Hamlet, der Zögerer, der Intellektuelle, der sich nicht zur Tat entschließen kann? Das ist es nicht, was sie an dem Stück interessiert. Annett Wöhlert sitzt im Theater Freiberg in ihrer kleinen Mansarde, die ihr Schauspieldirektorenbüro ist. Sie sitzt auf dem Sprung, erstens weil gleich die Probe beginnt und zweitens weil das ihre Natur ist. Nur so kann sie auch Hamlet verstehen: immer auf dem Sprung, sei es ins Unbekannte, sei es in sein Verderben.
Auf dem Fensterbrett steht ein Foto ihres einstigen Mentors Christoph Schroth, bei dem sie zur Wendezeit in Schwerin erstmals selbst inszenierte. Schroth hielt 2010 auch die Laudatio auf sie, als sie den Förderpreis zum Berliner Kunstpreis bekam. Was sie, damals Oberspielleiterin in Neustrelitz, selbst bei dieser Gelegenheit zu sagen hatte, das ist als „Mecklenburger Aufschrei“ immer noch nachlesenswert. Inzwischen ist Schroth zu krank für öffentliche Auftritte, aber sie telefonieren regelmäßig. Schroth stellte in Schwerin in den 1980er Jahren beide Teile des „Faust“ auf die Bühne, auf eine Art, dass man sich heute noch daran erinnert. Wie schafft man es, auf künstlerische und zugleich politische Weise etwas drängend zu machen? Das ist auch die Frage, vor der sie bei „Hamlet“ steht. Die Lesebrille hat sie lässig wie...