Auftritt
TD Berlin: „What are we doing? Why are we here?”
„Acting. Lost Highway” nach David Lynch und Barry Gifford – Regie Tobias Klett, Musik Mica Levi. Sound Design Hyewon Suk
von Graciela Peralta
Assoziationen: Theaterkritiken Berlin Tobias Klett TD Berlin
Tobias Kletts Inszenierung „Acting. Lost Highway“ nach David Lynchs 1997 Film „Lost Highway” am Theaterdiscounter Berlin lässt die Zuschauenden eigentlich schon im Titel wissen, dass es sich bei der Inszenierung um eine Exploration von Beobachtung und Imitation handelt: „Lost Highway“ wird nicht nur fürs Theater inszeniert, sondern durch das vielschichtige Herausstellen von sozialer Performativität in „Acting. Lost Highway“ weiterentwickelt.
Wenn wir uns vorstellen, wie das Protagonistenehepaar Fred und Renée Madison (Juan Corres Benito und Sylvana Sedding) ein mysteriöses Tape, was uns unwissentlich schlafend im inneren unseres Haus zeigt, zu erhalten, wäre es für viele eine Horrorvorstellung.
Unsere zuvor privat geglaubtes „Für-Sich sein“ wäre allein durch den Beweis Beobachtet zu werden wieder ein öffentlicheres „Für-Andere sein“. Wir wären wieder übermäßig über uns Selbst, wahrscheinlich existenziell erschüttert und würden in zu stillen Momenten wahrscheinlich genauso reflexiv starrend vor uns hin rauchen.
Da wir als Zuschauer:innen eine ähnliche Beobachterposition einnehmen ist eine gespaltene Perspektive auf das zentrale Motiv des Beobachtens und Beobachtet Werdens auf die Inszenierung unumgänglich und dies weiß Klett für sich zu nutzen. Die Inszenierung des Lynchszenarios am Theaterdiscounter erkundet die davon ausgehende innere Unruhe für die Figuren als auch für die Zuschauenden in wechselnden Surrealitätsgraden.
Es wird nicht gesprochen. Die Lippen bewegen sich lediglich im gleichen Rhythmus wie die zuvor eingesprochenen Playbackaufnahmen der Boxen aus dem Bühnenbereich vorgeben. Die erste Erkenntnis dieser unnatürlichen Gemachtheit löst ein unbehagliches Uncanny Valley Gefühl in mir aus, das ich am liebsten direkt wieder von mir abstreifen würde.
Im nächsten Moment ertönen unheimliche Soundeffekte von Hyewon Suk mit einer derartig eindringlichen Wucht aus von hinten aus lauter gestellten Boxen die sich wie ein unerwartetes Schultertippen anfühlt. Durch die steifen, fast schon roboterhaften Interaktionen wirken die Figuren, als würden sie stets einen Hauch zu lange überlegen müssen, was im sozialen Skript wohl als nächstes kommen würde. Verstärkt wird dieser überrationalisierte Eindruck durch eine klinisch weiße Lichtsetzung, was jedoch wiederum in emotionalen Spannungsmomenten zu panischem Purpurrot umschlägt und mit experimentellen Bewegungssequenzen untermalt wird.
Im Zusammenspiel mit einer minimalen Bühne, legerer Kleidung, abgesehen von einer einzelnen roten Blume in Renées Haar, und unauffälligen alltäglichen Requisiten – eine weiße Tasse, eine Zigarette, ein schwarzes Telefon – werden Akzentuierungen in Ton, Körperbewegung und Licht mit einer unterliegenden Spannung aufgeladen. Dank des klugen Einsatzes von Stimme, Körper und Licht wird über das Zuschauen hinaus, auf fast schon dieselbe invasive Weise wie der thematisierte Übergriff, das Wechselspiel zwischen Subjekt- zu Objektposition in dem sich Fred und Renée befinden, spürbar gemacht.
Die erste Hälfte, die noch stark an der Lynch Filmvorlage orientiert ist, kreist um die Absurdität des Alltäglichen. Schon im ersten Dialog, in dem sich Renée uncharakteristisch dafür entscheidet, doch lieber zuhause zu bleiben und zu lesen, reagiert Fred so verdutzt, als würde er zum ersten Mal von Büchern hören.
Es wirkt, als würden schon minimale Abweichungen in den familiären Verhaltensmustern für ein Unbehagen in der Beziehungsdynamik sorgen. Corres Performance spiegelt jedoch, dass das Wissen darüber, dass ein Abweichen im festgefahrenen Muster Risse in der etablierten Realität verursachen wird, solch ein Unbehagen in ihm selbst wie ein Gewicht auf die eigene alltägliche Verhalten kreiert, sodass Fred anfängt seine eigenen Handlungen, Gestiken und Mimiken als absurd zu betrachten. Unausgesprochenes lastet in einer Mischung aus Erdrückung und Befremdung in der Atmosphäre. Kletts Diplominszenierung des Regiestudiums an der Ernst Busch könnte auch die dramatische Fiktionalisierung zu Sartres Gedanken zum projizierten Blick sein.
Die zweite Hälfte der Inszenierung signalisiert mit zunehmend verängstigteren Reaktionen auf die fürs Publikum unsichtbaren Tapes, der Begegnung mit einer noch mysteriöseren Geisterfigur und dem berühmten Anruf im eigenen Haus, dass die Grenzen der Logik von nun an auch nicht mehr gelten. Die Geschichte bewegt sich zwar weiterhin mit bereits etablierten Erzählelementen zyklisch um das beklemmende Gefühl des Beobachtet-Werdens, es wird durch Diskontinuitäten und abstrakten Symboliken sogar noch weiter zu einem grotesken Gefühl des Ausgeliefertseins gesponnen. Der „Mystery Man“ (Tamae Yoneda), der obendrauf nun auch in Persona die Figuren und das Publikum durch seine alte Videokamera filmt ist wie die Personifizierung dessen. Zusammen mit experimentellen Traumchoreografien und nüchtern unheimlichen Wachzuständen verschwimmen die Eindrücke in einem Sog aus Absurdität und Panik.
„What are we doing here? Why are we here?“, unterbrechen die Figuren den Verlauf des Stücks immer wieder, sodass auch wirklich jede:r versteht, dass das plötzliche Bewusstwerden des Existieren, die Desorientierung verursacht.
Verlangsamtes Weiß ……Roooooot … Weiß … wird nun zu ROT. Weiß. Rot.Rot.Rot.WEIß.Rot.Weiß. ROT.ROT.ROT… tot?
Die letzte Schlusssequenz birgt auch nicht mehr Gewissheit.
Mit einer synchronisierten Bewegungsfolge, die die Boxen, die den Playbackdialog spielen, in die Mitte der Bühne positionieren, zum Publikum drehen und uns den ersten Dialog wieder abspielen endet das Stück. Trotz all der Surrealität, all der Offenheit und aller Verwirrung erlebt man zum Schluss einen direkten Konfrontationsmoment mit dem unbekannten Anderen.
Erschienen am 4.7.2024