Ambivalenzen der neuen Ordnung
Bürgerlich-puritanische Revolution
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
1642 wurden alle Londoner Theater, einschließlich der noch spielenden öffentlichen Globe und Fortune geschlossen. Dies geschah auf Drängen jener sozialen Kräfte, die ein paar Jahre später, 1649, die Revolution mit der Exekution des Königs Charles I. als historisch weitwirkendem Höhepunkt machten – also der gottesfürchtigen Handwerker, Kaufleute und Bauern (yeomen), die auch zu einem großen Teil Shakespeares Theater getragen hatten, die sich im Laufe des 17. Jahrhunderts aber immer stärker gegen die Monarchie wendeten und theaterfeindliche puritanische Doktrinen unterstützten.95 Schon 1597 hatte das Londoner Rathaus unter starkem purtitanischen Einfluss Königin Elisabeth und ihren Geheimen Staatsrat (Privy Council) ersucht, Bühnenspiele in allen Plätzen „in der und um die City“ auszusetzen und schließlich zu unterdrücken.96
In dieser Entwicklung äußerte sich die grundsätzlich kritische, ja im Wesen feindselige, zugleich aber auch in sich widersprüchliche Haltung des neuen Bürgertums gegenüber dem Theatralen, insbesondere seiner ausdifferenzierten künstlerischen Form. Ein wesentlicher, gleichsam allgemeiner Grund war die Abwertung des Sinnlichen, ja die Gegnerschaft zum Visuell-Bildlichen (der Welt), einer ursprünglichen philosophisch-religiösen und moralischen Grundposition des Protestantismus als einem entscheidenden geistigen Faktor kapitalistischer Entwicklung im Sinne Max Webers. Die Reformation war kulturell gesehen eine Wasserscheide größten Ausmaßes. Die kulturelle Landschaft des späten Mittelalters...