptfigur, die provokante Künstlerin Evelyn, stellt Partner Adam dort regelrecht aus. Und damit in aller Öffentlichkeit bloß: als von ihr modellierte Skulptur, als Objekt. Das Prinzip der Grenzüberschreitung ist ihr schon zu Beginn eigen, wenn sie im Museum einer Statue ganz bewusst zu nahe tritt und damit die Aufmerksamkeit des studentischen Museumswärters Adam erregt. Wulf Twiehaus widersteht der Versuchung, diese Evelyn im Stile einer Femme fatale die Konstanzer Bühne beherrschen zu lassen. Jana Alexia Rödiger, gekleidet im Dresscode der Konformität (schwarzer Anzug, weißes Hemd), spielt überaus selbstsicher die Person, die wohl kaum Probleme mit der Aufsicht erregen würde. Ganz anders Tomasz Robak als Adam: Er ist es, der in der Eingangsszene auffällt. Weniger mit seinem Outfit jenseits der Chefetagen dieser Welt. Mehr mit dem Mut, seine Musik aus Kopfhörern frei zu verkörpern. Eins zu sein mit dem Augenblick. Beinahe authentisch.

Abstrakt wirkt das Bühnenbild: ein rechteckiges und erhöhtes Podium als Schachfeld aus beleuchteten und unbeleuchteten Quadraten. Adams raumgreifendes Spiel zu Beginn passt nicht zur Symmetrie, zur Austauschbarkeit jener Felder. Wenn sich Adam aus freien Stücken Evelyn annähert, dann lernt er letztlich, sich der Bühne unserer Gesellschaft anzupassen. Die Konstanzer Inszenierung schreibt die Metapher der Kleidung groß, was reicht, um die vielfältigen Änderungen zu skizzieren, die Adam im Stück durchläuft. Getrieben wird er in diesen Prozess der Optimierung seines Körpers, seines Aussehens, seines Verhaltens von der Klarheit und Kälte im Spiel Jana Rödigers, ihrer Unerbittlichkeit, gepaart mit dosiertem Lob fürs Gegenüber. Seine Annäherung an Evelyn kostet ihn die Individualität. Was seine gesellschaftliche Attraktivität steigen lässt: Endlich hat er die Chance, eine Affäre mit seiner Kommilitonin Jenny zu beginnen, obwohl diese kurz vor der Heirat mit seinem besten Freund Philipp steht.

Twiehaus inszeniert LaButes Viererkonstellation nicht ohne Überraschung. Wenn Evelyn Adam wegen seines Seitensprungs zur Rede stellt, dann gelingt Jana Rödiger das Kunststück, verletzt und eifersüchtig zu spielen, ohne es zu sein. Johanna Link als Jenny und Peter Posniak in der Rolle des Philipp stehen vor der schwierigen Aufgabe, die Formelhaftigkeit bürgerlicher Beziehungen darstellen zu müssen, zudem die eigentliche Lüge hinter LaButes bitterböser Gesellschaftsparabel – nämlich die Falschheit zwischenmenschlicher Kommunikation. Abgezirkelte Begrüßungsrituale, Aggression als Mittel, den eigenen Willen durchzusetzen, nicht zuletzt der beleidigte Abgang sind überzeugende Spielelemente, um Ich-Bezogenheit, auch Isolation zu bebildern. In einem Punkt sind sowohl Jenny als auch Peter ihrem Kommilitonen Adam einen wesentlichen Schritt voraus – nämlich dem der rollengleichen Selbstbeherrschung, wenn die selbst gewählte Fassade bricht. Tomasz Robak als Adam verlässt am Ende das Spielfeld und sieht seiner Dekonstruktion durch Evelyn als Beobachter von außen zu. Evelyns souveräne Negation von Liebe löst bei ihm starke Gefühle aus: Wut, Beschimpfungen, Leidenschaft. Eine Rückkehr in sein altes Ich? Zeichen einer Befreiung vom Irrtum der Konformität? Adams Abgang durch die Hallentür ins Freie – er ist zu schön, um wahr zu sein. Und zu individuell für diese konzentrierte, durchdachte, erdrückend präzise Inszenierung.//

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