Wir sind Körper, durchströmt von Ideologie
von Milo Rau und Rolf Bossart
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
Rolf Bossart / Milo Rau
Rolf Bossart Die eigentlich verwirrendste Erfahrung an Breiviks Erklärung vor Gericht ist ja, dass man sich bewusst wird, dass die Ideologie, die darin vertreten wird, von vielen, von einer Mehrheit geteilt wird. Dass also das, was man in den Kommentaren auf sein 1500-seitiges Manifest als inkonsistentes Copy-Paste-Manöver eines asozialen Internetjunkies und Psychopathen abgetan hat, im Grunde eine ganz rationale und von vielen vertretene Weltanschauung ist.
Milo Rau Das habe ich bereits am Anfang meiner Beschäftigung mit der Figur „Breivik“ bemerkt: Es kann nicht darum gehen, den 1001 Versionen von Breivik noch eine weitere, vielleicht künstlerisch oder intellektuell überzeugendere hinzuzufügen. Es besteht ein Unterschied, ob man einen dramatischen Menschen bastelt, einen eiskalten Himmler, oder einen Breivik mit psychotisch starrem Lächeln und ihn der staunenden Menge vorführt – oder ob man, wie wir es versuchen, eine neue, eine natürlich nicht weniger artifizielle Unvoreingenommenheit schafft und diese 20 Seiten, die Breivik selber für die Gerichtsverhandlung herstellt und dann nochmals auf 13 Seiten kürzt, einfach vorliest. Denn diese 13 Seiten sind nicht unser, sondern Breiviks Best-of, es ist kein dramatischer Text, sondern ein politischer Akt in Reinform. Es ist die Art und Weise, wie Breivik verstanden, wie er zusammengefasst,...