„Wenn ich hier auf der Bühne stehe, ist das dann mein Körper, den man sieht?“, fragt Schauspielerin Dagna Litzenberger Vinet und gibt die Antwort selbst, indem sie den Schlüpfer auszieht und dem Publikum ihre Pobacken präsentiert. Ja, es ist immer die eigene Haut, die Schauspieler zu Markte tragen. Nacktheit macht das besonders sichtbar, aber letztlich gilt auch im bekleideten Zustand, dass selbst die virtuosesten Verwandlungskünstler im Wesenskern Selbstdarsteller bleiben.
Nanu? Zählt Selbstdarstellung nicht gemeinhin zu den Kernkompetenzen des Performers, der die Verstellung nicht beherrschen muss, weil seine Kunst, überspitzt formuliert, gerade aus dem Unvermögen auf diesem Gebiet erwächst? Und gelten Performer deshalb nicht als Vertreter eines vom Schauspielkünstler deutlich geschiedenen Berufsstandes?
Auch die Akteure des Theaters HORA, das Menschen mit geistiger Behinderung (die meisten von ihnen mit Down-Syndrom) eine Bühne verschafft, werden bevorzugt als Performer eingestuft. Als HORA-Ensemble-Mitglied Julia Häusermann beim Berliner Theatertreffen 2013 den Alfred-Kerr-Darstellerpreis erhielt (für ihre Rolle in Jérôme Bels „Disabled Theater“), wurde das hinter vorgehaltener Hand als Fehlentscheidung bezeichnet, weil die Ausgezeichnete ja „gar keine richtige Schauspielerin“ sei.
In „Die 120 Tage von Sodom“ tanzt Häusermann in einem Miniaturguckkastentheater (Ausstattung Anton Lukas) und zeigt dabei den nackten Po wie zuvor Litzenberger Vinet. Und sofort stellt sich...